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Dschungel: Gelungener Saisonbeginn

Theater foXXfire!: Groove © Rainer Berson

Mit einem doppelten Premierenabend eröffnete der Dschungel, das Theaterhaus für junges Publikum, die neue Saison 2017/18. Etwas großzügig ausgedrückt, kann gesagt werden, dass die beiden Compagnien – schallundrauch agency und Theater foXXfire! – den Breitengrad des Dschungel abdecken. Der Längengrad wird im Lauf der Saison vermessen. „Gott und die Welt“ nennen schallundrauch die neue Performance mit Tanz, Theater und Livemusik; „Groove!“ ist der Titel des auf den Rhythmus fixierten Tanztheaters von foXXfire! Das Premierenpublikum, mehrheitlich aus der angepeilten Zielgruppe längst herausgewachsen, zeigte sich von beiden Uraufführungen begeistert.

Elena, René, Martin, Gabi: Über Gott und die Welt kann das Quartett von schallundrauch agency auch singen. © Theresa PewalSchallundrauch agency, 2003 von Gabriele Wappel und Janina Solimann (inzwischen verheiratete Moser) gegründet, hat sich zu einer der erfolgreichsten Performance-Gruppen für junges Publikum entwickelt. Nahezu alle Crew-Mitglieder sind an der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien (MuK / früher Konservatorium der Stadt Wien) ausgebildet und haben eine solide Basis für ihre Arbeit auf der Bühne. Zahleiche Preise bestätigen das.
Ihr Zugang zu den Stücken für unterschiedliche Altersgruppen, vom Baby bis zu Teenagerinnen, ist ein autobiografischer, was ihre frei gesprochenen Texte von Stelzen und Bandagen befreit, sodass sie das Publikum direkt ansprechen und von diesem auch verstanden werden. Leicht fällt es den Performer*innen, glaubhaft und authentisch zu sein. Dennoch sind die Themen der schallundrauch agency genauestens recherchiert und im Proben- und Diskussionsprozess sauber durchdacht. So wagen sie sich auch an das Thema Religion und Glaube heran. Dabei wird gleich zu Beginn klar gemacht: „Über Gott und die Welt zu sprechen, bedeutet, über alles oder nichts zu reden.“ Das tun sie dann auch. Spielen auf der Leiter selber Gott oder Göttin, singen wie die Engel, heulen wie die Wölfe und schlafen dann ein. Sind Buddhisten, rollen den Gebetsteppich vorsichtig aus und erzählen von der Liebe im Kindergarten, wenn sich die blonden Haare von Kati in Renés Kakao senken. Im reduzierten Bühnenbild, wo die Oma von einer karierten Decke symbolisiert wird und der Opa mit dem Gehstock gleichgesetzt, bewegen sich Gabriele Wappel, Elina Lautamäki samt Querflöte, René Friesacher und Martin Wax mit lockerer Konzentration, sparen nicht mit Scherz und Ironie und lassen der eigenen Fantasie schrägen Lauf, ohne die der Zuschauerinnen einzukasteln (wie es die „großen“ Regisseure so gern tun). Elina mit dem Fahrrad auf Gottsuche, René wartet, ob sie fündig wird. © Theresa PewalDas nach Gott oder den Göttern forschende Quartett stellt keine Thesen auf, verkündet keine Dogmen und hämmert keine Gebote in Stein, regt aber bei aller Lockerheit zum Diskutieren und Denken an und findet traumwandlerisch entlang des selbst geflochtenen Fadens wieder sicher aus dem Labyrinth. Am Ende einer höchst anregenden Stunde tagt das Konzil und entscheidet mit Hilfe des Publikums schlau, wie einst König Salomon: Wassergötter können schwimmen, Feuergötter vermeiden das eher, der Jesusgott geht oben drüber und jede(r) darf glauben was sie (er) will.
Ich glaube, schallundrauch agency ist eine der besten, genauesten, unterhaltsamsten, vielseitigsten (oder heißt es meistseitigen?) … Performancegruppen in Österreich. In der Liste der Spielorte sind deshalb nicht nur Orte wie Horn oder Innsbruck zu finden, sondern auch Peking und Utrecht.

Gabi hebt ab, auch ohne Gleitschirm, René und Martin machen eine weiche Landung möglich. © Theresa Pewal Soweit gereist sind die vier jungen Frauen + zwei Männer vom foXXfire Theater vermutlich noch nicht, obwohl sich ihre nahezu wortlose Performance bestens auch für eine Tournee eignen würde. Die sechs für das Theater foXXfire! vom neuen Leiter Richard Schmetterer ausgesuchten jungen Tänzer*innen wurden von Karo Hogl so ansprechend und fantasievoll eingekleidet, sodass schon jedes Kostüm allein eine Geschichte erzählt. Auch für die praktikable Bühnenausstattung ist Hogl verantwortlich. Neben Regisseur Schmetterer hat Melanie Hunger als Choreografin mitgewirkt. „Groove!“ (bissel viel Rufzeichen bei foXXfire!) ist ein Klopf-, Klatsch-, Stampf-, Schnalz-, Schnipp-, aber auch Quietsch-, Kreisch- und Schnatter-Stück über Formen, Möglichkeiten und Vorkommen von Rhythmus. Am Schönsten ist die Vorstellung, wenn der Rhythmus aussetzt und Stille herrscht. Dies ist, im Gegensatz zur Vorstellung, viel zu kurz. Sechs präzise im Rhythmus. © Rainer BersonIch kann mir gut vorstellen, dass die Entwicklung dieser 70 Minuten und auch die präzise Performance den Mitwirkenden viel Freude bereitet hat. Deshalb wird jeder Take gewalzt und gepresst, bis nix mehr drin ist. Inhaltlich wäre aus der Tatsache, dass Rhythmus nicht nur eine musikalische Struktur ist, sondern auch den Alltag bestimmt, mehr herauszuholen. So bleibt es bei der Behauptung. Doch unversehens passieren auch kleine Geschichten: Der Herzrhythmus führt zur Liebes- und Eifersuchtsszene, der Marschrhythmus in den Krieg. Vor allem aber geben sich die Mitwirkenden ihrer Lust am gemeinsamen Schlagen, Trommeln, Treten und Trampeln hin. Um die Eintönigkeit der kollektiven Rhythmik zu unterbrechen, darf der erfahrene Darsteller Futurelove Sibanda eine Clownnummer zeigen. Ich merke schon, dieses Stück ist für Schüler*innen (ab 13) entwickelt und wird vermutlich erst vollständig, wenn eine Gruppe sich ein vorbereitendes oder auch nachbereitendes Workshop gönnt.

Dschungel: Saisoneröffnung am 21. September 2017.
„Gott und die Welt“, schallundrauch agency mit dem lockeren Quartett Gabriele Wappel, Elina Lautamäki, René Friesacher und Martin Wax. Licht: Silvia Auer; Kostüm: Afra Kirchdorfer; dramaturgische Beratung: Frans Poelstra, musikalischer Coach: Sebastian Radon.
“Groove!“, Theater foXXfire! mit den so engagiert rhythmisierenden Darsteller*innen: Eldina Džananović, Sophie Riedl, Sandra Schwann, Victoria Sedlacek, Futurelove Sibanda, Luis Widmoser. Regie und musikalische Leitung: Richard Schmetterer; Choreografie: Melanie Hunger; Ausstattung: Karo Hogl; Bodypercussion Coach: Anita Gritsch
Beide Stücke bleiben im Repertoire und werden auch 2018 immer wieder aufgeführt. Dschungel-Chefin Corinne Eckenstein setzt das oft missbrauchte und ziemlich sperrige Schlagwort von der „Nachhaltigkeit“ in die Tat um.