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„Le Pavillon d’Armide“ mit neuer Besetzung

Jakob Feyferlik ist "Der Mann / Waslaw Nijinsky" © …/ Ashley Taylor

Eine zweite Premiere des Neumeier-Abends mit den beiden Choreografien „Le Pavillon d’Armide“ und „Le Sacre“ konnte das danach nahezu euphorische Publikum in der Staatsoper genießen. Nahezu alle Rollen waren neu besetzt. Lediglich die unvergleichliche Rebecca Horner (Solotänzerin des Wiener Staatsballetts) drehte einsam ihre Runde wie schon in der Premiere von „Le Sacre“. Im „Pavillon“ hat Roman Lazik als Platzhalter seine Darstellung in der Rolle des nervösen Arztes und des beleidigten Liebhabers Diaghilev sichtbar intensiviert. Jakob Feyferlik als „Der Mann (Waslaw Nijinsky)“ und Ioanna Avraam als dessen Frau Romola, beeindrucken sowohl technisch wie auch darstellerisch durch  Souveränität und Tiefe.

Der Arzt tröstet Romola Nijinskaja (Roman Laziik, Ioanna Avraam). © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor Jakob Feyferlik meistert die tänzerisch und emotional schwierige Rolle auf seine durch eigene trübe Lebenserfahrung unbelastete Weise. Er zeigt mehr den tanzbesessenen Künstler, als den verwirrten Geist. Explosionsartig versetzt er mich jedoch mit seinem ersten Anfall im Krankenzimmer in Angst und Schrecken. Unruhig und zappelnd, scheint er sich geradezu nach den Interventionen der Pfleger und Pflegerinnen zu sehnen. Ein Kind noch, dass die Umarmung braucht, die ihm die Ehefrau nicht geben kann. Ionna Avraam zeigt zwar, dass sie ihren Waslaw liebt, aber sie kann ihn nicht mehr verstehen, fürchtet sich wohl auch vor ihm. Der Arzt (Lazik) muss sie mitleidsvoll aus dem Krankenzimmer schieben.
In der großen Szene im Park ist Feyferlik in seinem Element, Nijinsky tanzt, tanzt, tanzt. Die Ballerinen der Ballets Russes defilieren mit ihren Partnern und umschweben den Star. Der kann sich nicht ruhig auf der Bank halten, muss mittanzten mit Tamara Karsawina (Liudmila Konovalova) und Alexandra Baldina (Natascha Mair), die als kontrastreiches Duo – jugendlich frisch und zart, die eine (Mair), strahlend mit der funkelnden Aura einer Ballerina Assoluta, die andere (Konovalova) –, mit seinem Alter Ego im Pas de trois, und dem siamesischen Tänzer. Tanzen, tanzen, tanzen.
Davide Dato als Nijinsky in der Urafführung des "Pavillon". © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor
Davide Dato, der in dieser Vorstellung Vaslaw Nijinskys Rolle im originalen Ballett (uraufgeführt 1907 in St. Petersburg) verkörpert, nachdem er bei der ersten Premiere den Danse siamoise gezeigt hat, darf in jedes Kostüm gesteckt werden, komisch aufgeputzt wie vor mehr als 100 Jahren (nach den Originalen von Alexandre Benois), oder modisch im knappen Trikot – er begeistert durch seine Sprünge, seine Ausdruckskraft und Bühnenpräsenz. Das Publikum weiß das und liebt ihn dafür.

Armida bezaubert Nijinsky  (Avram, Feyferlik, Roman Lazik im Hintergrund). © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor Der siamesische Tanz war mit Masayu Kimoto neu besetzt und auch dieser Debütant konnte begeistern. Weich mit ein wenig Ironie gestaltet der aus Japan stammende Kimoto den Fremden aus Siam. Verständlich, dass Nijinsky (Feyferlik) sich von diesem Exoten hinreißen lässt.

Weniger hinreißend waren in dieser 2. Premiere die Spaziergänger_innen, Ballerinen und Tänzer der Ballets Russes im Park. Da herrschte ein nur mühsam kaschiertes Chaos, als hieße der Choreograf John Zufall.
Allein Rikako Shibamoto (dem Corps de balet wird sie bald entwachsen sein) ließ sich nicht beirren, zeigte eine souveräne Ballerina im weißen Tutu, technisch sauber, schwebend, voll Eifer und Charme. An ihr können sich die Augen festhalten und dem Auf und Ab rundum so wenig Aufmerksamkeit schenken, wie Nijinksy, der in seiner Fantasiewelt lebt und dem Hier und Jetzt abgeschworen hat. Manchmal steht Feyferlik nahe an der Bühnenrampe und sieht völlig verloren in die Ferne. Sein Wahn ist weniger grausam als der, den Mihail Sosnovschi dargestellt hat – ans Herz greifend, Mitleid erregend trotz allem.

Die Kontinuität wird auch durch Richard Szabó gewahrt der seine Premieren-Rolle als Schüler Waslaw behalten hat und immer wieder durch des erwachsenen N. Träume springt. Und dann verengt sich der schöne Park auf beklemmende Weise, alles Luftige und Heitere verschwindet, Nijinsky erwacht einsam und allein in seinem Klinik-Käfig. Gerade noch war er von der zauberhaften Armida umschwärmt, nun ist ihm das Herz und jeder Knochen und der Kopf unsagbar schwer.  Glänzend: Liudmila Konovalova tanzt Tamara Karsivan. © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor
Frappierend ist Avraams Rollenwechsel von der etwas kühlen, eleganten Romola in die anmutige Armida, die in der ursprünglichen Geschichte aus einem Gemälde gestiegen ist, um sich dem im Pavillon einquartierten Jüngling in die Arme zu schmiegen. Nijinsky hat im Ballett von Michel Fokine Armidas Sklaven getanzt. Doch Armida hat sich, wie all die anderen lebendig gewordenen Erinnerungen an die Karriere des passionierten Tänzers, in Luft aufgelöst.

Nijinsky tanzt nicht mehr.

Wirft mit den Kleidern allen Ballast ab, sein Schüler-Ich sitzt nun auf der Bank, bekommt Hut und Mantel. Bar aller äußeren Hüllen steht der Mann (so nennt ja Neumeier die Hauptrolle seiner Choreografie, die im Zauberreich des Balletts und zugleich mitten im Leben angesiedelt ist) im leeren Park, weiß nicht mehr wer er einst war, wer er nun ist, wirft sich erschöpft zu Boden. Der Schleier ist zerrissen, der Augenblick vorbei, der Zauber gelöst.

Die Unhöflichen und Ignoranten klappen ihre Displays zu und paschen los. Die sich betören ließen, atmen tief durch bevor sie den verdienten Applaus spenden.

"Le Sacre" – Die geballte Masse probt den Aufstand. © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor Und wieder kommt die Besprechung von Neumeiers Interpretation von Igor Strawinskys Ballettmusik „le Sacre du Printemps“ zu kurz. Der sehr junge Choreograf John Neumeier hat keinen Frühlingszauber inszeniert, sondern eine Revolte. Michael Boder schlägt den Takt, die Damen und Herren des Staatsopern Orchester folgen ihm willig. Die Tänzer_innen ebenfalls, ballen sich zu Kugeln, ordnen sich zu einfachen Mustern, werden zu kriechendem, Gewürm, rollenden Bomben, proben den Aufstand und können sich doch nicht einigen. Nikisha Fogo, Francesco Costa: Pas de deux par Terre (Le Sacre). © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor
In diesem Chaos ist wunderbare Ordnung. Immer wieder lösen sich einzelne aus der Menge, Alice Firenze, Eszter Ledán fallen ebenso auf wie Masayu Kimoto und Zsolt Török (mit einem gelungenen Debüt in der kleinen aber auf Balance ausgerichteten  Solorolle), Francesco Costa und Nikisha Fogo (erstmals als Solistin in „Le Sacre“) zeigen ein großartiges Duett auf dem Boden – Kampf oder Liebessgeschichte, vermutlich beides.
Die Herren rennen um ihr Leben, schleifen die Damen aus der Gefahrenzone (oder mitten in diese hinein). Und dann als Höhepunkt dieser aufregenden Umsetzung von Musik in Bewegung aus dem Jahr 1972 Rebecca Horner mit ihrem konzentrierten, kräfteraubenden Solo. Der Kreis schließt sich, wie der große Tänzer N. fällt auch die Namenlose besinnungslos zu Boden. Ruhe vor dem Applaus-Sturm.

John Neumeier: „Le Pavillon d’Armide“ / „Le Sacre“ in der alternativen Besetzung mit Jakob Feyferlik als „der Mann (Waslaw Nijinksy)“ und Ioanna Avraam als „Seine Frau (Romola Nijinsky)“. 10. 3.2017, Wiener Staatsballett in der Staatsoper.
Letzte Vorstellungen in dieser Saison: 13., 16. März 2017