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Chinesisches Nationalballett: „Der Nussknacker“

Die Kraniche tanzen auf dem Eis © Chin. Nationalballett

Mit einer chinesisch ausgeschmückten Version des Ballettklassikers „Der Nussknacker“ erfreute eine Truppe des chinesischen Nationalballetts das Publikum im Festspielhaus St. Pölten. Das eigene Orchester, der in Peking beheimateten Compagnie, war nicht mitgekommen, doch ist Peter Tschaikowskys Musik vom „Symphonieorchester des Chinesischen Nationalballetts“ längst vorsorglich konserviert worden. Tourneen steht nichts im Weg. Garniert mit fröhlichen Einlagen und kleinen Geschichten konnte der fernöstliche, sogar funktionstüchtige Nussknacker das Publikum begeistern.

Kulturelle Annäherung an den Westen ist den Chinesen Bedürfnis und Geschäft zugleich. Das funktioniert natürlich auch in der Gegenrichtung: John Neumeiers Ballett „Die kleine Meerjungfrau“ hat das Nationalballett neben „Giselle“ oder „Schwanensee“ ebenfalls im Repertoire. In dem Fall natürlich unverändert.

Der Schmetterlin will fliegen © Chin. NationalballettDer „Nussknacker“ also ist chinesisiert, wenn ich das so sagen darf und das steht ihm gar nicht schlecht. Ich hätte mir noch mehr China und weniger Tanzversuche auf Spitze gewünscht. Die prächtige Dekoration, die bunten Kostüme und die originellen Einfälle zur Auflockerung machen Freude, bringen Abwechslung ins allzu bekannte Geschehen. Da kommt ein Erste-Hilfe-Häschen, um den lieben kleinen Tigern, die gegen die bösen Nian-Monster  kämpfen, beizustehen, Tuantuan, der wilde Knabe, der Yuanyuan die hölzerne Puppe nicht gönnt, sticht mit seinem Zornanfall das Rumpelstilzchen aus und wer weder von den tanzenden Suppentöpfen aus Porzellan noch von den Kranichen auf dem Eis zu beeindrucken ist, wird endgültig gewonnen, wenn die zwölf goldigen Miniaturballetteusen aus St. Pöltens Ballettkindergärten aus dem riesigen Glückskeks kugeln. Die Großmütter schwimmen in Wonne.
Als Referenz und Beweis chinesischen Humors rollt ein echter Diplomat in der Fahrradrikscha heran. Lars Peter Fredén, schwedischer Botschafter in Peking und Freund des Tanzes, gibt den „fremden Gast“, der der kleinen Yuanyuan den Nussknacker als Geschenk mitbringt. So wäre auch geklärt, wieso ein westliches Dekorationsstück nach China kommt. Im Porzellanland © Chin. Staatsballett

Das Originallibretto sieht, nach der Erzählung von E. T. A. Hoffmann, als Zeit des Geschehens den Weihnachtsabend vor. Geschickt haben Ming Zhao, Wang Yuanyuan, Feng Ying (sie ist zugleich künstlerische Leiterin der Compagnie und Produzentin der Tournee) samt drei zusätzliche Choreografen das entsprechende chinesische Familienfest zum Jahreswechsel als Basis genommen. Weniger muffig und biedermeierlich wird das chinesische Neujahr, ein bewegliches am Vollmond orientierte Fest, fröhlich als Maskerade mit Feuerwerk und Drachensteigen begangen. Die Farbe des Glücks, des Ruhms und der Kraft ist Rot. Das macht sich auf der Bühne in vielen Kostümen bemerkbar. Die Kinder zeigen die Masken der zwölf chinesischen Tierkreiszeichen, wobei jedes Tier jeweils ein Jahr regiert. Das kommende Jahr ist übrigens ein Jahr des Hahnes.

Nussknackerprinz mit Kranichrinzessin © Chin.Staatsballett Sieht man von den „chinesischen“ Einlagen und Anspielungen ab, ist die Handlung die gleiche wie sie in ungezählten choreografischen Variationen des Originals seit mehr als 100 Jahren an westlichen Häusern zu sehen ist: Der Fremde entspricht dem Onkel Drosselmeier, Yuanyuan heißt dann Clara, Marie oder Mascha und ihr Cousin (in der Einkindfamilie gibt es keine Geschwister) Tuantuan wird sofort als Fritz identifiziert. Zum Schneeflocken-Walzer tanzen schöne Kraniche, die Yuanyuan als Kranichprinzessin in ihrer Mitte aufnehmen, nachdem die 15 Meter hohe Kranichkönigin den Kampf zwischen Monstern und Tigern durch einen Zauber mit ihrem roten Schleier beendet hat. Pas de trois mit Kranichen © Chin. Staatsballett

Auch für diese Szene und vor allem für die Balletteinlagen ist die Bühne des Festspielhauses viel zu klein. Sprünge müssen gestoppt, Hebungen zu früh abgesetzt und die Tänzer_innen des Corps sind mehr am Stolpern über Schnüre und Drachenschwänze, denn am Tanzen. Mit all den Chinoiserien und gezeigten Akrobatikkünsten, den lustigen Figuren und netten Einfällen gleicht die Aufführung mehr einem Musical und würde gut auf die große Bühne der Wiener Stadthalle passen. Im von Intendantin Brigitte Fürle favorisierten Programm wirkt sie doppelt exotisch.
Eurozentrismus kann der westlichen Kulturproduktion nicht mehr vorgeworfen werden.

Chinesisches Staatsballett: „Der Nussknacker“, 10. Dezember 2016, Festspielhaus St. Pölten. Zweite Vorstellung am 11.12.2016.