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ImPulsTanz: Oleg Soulimenko „Loss“

LOSS: Unbekannte Wesen. © Katalin Erdödi

Ich seh, ich seh, was du nicht siehst! An dieses Kinderspiel erinnert mich Oleg Soulimenkos Inszenierung von LOSS in einem leeren Raum des Untergeschoßes im Leopold Museum. Mit raschelnden Plastikschläuchen ziehen sich Soulimenko, Alfredo Barsuglia und Jasmin Hoffer eine zweite Haut über, verschwinden und werden zu nicht identifizierbaren Figuren. Der Titel „LOSS“ verweist auf Unsicherheit, das Stück ist rätselhaft, komisch, ein wenig unheimlich, witzig auch. Die sich anbietenden Assoziationen sind mannigfaltig, die Impressionen und Empfindungen durchaus individuell.

Ein Stück Bauch (Barsuglia) und die wunderbaren blitzblauen Socken von Soulimenko. © Erli GruenzweilDas Angebot im Programmheft kann ich nicht ganz annehmen: „Soulimenko, Barsuglia und Hoffer errichten für ihr Stück LOSS eine unheimlich-unbekannte Skulpturenlandschaft.“ Eine Referenz vor dem Leopold Museum? Ich sehe keine Skulpturen, ich sehe sich raschelnd bewegende Wesen. Sie winden sich am Boden, richten sich bedrohlich auf, haben weder Kopf noch Beine, sind aber eindeutig lebendig. Macht jetzt diese Raupe einen Kopfstand oder richtete sie sich vom Schwanz her auf? Einen Elefanten sehe ich auch, der bläst mittels Föhn seinen Rüssel auf oder hat er gar Viagra geschluckt? Raupe eins zeigt ein wenig Bauch, Raupe zwei bohrt Löcher in ihren blauen Kokon und steckt menschliche Hände durch. Sie hat Hunger und schmiert sich sehr geschickt ein Butterbrot, weil sie keine Augen hat, fällt es ihr aus der Hand. Sie verlässt ihre Haut, wird zur schönen Frau im rosaroten Body, die sich die Haut um den Kopf wickelt.

Unheimlich sind mir diese drei Wesen, vergängliches Fleisch und Knochenmaterial in unvergänglichem Plastik, keineswegs. Auch das Publikum schaut eher amüsiert, ein wenig erstaunt und verwirrt, aber kaum ängstlich. Mind the gap! Zwischen dem Gezeigten und dem Wahrgenommenen ist eine Lücke. Das war schon bei der Premiere von „LOSS“ im brut (Februar 2017) so. Jede sieht, was sie sieht. Und das ist etwas anderes als die Nachbarin. Die Schöpfer oder Schöpferinnen einer Darbietung haben keinen Einfluss auf die Assoziationen, Gedanken und Empfindungen der Zuschauerinnen. Im Hintergrund: Raupe zwei, fast menschlich (Hoffer). © Erli Gruenzweil

Die Wesen kommunizieren nicht miteinander, kriechen einsam ihren Weg oder erstarren in akrobatischen Posen (ach ja: Skulpturen. Alfredo Barsuglia ist bildender Künstler). Das Rascheln und Knistern der blauen Haut ist ihre Musik, sie spielen mit dem Licht in der Finsternis, damit es leuchtet, schnurrt der Akku, der Elefant zaubert Bilder von Verzehrbarem auf beleuchtete Flächen. Endlich, im letzten Drittel, findet eine Begegnung zwischen Raupe eins und Elefant statt. Küssen sie einander? Viel passiert ja nicht unter dem Milchglasdach im Museumskeller, einige Zuschauerinnen meinen, sie hätten nun genug gesehen, streben dem Aufzug zu.

Auch der Lautsprecher hat eine Haut und ist unkenntlich. © Erli GruenzweilErst am Schluss, wenn sich die Lebewesen aus ihren Häuten geschält haben, die ebenfalls blau verhüllten Lautsprecher samt den abgeworfenen Häuten zu einem Turm geschichtet sind, die Performer samt der Performerin die Bühne verlassen haben, wird es ein wenig unheimlich. Klopfgeister regen sich, machen geisterhafte Musik, bleiben unsichtbar.

Da hat aber die Mehrheit der Zuschauerinnen den Raum bereits verlassen, applaudiert der leeren Bühne, auf der Gespenster hörbar toben. Der Rest hat verstanden, wartet auf den Abschluss der Performance samt Verbeugung und bemüht sich redlich, den verdienten Applaus nicht gar zu mager klingen zu lassen.

Oleg Soulimenko: „LOSS“, mit Alfredo Barsuglia, Jasmin Hoffer, 10. August 2017, Leopold Museum im Rahmen von ImPulsTanz.
Noch eine Vorstellung am 13. August 2017.