Giselle Rouge – Ioanna Avraam wie die Spessivtseva
Ioanna Avraam hat zum ersten Mal die Titelrolle getanzt und fast scheint es als wäre die russische Tänzerin, der Boris Eifman sein Ballett „Giselle Rouge“ gewidmet hat, wiedererstanden. Die wenigen Bilder, die von Olga Spessivtseva erhalten sind, werden lebendig, wenn Avraam mit allen Fasern ihres biegsamen Körpers Lebensstationen der sensiblen Tänzerin darstellt. An ihrer Seite debütierten Mihail Sosnovschi als für die Ballerina entflammter Kommissar und Andrey Teterin als eleganter Lehrer. Roman Lazik beeindruckt als Bühnenpartner in Paris. Eine Aufführung, die einhellige und lautstarke Begeisterung fand, nicht nur für die großartigen Leistungen auf der Bühne sondern auch im Orchestergraben.
Endlich scheint die wahre Giselle Rouge, Olga Spessivtseva, gefunden zu sein: Die zarte, ausdrucksstarke Solotänzerin Avraam ist in dieser sowohl technisch wie darstellerisch überaus schwierigen Rolle ein Erlebnis. Mit dem nahezu unendlichen Repertoire an Ausdrucksmöglichkeiten ihres Körpers bedarf sie keiner Worte, um von Liebe und Leid, Angst und Not, Enttäuschung und auch kurzem Glück zu erzählen. Ihre, bei Eifman vor allem unglückliche, Tänzerin ist ein lebendiges Wesen, eine an der Politik und an den Männern zerbrechende Frau und zugleich eine Ballerina, die mit höchster Tanzkunst und intensivem Ausdruck die Herzen der Zuschauerinnen zusammenpresst.
Verwunderlich, dass Mihail Sosnovschi den „Kommissar“ erst in den letzten beiden Vorstellungen der Serie tanzen durfte. Er ist kein grober Tschetnik, der sich die Tänzerin einfach nimmt, eher ein leidenschaftlicher Mann, der seine Angebetete zur Liebe überreden will, machtbewusst zwar aber nicht grob oder gewalttätig. Dennoch Olga, die „rote Giselle“ zaudert voll Furcht, noch gehört ihre Liebe nur dem Tanz. Vielleicht auch dem Tanzlehrer, den Andrey Teterin mit Nonchalance und Geschmeidigkeit gibt. Ein erfreuliches Debüt.
Solotänzer Roman Lazik ist zurzeit in Bestform, was immer er zu tanzen oder wen immer er darzustellen hat, ist gewandt, mühelos und wirkungsvoll. Lazik darf auch als „Partner“ (und Albrecht im zweiten, an das originale Ballett „Giselle“ angelehnten Teil) sein, was er ist – ein Danseur noble des 21. Jahrhunderts, der seine Rolle ausfüllt, mehr ist als ein langweiliger Hebekran. James Stephens ist der immer wieder gern gesehene „Freund“.
Andreas Schüller und das Volksopernorchester meistern das von Eifman zusammengestellte Pasticcio (Musik vor allem Peter Tschaikowsky und Alfred Schnittke, ein wenig Georges Bizet) ohne die Tänzer_innen auf der Bühne zu vergessen.
Sind die Damen des Corps de ballet durch den ständigen Wechsel und auch einige Debüts etwas irritiert, so machen die Herren einen sicheren und motivierten Eindruck.
Langanhaltender Applaus und mehrere Vorhänge zeigten, dass auch das Publikum mehr als nur einen flüchtigen Eindruck von dieser besonderen Vorstellung gehabt hat.
Boris Eifman „Giselle Rouge“, Debüt von Ionna Avraam in der Titelrolle, Mihail Sosnovschi als „Kommissar“, Andrey Teterin als „Lehrer“, Roman Lazik ist der „Partner“. Dirigent: Andres Schüller. 8. Vorstellung am 18. April 2017, Wiener Staatsballett in der Volksoper.
Letzte Vorstellung in dieser und auch für die nächste Saison: 5. Mai 2017.