ImPulsTanz: Navaridas & Deutinger „Pontifex“
Mit Ikonen der Populärkultur und den von ihnen oder über sie verbreiteten Phrasen setzt sich das Duo Marta Navaridas & Alex Deutinger wortreich auseinander. „Pontifex“ heißt die neue fast heilige Show, die dem regierenden Papst Franciscus auf den Mund schaut. Das international erfolgreiche Duo zeigt seine satirische Text-Analyse mit reichlich Show-Elementen und der Musikerin Adina F. Camhy im Casino am Schwarzenbergplatz.
„Your Majesties“, entstanden 2010, war die ironische Verbeugung vor dem frisch gewählten US-Präsidenten Barack Obama; Mit „Queen of Hearts“ drückte das Duo 2016 Diana Francis Spencer, Fürstin von Wales, schlicht als Prinzessin Diana in die Geschichte eingegangen, ans globale Herz.
Die Ikone ist längst tot (†1997), es lebe die Ikone! Die neue natürlich, die nun auf dem Podest steht, unantastbar so wie so und heilig, ein heiliger Vater: Jorge Mario Bergoglio, der erste Jesuit auf dem Papstthron, Franciscus. Wie Obama und Diana (eine Freundin, die alle umarmen dürfen, hat nur noch ihren Vornamen) lassen Navaridas & Deutinger auch den Papst über die eigenen Worte stolpern. Ausgangsbasis für „Your Majesties“ war Obamas Rede anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises, bald nach der Amtseinführung 2009. Um Diana näher zu kommen, studierten sie (sowohl Navaridas wie Deutinger haben ihr Übersetzer- und Dolmetsch Studium abgeschlossen) deren Bekenntnisse und Aussagen; für „Pontifex“ zerhackt Deutinger, damit sie an Deutlichkeit gewinnt, die Rede des „heiligen Vaters“, die der Pontifex 2016 im Vatikan anlässlich der Verleihung des Karlspreises der Stadt Aachen gehalten hat. Ein Preis, den alljährlich eine Person für „Verdienste um Europa“ erhält. Marketing für die Stadt Aachen, Medaille und Reklame für den Geehrten. Der Name des Preises erinnert an Karl den Großen, † 814 in Aachen, auch so eine herumgeschobene Vorzeigepuppe, je toter, desto unantastbarer.
Zurück zu Marta Navaridas und ihrem Partner, dem unnachahmlichen Performer Alex Deutinger. Um dieses, keineswegs nur so hingesagte, „unnachahmlich“ zu belegen, hole ich das Schlussbild hervor. Alex legt im blütenweißen String Tanga mit dem hochgehaltenen hl. iPad – Elevation! – einen imaginären Rollschuh- oder Eiskunstlauf hin, fast eine Arabeske. Allein für diese letzte Runde möchte ich ihn und die Partnerinnen umarmen. Federico Fellini fällt mir ein und seine Inszenierung der barocken vatikanischen Modenschau, in der am Ende Kleriker, Nonnen und geladene Gäste in Tränen ausbrechen, weil die Papstpuppe im vor Gold und Silber starrenden Käfig, von Straußenfedern umwedelt, erscheint. „Verlass uns nicht! Bleib bei uns!“. „Pop – Pope – Populisme“ zitiert das ImPulsTanz Festival-Programmheft. Nur ein Wortspiel?
Deutinger zitiert den Papst mit seiner Europarede, in der er vor allem erzählt, wovon er träumt. Von sämtlichen Klischees einer heilen Welt. Der Daila Lama tut das und Paul Coelho ebenfalls. Adina F. Camhy untermalt und kontrastiert diese, von Deutinger durch viele Fragezeichen und Wiederholungen akzentuierte, Ansprache als päpstliche Orgelspielerin mit ihrer Musik. Wenn es an der Zeit ist, zu beten, vereinigen sich alle drei Performerinnen zum Choralgesang, auch „unsere Mutter“ wird angehimmelt. „Mater nostra!“, damit meint Franciscus nicht Maria mit dem Jesuskind im Arm, sondern das gar nicht arme Europa. Er scheint seine Assoziationen allerdings weniger auf die Landkarte zu richten als auf üppige weibliche Brüste. Unter Marta Navaridas flinkem Stift erscheinen sie paarweise auf der Videowand. Als Showzeichnerin entwickelt Navaridas aus anfangs undefinierbaren Linien und Punkten immer wieder neue Interpretationen und Assoziationen, ein herrlich illustriertes Universum. Beeindruckend etwa das in kollektive Ergriffenheit versinkende Volk, angesichts eines pontificalen Auftritts. Die Beschäftigung mit dem Heiligen scheint auch die Performerinnen geheiligt zu haben. So ist Marta der Levitation fähig, braucht dazu lediglich ein Paar Sprungstelzen, die große Sprünge erlauben, so man fähig ist, die Balance zu halten. Hl. Marta kann.
Die Balance gelingt Navaridas / Deutinger nicht immer in dieser ironischen und im besten Sinne der Aufklärung verpflichteten Show. Zwar gibt es eine nett gestaltete Einladung zur Teilnahme an der Preisrede, die den Ablauf des Festes mit verständlichen Szene-Titeln erklärt, doch lassen die energiegeladene Freude am Spiel, dieses immer wieder über die Ufer treten, Längen und Redundanz eingeschlossen. Klar, eine sakrale Veranstaltung muss eine Kollekte beinhalten. Das dauert. Erst wenn die Hosenknöpfe im zum Klingelbeutel umfunktionierten Schmetterlingsnetz landen, hat sichs ausgebettelt.
Der hinreißende Schluss mit der Elevation des Profanen, dem ferngelenkten bunt blinkenden und leise gurrenden Friedenstäubchen, das von Navaridas mit dem Schmetterlingsnetz verfolgt wird und der unnachahmliche (sic!) Beinschwung Alex Deutingers versöhnen mich, mit Papst und der Welt.
Mit der fantasievollen Performance samt Musik und Nebelschwaden kann es die Pontifex-Show mit jeder Inszenierung eines Teleevangelisten aufnehmen. Navaridas & Deutinger vergleiche ich aber lieber mit Nanni Moretti oder Federico Fellini. Beide Italiener haben sich mit dem Amt des Pontifex und dem Vatikan auf satirische Weise filmisch auseinander gesetzt. Moretti mit „Habemus Papam“, Fellini in „Roma“. Lässt Moretti den gewählten Papst vor Schreck und Unwillen den Vatikan fluchtartig verlassen, so tanzen bei Fellini die klerikalen Puppen über den Laufsteg. Dort wie da geht es nicht um konkrete Personen und auch bei Navaridas & Deutinger steht nicht die Person, der Mensch Jorge Bergoglio am Pranger, untersucht wird ein Phänomen, das Bild, das die Medien dem Volk (Populus) zeigen und das diese dann zur Ikone erhebt, zur Pop-Ikone. Dafür und auch für die kluge Unerhaltung, minus 9 Minuten, hat das Trio den Applaus verdient.
Navaridas & Deutinger: „Pontifex“, Premiere am 27.7. 2017 im Rahmen der Sommerszene Salzburg. Wien-Premiere im Rahmen von ImPulsTanz am 7.8. 2017, Casino am Schwarzenbergplatz. Nächste Vorstellung am 9.8.2017.