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„Onegin“ mit Nina Poláková und Roman Lazik

Tatjan erträumt sich Onegin (Poláková, Lazik) © Ashley Taylor

In den letzten beiden Vorstellungen von John Crankos emotionalem Ballett „Onegin“ nach Alexander Puschkin tanzt Nina Poláková eine beeindruckende Tatjana. Roman Lazik ist der „Onegin“ schlechthin, vom ersten Auftritt an unerträglich (gut). Alice Firenze ist eine verschmitzte Olga und Masayu Kimoto ihr jähzorniger Bräutigam Lenski. Alexis Foraboscot zeigt, einfühlsam und kräftig, einen fürstlichen General.

Mit der letzten Aufführung am kommenden Mittwoch ist die unvergängliche Choreografie 46 Mal gezeigt worden. Die Premiere fand 2006 (Ballettdirektion: Gyula Harangozó) statt. Im April 2008 tanzte der ehemalige Erste Solotänzer in Wien, Támas Solymosi, als Gast mit Polina Semionova das Königskinder-Paar. Zufall: Mit der Rolle der Tatjana kehrt Semionova dieser Tage nach einjähriger Babypause als Stargast wieder an das Staatsballett Berlin (Leitung: Nacho Duato) zurück.
Noch sind sie ein unbeschwertes Paar: Olga und Lenski (Firenze, Kimoto). Alle Fotos: © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor Für mich aber war damals der Star Vladimir Malakhov als Lenski. An den kommt Masayu Kimoto (noch) nicht heran. Er überzeugt zwar im ersten fröhlichen Pas de deux mit seiner flatterhaften, tanzlustigen Braut (flink und anmutig: Alice Firenze) als gut gelaunter Gast im Hause Larina und beeindruckt auch in seiner wütenden Eifersucht, wenn der hochnäsige Onegin, der eben Olgas Schwester Tatjana gedemütigt hat, als typische Übersprunghandlung Olga auf den Tanzboden zerrt. Sie hat nichts dagegen und Lenski flippt aus. Als romantischer Dichter, der sich den Tod fürchtet und ihn aus kindischem Stolz nicht abwenden will, vermisse ich bei Kimoto die weiche Trauer, die den Herausforderer des Duells mit Onegin erfasst. Quick mit den Beinen, elegant im Sprung, aber hart und eckig beim Port de bras.
Sterben muss er dann schnell im Hintergrund. Vorn vergießen die Schwestern Tränenströme im kalten Mondenschein. Olga findet bald einen Neuen. Tatjana wird züchtig waltende Hausfrau. Immerhin im fürstlichen Haushalt. Das reizt den blasierten Gockel. Alexis Forabosco macht gute Figur als Fürst Gremin

Roman Lazik und Nina Poláková sind keine papierene Figuren, ausgeschnitten aus dem Choreografiealbum. Sie sind lebendige Menschen, Mann und Frau von heute, ihren Träumen und Gefühlen ausgeliefert. Wenn die junge Tatjana sich selbst erniedrigt und wie eine Motte den gelangweilten Onegin umtänzelt, leidet auch das Publikum. Auf die eine oder andere Weise. Wenn Onegin sie im Moment des Umdrehens vergessen hat, sodass er sich scheinbar bei jedem Zusammentreffen neu vorstellen muss, versteht man, wie wenig in diesem sich erhaben fühlenden Stadtfrack vorgeht. In den beiden so unterschiedlichen Schlafzimmer-Pas de deux zeigen Poláková und Lazik eine reiche Gefühlspalette, die die gesamte Geschichte enthält.
Das erträumte Glück der Tatjana wird am Ende zu Glas.
Da kriecht er nun, der stolze Tor (Lazik), sie gibt ihm zurück, was er ihr einst angetan (Poláková)Tatjana, so bewundernswert in ihrer Haltung (wie auch die Rollenträgerin selbst) und Onegin, so abscheulich, ungehobelt am Beginn von Tatjanas Schwärmerei und so kriecherisch, abstoßend am Ende. Ich bin überzeugt, er spürt auch da keine Liebe, will die schöne Ehefrau des Fürsten nur besitzen. Sie schickt ihn fort. Ihr Weinen am Ende ist nicht nötig. Es wäre nichts Gutes geworden aus dieser Liaison.

In welcher Welt Tatjana, die Leseratte, eigentlich lebt und wo Puschkin die seine ansiedelt, hat Alfred Oberzaucher (ehemals Ballett-Dramaturg an der Wiener Oper)  im Staatsopern-Magazin „Prolog“ mithilfe der russischen Schriftstellerin Natalia Malachowskaja schon 2008 erklärt. Nachlesen!

Nachgeholt: Der Applaus nach der 45. Aufführung war lautstark, anhaltend, voll Begeisterung. Da konnten die Türen noch so deutlich aufgerissen werden, in Parkett und Parterre blieb man sitzen, um sich zu bedanken und die Tänzer_innen zu bejubeln. Nicht jede Premiere wird so enthusiastisch akklamiert.

John Cranko. „Onegin“, Ballett in drei Akten (sechs Bildern) nach dem Roman in Versen „Eugen Onegin“ von Alexander Puschkin. 10.4. 2017, Wiener Staatsballett in der Staatsoper.
Letzte Vorstellung in dieser (und auch für die nächste) Saison am 12.4. 2017.