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Nina Poláková in Eifmans Ballett „Giselle Rouge“

Nina Poláková mit Robert Gabdullin. © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor

Zwei Jahre nach der Premiere ist an der Wiener Volksoper Boris Eifmans Ballett „Giselle Rouge“ in teilweise neuer Besetzung wiederaufgenommen worden. Nina Poláková wurde für ihr Debüt in der Titelrolle vom Publikum gebührend gefeiert. Begeistert zeigten sich die Besucher_innen auch von Vladimir Shishovs Interpretation des gewalttätigen Kommissars.

Boris Eifman widmet seine Choreografie der großen russischen Ballerina Olga Spessivtseva, die eine bis heute gültige Giselle (Titelrolle im Ballett von Marius Petipa zur Musik von Adolphe Adam) kreiert hat, deren ausgewählte Lebensstationen er in 15 Szenen streift. Eifman schnitzt seine Bilder nicht gerade mit feiner Klinge. Effektvoll, plastisch, direkt zeigt er der Ballerina Aufstieg und Fall bis sie im Wahnsinn endet. Lässt auch die Folterung des dem klassischen Ballett verpflichteten Tanzlehrers (Kamil Pavelka) durch die roten Garden nicht aus. Eifman fühlt sich der realen Geschiche nicht verpflichtet, er will einen opulenten Film zeigen. Die Realität sah etwas anders aus, noch tragischer, nohc grausamer aber mit einem versöhnlichen Ende. Spessivtseva bleibt zwar nach einem neuerlichen nervösen Zusammenbruch 1943 zehn Jahre vergessen in der Klinik. Doch wird sie von ihrem einstigen Tanzpartner Anton Dolin wieder in die Welt zurückgeführt. Getanzt hat die Spessivtseva dann nicht mehr, sie engagierte sich in einem Künstlerheim und ist 1991 hochbetagt in Valley Cottage, NY gestorben. Wenn die roten Fahnen wehen, hat die Kunst das Nachsehen. © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor

Die wahre und wirklich tragische Lebensgeschichte der Olga Spessivtseva ist aber für die Ballettaufführung gar nicht relevant.  Sein Verdienst ist es aber die einst weltberühmte Ballerina dem Vergessen wzu entreißen.  Doch mit seiner durch üppige Kostüme und spektakuläre Bühnenbilder (Wiacheslav Okunev) faszinierenden Choreografie, will er vor allem durch große Emotionen und aufregende Pas de deux unterhalten. Großes Kino auf der Ballettbühne, die Ballerina im Zentrum. Dass ds Corps de ballet eher mechanisch agiert, ist daher nicht verwunderlich. Es ist Staffage und Maschine, mehr liegt nicht in Eifmans Intention. 
Nina Poláková als "Giselle" in "Giselle Rouge" von Boris Eifman. © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor So darf die rote Giselle (das Epitheton ist eine Anspielung auf ihre Ehe mit einem führenden Bolschewisten, im Ballett der „Kommissar“, und ihre erzwungenen Auftritte während der Revolution) den gesamten Abend auf der Bühne sein, unterbrochen nur durch die rasanten Kostümwechsel hinter dem Vorhang. Nina Poláková zeigt gleich im ersten überaus akrobatischen und verwickelten Pas de deux mit Shishov ihr technisches Können. Sie ist keine zerbrechliche, neurotische Ballerina, die ohne Mann an ihrer Seite nicht sein will. Im Gegenteil, die Erste Solotänzerin, mimt ein spröde junge Frau, die genau weiß was sie will, aber immer wieder an die falschen Partner gerät. Zwar hilft ihr der grobe Ehemann (Shishov) schließlich ein Ausreisevisum nach Paris zu erhalten, doch verliebt sie sich dort in den homosexuellen Solotänzer, der sie als Tanzpartnerin kürt, aber ihre Liebe entschieden zurückweist.
Poláková gelingt es die unterschiedlichen Facetten ihrer Figur, gespiegelt am Verhalten zu den Männern und in so komplizierten wie attraktiven Pas de deux gezeigt, klar zu machen und ist am Ende eine so verwirrte Tänzerin, die ihren Platz nicht mehr findet, dass ich mich sekundenlang frage, ob es jetzt Giselle ist oder doch Nina, die nicht weiß, wo sie ihre Füße hinsetzen soll. Bis sie hinter den Spiegeln verschwindet. Fast eine Vergewaltigung: der Kommissar und sein Opfer (Vladimir Shishov, Nina Poláková). © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor

Robert Gabdullin ist der Pariser Startänzer, elegant, feinfühlig und auch als Albrecht in der zitierten Szene aus der originalen „Giselle“ präsent und sicher. Eifman nennt die Rolle nur „Partner“. Und weil er gerne mit einem hübschen Holzhammer arbeitet, gibt er ihm auch einen Liebhaber bei, dessen Part zum ersten Mal dem begabten Halbsolisten James Stephens anvertraut war. Damit alles klar ist
Andrea Némethová (Corps de ballet) debütierte als Bathilde im „Giselle“-Zitat, das Eifman von herzzerreißenden Kompositionen von Alfred Schnittke begleiten lässt.

Eifman zeigt ein für die Tänzer_innen herausforderndes und für das Publikum deutlich erzähltes Ballett, das alle Sinne befriedigt und dementsprechend enthusiastisch beklatscht worden ist.

Boris Eifman: „Giselle Rouge“, Musik von Peter Iljitsch Tschaikowski, Alfred Schnittke, Georges Bizet und Adolphe Adam, dirigiert von Andreas Schüller. Mit Nina Poláková, Kamil Pavelka (Tanzlehrer), Vladimir Shishov, Robert Gabdullin. 31. März 2017, Volksoper.
Noch vier Vorstellungen in dieser Saison:
6., 25. April 2017 in derselben Besetzung.
18. April und 5. Mai 2017 mit Ionna Avraam, Mihail Sosnovschi (Kommissar), Roman Lazik (Partner) und Andrey Teterin (Lehrer).