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ImPulsTanz: „War (Ein Kriegstanz)“

Alexandra Mabes, Amanda Piña: Hoko. © nadaproductions

Krieg ist schrecklich, unerträglich, tödlich. Das macht schon die Eingangsmusik klar, der Kriegslärm kann durch Ohrstöpsel gedämpft werden. Es ist eben nicht Krieg, sondern eine Vorführung. Zwar nennen sie Amanda Piña & Daniel Zimmermann „War (Ein Kriegstanz)“ und erzählen auch vom Krieg, vom Ersten und vom Zweiten Weltkrieg und vom heutigen globalen Weltkrieg, doch nicht Kriegsberichte sind das Ziel der Performance im Volkstheater, sondern die Tänze und Gesänge, mit welchen die Künstler_innen und die Bewohner_innen Polynesiens davon erzählen. Ein getanztes Manifest gegen die Zerteilung von Kunst in zeitgenössische versus traditionelle.

Noch während die Ohren dröhnen, bedroht uns das Kriegsgerät. Auf der Leinwand im Hintergrund, die später den Text der rhythmischen Gesänge wiedergeben wird, sind Gewehre und Pistolen, Helme und Uniformen, von Nicolás Spencer feinst arrangiert und 3D-visualisiert, zu sehen. Auch die nun gezeigten Kriegstänze, begleitet von dumpfen Trommelschlägen, rhythmischem Sprechgesang oder elektronischem (also ganz eigens von Christian Müller am Computer komponiertem) Klang, gehen unter die Haut. So schlicht und eindringlich kann man vom Krieg berichten, den Krieg beklagen, sich vor dem Krieg fürchten und auch sich Mut machen, um sich zu wehren. Der Hoko auf einem alten Bild. © nadaproductions

Das choreografische Ausgangsmaterial sind akribisch recherchierte Tänze aus Polynesien. Das Team von Piña/Zimmermann: nadaproductions hat sie in den 1980er und 90er Jahren auf der Osterinsel rekonstruiert und entwickelt. Begonnen wurde mit dem Hoko, dem berühmten Kriegstanz der Rapa Nui, den Bewohner-innen der Osterinsel. Von den Osterinseln stammt auch der Tänzer und Choreograf Pascual Pakarati, der der aktuellen Aufführung das Echtheitszertifikat verleiht. Er zeigt eine Reihe von Tänzen, überlieferte und eigens von lebenden Choreografen geschaffene, und auch seinen Sinn für Humor.

Pascual Pakarati im Tanzkostüm. © nadaproductionsDen beweist er auch in der anschließenden Diskussion über die noch immer in der Kunstwelt geisternden Vorstellungen von ethnischem (noch nicht im Heute angekommenem) und modernem Tanz.
Die Frage, ob "nur" für von weit her angereiste Touristen oder für die in der Mehrheit aus der industrialisierten Welt stammenden ImPulsTanz Festival-Touristen getanzt wird, und welche Show mehr Wert hat, sollte sich längst erübrigt haben.

Neben dem Hoko der Rapa Nui zeigen die Tänzerinnen Piña und Alexandra Mabes auch weniger martialische Tänze aus Hawaii, Hula genannt. Pakarati lässt als schwarzer Schatten zum gestampften Tanz Haka auch den überlieferten Kriegsschrei hören. Damit lehren die Männer des Maori-Volkes den Feinden das Fürchten und machen sich selbst Mut. Nahtlos reihen sich heute geschaffene Choreografien, entstanden aus dem tradierten Bewegungsmaterial, in die Performance.

Die in der westlichen (europäischen) Welt gern behauptete Trennung von moderner, zeitgenössischer Tanzkunst und traditionellem oder ethnischen Tanz (bestenfalls für sensationshungrige Touristenaugen geeignet) wird in dieser überaus spannenden und trotz der anmutigen Tänzerinnen aufwühlenden Vorstellung aufgehoben. Piña und Mabes tanzen eine hawaianischen Hula, der Text ist die Musik. ©nadaproduction

nadaproductions protestieren dagegen, dass alles, was außerhalb der industrialisierten Kunst-Welt passiert, als exotisch oder traditionell, wenn nicht gar als folkloristisch gesehen wird. „Der Hoko wird von uns keineswegs als traditioneller Tanz aufgeführt. Es ist ein zeitgenössisches Produkt. Heutig und aktuell. Wenn wir in ,War (Ein Kriegstanz)‘ den Hoko und andere Choreografien tanzen, so zeigen wir nicht leblose Romantik von edlen Wilden. Wir tanzen jetzt und hier.“

Der Tänzer / Choreograf wird interviewt. Amanda Piña übersetzt, Pascual Pakarati antwortet auf Rapa Nui, Elisabeth Tambwe fragt auf Französisch. Es darf gelacht werden. © nadaproductionsWie lebendig diese Kriegstänze sind, wie präsent und eindringlich, davon konnte sich das Publikum im Volkstheater überzeugen. Der Ernsthaftigkeit des Themas, der künstlerischen Arbeit des Teams und vielleicht auch der Wucht der Erkenntnisse entsprechend, war der Applaus verhalten, doch kräftig und langanhaltend.

Ein Aperçu: Die Frage, wie denn unsere (Anti-)Kriegstänze aussehen, beschäftigt mich. Eines ist klar, in Europa wird nicht gegen den Krieg getanzt, es wird in ihn hinein marschiert. Militärmusik ist Marschmusik und die richtet sich nach dem Herzschlag, damit sie uns gefällt und mitreißt.Buchcover der Biografie von Hanna Berger (Andrea Amort) © Brandstetter. Vielleicht schafft der amtierende Bundespräsident den Aufmarsch der Männer am 26. Oktober endlich ab. Vielleicht tanzen dann Amanda Piña, Alexandra Mabes und Pascual Pakarati den Hoko oder den Hula und einen Tamuré.
Die Tänzerin Hanna Berger (1910–1962) hat es mit ihrem Solo, „Krieger“, 1937 gewagt, Abscheu und Warnung vor dem Krieg zu tanzen. Sie musste Deutschland verlassen, doch die Nationalsozialisten schnappten sie 1942 in Polen, brüllten „Hochverrat“ und verurteilten sie zur Zwangsarbeit. Ihr ist einer der Tänze in „War“ gewidmet.

Amanda Piña & Daniel Zimmermann / nadaproductions: „War (Ein Kriegstanz)“, mit Alexandra Mabes, Pascual Pakarati, Amanda Piña: Tanz; Elisabeth Tambwe als Interviewerin. 23. Juli 2017, Volkstheater. Im Rahmen von ImPulsTanz.