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Gastspiel: Oslo Nasjonalballetten – „Gespenster“

Norwegisches Nationalballett: "Gespenster" © Erik Berg

Im Theater an der Wien zeigt das Norwegische Nationalballett eine getanzte Version von Henrik Ibsens Drama: „Gespenster“. „Ein Familiendrama“ nennt Ibsen das 1881 uraufgeführte Stück im Untertitel. Die osloer Gesellschaft war empört über die Dekonstruktion der Familie Alving. Der Vater, Kapitän Alving, ist nach einem zügellosen Leben längst tot, doch die Schatten der Verganenheit leben. Schweigen und Vertuschen führen schließlich zum Einbruch der gutbürgerlichen Fassade. Zu lange ist geschwiegen worden,  Lügen und Geheimnisse müssen aufgedeckt werden.

Helne Alving (Camilla Spidsøe ) in Erwartung des Sohnes. © alle Bilder Erik Berg Henrik Ibsens Drama besteht nur aus Dialogen, Handlung gibt es kaum, es wird geredet und geredet, Schuld zugewiesen und bereut, wenn die Personen (Mutter Alving, der Sohn Osvald, der Freund des Hauses Pastor Alving, das Hausmädchen Regine und ihr Stiefvater, der Zimmermann Engstrand) im Gartenzimmer der Alvings aufeinandertreffen.

Das ist nicht leicht ohne Worte in reine Bewegung umzusetzen. Zu dritt hat man es in Oslo dennoch gewagt: Regisseurin Marit Moum Aune, die Tänzerin / Choreografin Cina Espejord und der Jazztrompeter / Komponist Nils Petter Molvær haben das wortreiche Drama in wortlose Bewegungen umgesetzt. Und gewonnen.  Mit einem theatralischen, bedrückend unheimlichen Ballett, das ganz auf den Ausdruck der Gefühle setzt.

Im Original nennt Ibsen sein Stück von den Sünden der Väter (und Mütter) „Gengangere“, das heißt „Wiedergänger“ und, anders als im Wortdrama, schleichen auch die Toten (Osvald und Regine als Kinder, die junge Helene Alving, der tote Kapitän Alving und der junge Pastor) als Zombies durch das einsame Haus (Even Børsum) am Fjord, tauchen im Oberstock auf, tappen über die Treppen, erzählen von Missbrauch, vielleicht auch von Kindsmord, von Betrug, verbotener Liebe und harscher Zurückweisung. Familienkonferenz (Grete Sofie Borud Nybakken, Andreas Heise, Camilla Spindøe, Kristoffer Ask Haglund, das Kind)

In Norwegen ist die verwickelte Handlung von Ibsens Drama wohl besser bekannt als in Mitteleuropa, doch stört es kaum, dass manches der Geheimnisse, die allmählich ans Licht treten, im Dunkel bleibt. Auch wenn zu Beginn in einem Video das Setting des Stückes und die Personen der Handlung in drei Sprachen (Norwegisch, Englisch und Deutsch) vorgestellt werden, sind Genuss und Schrecken sicher intensiver, ist die Handlung des Dramas präsent.

Expressiv und brutal. Getanzt wird auf den zwei Ebenen des nach allen Seiten offenen Hauses, das Ausbilck auf den Fjord und das tosende Meer gibt und auch die Toten als verschwommene Bilder auftauchen hereinblicken lässt. Von Jan Bang am Sampler unterstützt, begleitet Nils Petter Molvær  live mit der Trompete. Bedrohlich und gespenstisch.
Regine mit dem Stiefvater (Borud Nybakken, kristian Alm)Die Solist_innen des Norwegischen Nationalballetts sprechen mit den Körpern, tanzen Angst und Schrecken, Erinnerungen, Schuld und Reue. Ein Tableau wechselnder Emotionen, hochexpressiv mit gewagten Hebungen, rasanten Drehungen und brutalen Pas de deux. Von Beginn an ist die Bedrohung in der Musik zu hören, Donnergrollen, Meeresrauschen, Schicksalsklopfen.
 Im Lauf der Szenen drängen sich die Toten immer mehr in den Vordergrund, steigen aus der oberen Ebene herab, mischen sich ins Geschehen. Das Unheimliche macht sich breit im schwarzgrauen Haus Alving. Wenn die beiden Kinder, Schüler und Schülerin der nationalen Ballettschule, ihren Pas de deux tanzen, sind kalte Schauer vorprogrammiert.

Gänsehaut inbegriffen. Ein einziger kurzer Lichtblick erhellt diese düstere Geschichte. Osvald (Andreas Heise, der auch seinen verstorbenen Vater darstellt) verliebt sich in Regine, ohne zu wissen, dass sie seine Halbschwester ist – für kurze Zeit sind die beiden ein fröhliches Paar. Erinnerung an vergangene Liebessünden (Camilla Spidsøe, Helene Alving; Ole Willy Falkhaugen, Pastor)
Umso heftiger bricht die Wahrheit über sie herein.
Mit seinem Holzbein zertrampelt Regines Stiefvater Engstrand (Kristian Alm) das unmögliche Glück. Regine (Grete Sofie Borud Nybakken) verliert ihren kindlichen Charme, ihre unterwürfige Dienstbeflissenheit als Hausmädchen, wendet sich auch von ihrem Erzieher ab. Camilla Spidsøe ist die zentral Figur, Helene Alving, die mit ansehen muss, wie ihr Sohn zugrunde geht. Einst wollte sie ihren Mann verlassen, um den Pastor (Ole Willy Falkaugen) zu heiraten. Der, engherzig und moralinsauer, hat sie zurückgewiesen. Sie ist es, die die Falltüre öffnet, damit die Leichen aus dem Keller steigen können.

Am Ende senken sich die schwarzen Wände um das Haus, Flammen lodern auf, alles ist grau und tot. Ausweg gibt es keinen. Osvald stirbt.

Am Ende bleibt das Grauen (Andreas Heise, Camilla Spidsøe)Der ebenso bedrückende wie beeindruckende Abend entlässt die Zuschauerinnen zugleich bestürzt und fasziniert. Mit langanhaltendem Applaus wird dem Norwegischen Nationalballett gedankt.

Was es noch zu sagen gibt: Das Nationalballett, gegründet 1958 , zehn Jahre vor dem kleinen schwedischen Cullberg Ballett, ist die einzige klassische Ballettkompanie in Norwegen und Teil der Norwegischen Oper. Oper und Ballett sind in Oslo gleichwertige Kunstformen an „Den Norske Opera & Balett“ mit gleich vielen Vorstellungen. 2016 tanzten die 54 Tänzer_innen 142 Aufführungen. Bemerkenswert!

Cina Espejord und Marit Moum Aune: „Gespenster“ Ballett nach dem gleichnamigen Drama von Henrik Ibsen. Musik von Nils Petter Molvær. Gastspiel des Norwegischen Nationalballetts Oslo im Theater an der Wien, 3. und 4. April 2017.