„out of b/order“ eindrucksvolles Festival-Finale
Erfolgreich ist im Tanzquartier das Festival „out of b/order“, bei dem Choreografie, Tanz und Performance aus dem erweiterten arabischen Raum, der MENA-Region, in den Mittelpunkt gerückt worden sind, zu Ende gegangen. Eine intimes Solo der iranischen Tänzerin Mitra Ziaee Kia in den Studios begeisterte ebenso wie die vier Tänzer, die in der Choreografie von Radhouane El Meddeb erzählten, wie es einmal war, als die Araber tanzen durften: „Au temps où les Arabes dansaient …“
Der libanesische Choreograf Omar Rajeh verbrachte einige Zeit in Teheran und war beeindruckt, von der Opferfähigkeit der iranischen Bevölkerung. Auf der Basis des Opfer-Mythos’, der, wie er sagt, in allen Kulturen verankert ist, hat er für die phänomenale Tänzerin Mitra Ziaee Kia (Maha Group) und einer nicht weiter wichtigen Männerrolle (Mostafa Shabkhan) eine Performance erdacht, die vom Musiker auf dem Tombak (dem am häufigsten verwendeten Perkussionsinstrument, sowohl der persischen Volksmusik wie auch in der klassischen Musik Irans) mit nimmermüder Energie rhythmisch begleitet wird. Auf dem Boden der Geschichte und der Geschichten, einem Perserteppich, tanz Mitra Ziaee Kia in „Zaafaran / Safran“ anfangs mit minutiösen Bewegungen, später mit Sprüngen, Stampfen und Schreien, ihre Gefühle. Erinnert sich wiegend an die Vergangenheit und zeigt ihre Wut über die Gegenwart. Tanz ist im Iran verboten. Es gibt keine Schulen und auch keine Orte, wo getanzt werden darf. Der Körper muss versteckt werden, er ist sündig. Die Assoziation zum christlichen Mittelalter, als der Leib ebenfalls als Sündenpfuhl verabscheut worden ist, drängt sich auf. Künstler_innen finden aber immer wieder eine Möglichkeit, ihre Ideen zu verwirklichen, die Freiheit im Tanz zu finden. Im Geheimen oder fern der Heimat.
Der Choreograf Omar Rajeh ist Mitbegründer des Masahat Dance Network, eines regionalen Tanznetzwerks in Libanon, Syrien, Jordanien und Palästina, weiters Gründer der arabischen Tanzplattform Leymoun und gemeinsam mit Sasha Waltz and Guests Initiator von Takween, einem Ausbildungsprojekt für junge Tänzer_innen aus dem Libanon und dem arabischen Raum. Die iranische Maha Group ist 2013 gegründet worden, um den Tanz, trotz der Verbote, am Leben zu halten.
An eine Zeit, als die Sitten lockerer, die Filme amüsanter und der Bauchnabel freier war, erinnert sich Choreograf Radhouane El Meddeb und lässt vier Tänzer (Youness Aboulakoul, Philippe Lebhar, Rémi Leblanc-Messager, Arthur Perole) in die 1940er Jahre, als die Tanzmusicals im Fernsehen fröhliche Urständ feierten und die ganze Familie sich über die Blondinen mit schwingenden Hüften und glänzendem Bauchnabel amüsierte, zurückschauen. Bis in die 1970er Jahre dauerte dieses „goldene Zeitalter des Tanzes“. Dann wurde der Körper verhüllt, Sinnlichkeit und Erotik ausgelöscht, der Tanz verschwand aus der Öffentlichkeit, niemand sang mehr die Lieder aus den Filmen.
Tanzgeschichte ist auch Sozialgeschichte. Faszinierend sind die vielfältigen Bewegungen der vier Männer und auch die Möglichkeit, ohne Worte nur mit dem Tanzkörper die Entwicklung einer Gesellschaft darzustellen. Tanzgeschichte ist immer auch Sozialgeschichte. In der Stille und mit fetziger Bauchtanzmusik zeigen die Tänzer eindringlich und ernsthaft, fröhlich und amüsant, was sie bewegt. Dabei übernehmen sie auch die Frauenrollen und lassen mich staunen, wie schmiegsam und weich Männer tanzen können.
In beiden Stücken war deutlich sichtbar, wie sehr sich die arabische Tanzsprache von der westlichen unterscheidet. Da tanzt der gesamte Körper, nicht nur Arme und Beine sind in Bewegung, auch der Brustkorb und der Po, die Bauchregion und die Hüften entwickeln ein Eigenleben; das Fleisch und sämtliche Innereien tanzen mit.
Ratsch! Mit einem einzigen Handgriff wird der gerade noch fröhlich Tanzenden der Kopf verhüllt. Ende des Vergnügens, der Freiheit, des Tanzens und Singens.
Das Festival war ein Erfolg, wie Walter Heun, Leiter des Tanzquartiers, resumiert. Auch wenn die Tanzquartier Halle G nicht immer ausverkauft war. „Die Szene kriegt ihren Arsch nicht hoch“, muss sich der Intendant wundern: „Es kommen schon ein paar, um sich zu informieren, was und wie anderswo getanzt wird, aber das sind wenige und immer dieselben.“ Gerade dieses Festival, mit Vorträgen, Diskussionen und in Österreich noch nie gezeigten Performances, war bestens geeignet Horizont und Perspektiven zu erweitern und Unterschiede wie Gemeinsamkeiten festzustellen.
„out of b/order“ Theorie- und Performance-Festival an zwei Wochenenden (3.–5. / 17.–19. November 2016), Tanzquartier / Studios und Halle G.