SILK Fluegge: „Disappear“, Central, Linz
Die Tänzerin und Choreografin Silke Grabinger ist von Neugierde, Forscherdrang und Experimentierlust beseelt. Mit ihrer Company SILK Fluegge probiert sie immer wieder neue Formen der Bühnenpräsenz aus. Im Linzer Central zeigte sie die Uraufführung von „Disappear“, einer Performance „Zum Verschwinden in der Welt des Anderen“. Viel Text und sparsame Bewegungen von Tänzerin und Tänzer zeichnen die Vorstellung im Linzer Central aus. Wohingegen das Publikum mit Applaus nicht gespart hat.
Wer bin ich, wer will ich sein? Was liebe ich und was bewegt mich? Welche Ziele habe ich und wie sieht meine Welt aus? Wie soll sie aussehen? Olga Swietlicka und Matej Kubus agieren live auf der Bühne, ihre Stimme erklingt simultan aus dem Off. Die Zuschauerinnen sitzen, durch die Bühne getrennt, einander gegenüber. Die Lautsprecher kehren einander, wie Tänzerin und Tänzer, die Rückseiten zu. Die beiden Akteurinnen sind jeweils nur für eine Hälfte des Publikums vorhanden, während sie sich zu ihrem gesprochenem Selbstbild bewegen. Zurückgenommen Swietlicka, großzügiger, reichhaltiger Kubus. anfangs fällt die Konzentration auf den "richtigen" Text schwer, doch bald summen die anderen (fremden) Sätze nur noch im Hintergrund, vermischen sich mit der leisen Hintergrundmusik. Wie man auch bald die andere Besetzung (mit dem Rücken zur Publikumshälfte agierend) nicht mehr richtig wahrnimmt.
Der Gedanke hinter dieser Vorstellung (Choreografin Christine Gaigg würde sie einen "Bühnenessay" nennen) ist die Erfahrung, dass der Mensch dazu neigt, unreflektiert Strukturen zu wiederholen, sich nicht den neuen Gegebenheiten flexibel anzupassen, sondern das Neue in die alten Strukturen einbauen. „Es ist eine Art latenter Narzissmus, der uns alles um uns herum anordnen lässt. Was dabei verschwindet ist nicht der Andere, sondern die Person des Anderen. Man lässt die Bewegung des Anderen zu Hintergrundlärm werden, den Anderen zu einer Projektionsfläche.“ (Grabinger).
Genau das passiert auf der Bühne. Die beiden Performerinnen sehen einander nie an, berühren einander nur kurz, oft kaum wahrnehmbar. Martin Buber würde sagen: Sie treffen einander, doch sie begegnen einander nicht.
Nach etwa 30 Minuten dreht sich das Bild um 90 Grad, die Zuschauerinnen tauschen ihre Plätze, wer anfangs Kubus gesehen hat, muss sich nun mit Swietlicka auseinandersetzen und umgekehrt. Das ist ein durchaus spannendes Vorhaben, vor allem für die Choreografin Silke Grabinger, die Swietlicka und Kubus interviewt und danach ihre Fragen aus den Statements herausgeschnitten hat. Die wären aber für das Verständnis der Performance durchaus hilfreich gewesen. Dass die Beiden am Ende einige Sätze in ihrer Muttersprache (Polnisch, Slowakisch) sprechen, dient der Erklärung, weshalb der Text auf Englisch gesprochen wird.
Während Swietlicka sehr streng mit sich umgeht und so hohe Ziele hat, dass deren Erreichen nahezu unmöglich scheint, tritt Kubus mit den Zuschauerinnen direkt in Kontakt, spricht in einem persönlichen Erzählton, verändert seine Mimik und ist auch in seinen Bewegungen gelöster. Gegen Ende der jeweiligen Hälfte der Performance stehen Swietlicka und Kubus exakt Rücken an Rücken, dass man nur den einen oder die andere sieht, die /der Andere ist tatsächlich verschwunden.
Ohne die Erklärung im Programmpapier hätte ich allerdings gar nichts verstanden. Dass Grabinger, die gerne „wissen will, was Tänzer und Tänzerinnen denken, wenn sie tanzen“, von den Interviewantworten fasziniert war und nichts gekürzt hat, ist verständlich, doch der lange Text wirkt mit der Zeit recht monoton und erschwert es, sich auf die Vorstellung einzulassen. Die Linzer Grabinger-Community spendet allen Beteiligten begeisterten Applaus.
SILK Fluegge: „Disappear“, Regie, Choreographie, Konzept: Silke Grabinger; Idee, Produktionsleitung: Olga Swietlicka,
Choreographie, Tanz, Performance: Matej Kubus, Olga Swietlicka; Musik: Ivan Shopov; Technik: Klaus Schmid, Bauki.
Central, 6.12.2016.
Auf Einladung der Gesellschaft für Kulturpolitik OÖ.