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Aus dem Repertoire: „Thoss | Wheeldon | Robbins“

Ketevan Papava, Robert Gabdullin: Sommer © Wr. Staatsballett / Ashley Taylor

Es heißt, das Publikum liebe die dreiteiligen Ballettabende, weil sie abwechslungsreich sind und für jeden Geschmack etwas dabei ist. So ist auch der Abend mit drei unterschiedllichen Choreografien (Stephan Thoss: „Blaubarts Geheimnis“, Christopher Wheeldon: „Fool’s Paradise“, Jerome Robbins: „The Four Seasons“) programmiert. Schwierig und anstrengend für die Tänzer_innen und das Publikum zu Beginn, erholsam und vergnüglich am Ende. Die Künstler_innen auf der Bühne und die Musiker_innen im Graben, geleitet von Alexander Ingram, erhielten den verdienten Applaus, die Publikumslieblinge, Davide Dato und Denys Cherevychko, für ihre Sprünge auch Bravorufe.

Judith und Blaubart (Alice Firenze, Eno Peçi) © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor Dieser dreiteilige Abend beginnt düster, ja unheimlich mit „Blaubarts Geheimnis“ (ohne den von Thoss für den Balettabend, Uraufführung in Wiesbaden 201,  choreografierten Prolog). Stephan Thoss verwendet eine eckige ganz auf Arme und Beine konzentrierte ungewohnte Tanzsprache, die das Unheimliche betont, eine dichte Atmosphäre erzeugt und die Figuren der Handlung, vor allem die Mutter (besitzergreifend und beängstigend: Rebecca Horner), aber auch de Blaubarts alter Ego (beeindruckend: Andrey Kaydanovskiy) als grausige Insekten erscheinen lässt. Eno Peçi, für mich der Blaubart, ist ein trauriger, einsamer Mann, der nur durch die wahre Liebe gerettet werden kann und sich seiner Vergangenheit stellen muss, um Judith (Alice Firenze, wie Peçi die Premierenbesetzung und immer noch die Judith, geduldig, neugierig, ängstlich, verwirrt, abgestoßen und doch treu zu dem Geleibten stehend) zu überzeugen. Auch das Corps (Visionen Doubles, Mütter, Seelen), allen voran die großartige Ioanna Avraam und als Rolendebütantin Iliana Chivarova, kann überzeugen. Doch am Ende, auch wenn die obsessive Mutter endlich besiegt ist, Judith sich zu Blaubart kuschelt, bleibe ich vor Trauer und Erschütterung ganz niedergeschlagen. Rebecca Horner ist Blaubarts Mutter © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor

Die Schönheit von Christopher Wheeldons „Fool’s Paradise“ im Goldregen und warm schimmernden oder kaltem blauem Licht, hebt die Stimmung, ist aber durch Wheeldons Choreografie mit Soli, Duetten und Trios der vier Tänzerinnen und fünf Tänzer ebenfalls kräfteraubend – durch schwierige Hebungen und strapaziöse Tableaus für die Tänzer; durch den schnellen Wechsel der kleinen Szenen für die Konzentration der Zuschauerinnen. Ketevan Papa und Nina Tonoli tanzen ihre Rollen im üppigen Neoklassizismus zum ersten Mal und fügen sich wunderbar in die restlichen Solist_innen (Ionna Avraam, Gala Jovanovic, Davide Dato, Roman Lazik Eno Peçi, Greig Matthews, Richard Szabó) ein.

Im Narrenparadies: Dato, Peçi, Tonoli © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor Schwierig ist dieses in Schönheit badende Stück (Schönes ist hier bis an die Grenzen vermehrt) auch wegen der romantischen, wenig akzentuierten (Film-)Musik von Joby Talbot. Ursprünglich als Begleitung für den Stummfilm „Der sterbende Schwan“ (Russland, 1917) komponiert, hat Talbot das kammermusikalische Werk für die Bühne orchestriert und aufgepolstert. Die Musik, angenehm für die Ohren, fließt mit wenigen Akzenten ruhig dahin, steigert sich nur kurz zu wildem Rausch, bietet jedoch, wie Pilip Glass’ Minimal-Music zu „Blaubarts Geheimnis“ nur wenig Anhaltspunkte. Auch sich verzaubern zu lassen kostet Kraft.

Da kommen zur abschließenden Aufmunterung Jerome Robbins „Vier Jahreszeiten“ gerade recht. 1979 geschaffen, zu Giuseppe Verdis Ballettmusik für die im 19. Jahrhundert an der Pariser Oper zwingende Tanzeinlage vor dem dritten Akt einer Oper (in diesem Fall für „Les vêpres siciliennes), bietet das Balett „The Four Seasons“ in aufwändigem Bühnenbild und schimmernden Kostümen beste Unterhaltung und herzerwärmenden Tanz, der schwieriger auszuführen ist, als es in Kälte und Hitze des sich wandelnden Jahres scheint. Finale im goldenen Licht:  "Fool's Paradise". © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor

Ioanaa Avraam (an diesem Abend im Dauereinsatz ohne Ermüdungserscheinungen zu zeigen) ist die Winterkönigin, die (oh Freude und Überraschung, endlich wieder) Dumitru (Dima) Taran und (ganz jung, neu auch im Ensemble und in der Rolle) als kräftig blasende Winde zur Seite hat. Jung und Spring-lebendig tändeln Jakob Feyferlik und Natascha Mair (beide zum ersten Mal) im Frühling, umringt von einem fesch-fröhlichen Herren-Quartett (Leonardo Basilio, Francesco Costa, James Stephens und als Rollendebütant Alexandru Tcacenco).

Frühingsfrisch: Natascha Mair, Jakob Feyerflik © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor Gelöst wiegen sich die Damen im heißen Sommer. Ketevan Papava und Robert Gabdullin sind das lässig-hitzige Paar, umringt von sechs Nymphen mit Hüftschwung. Höhepunkt von Robbins' Jahreslauf ist der Herbst, wenn der verschmitzte Faun (Davide Dato) und der Herrscher des Herbstes (Denys Cherevychko), in Konkurrenz treten und sich an die  bunten Herbstblüten heranmachen.

Als Partnerin Cherevykos zeigt Nina Poláková keineswegs herbstliche Erschöpfung,Bunter Herbst mit Nina Poláková, Denys Cherevychko. © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor ist frisch wie ein eben gereifter Apfel und so schwungvoll, dass ich Angst bekomme, er fällt vom Baum. 

Sowohl im Sommer wie im Herbst haben einige Damen und Herren ihren Part zum ersten Mal getanzt, was nicht weiter aufgefallen ist. Um großen Finale dürfen sämtliche Jahreszeiten, samt Schneeflocken, Blättern und Früchten, Maiden und Jünglingen noch einmal auf die Bühne, was das Publikum frohgemut entlässt.

So ist es auch richtig.
Das Herz ist leicht, die traurigen Geschichten und die morbide Schönheit bleiben als samtige Schatten im Gedächtnis.

Thoss | Wheeldon | Robbins (Blaubarts Geheimnis {Ausschnitt}, „Fool’s Paradise“, „The Four Seasons“), Wiederaufnahme am 21.11.2016.
Weitere Vorstellungen: 24., 25., 28.11., 2.12. 2016.
Am 25. Und 28.11. tanzen Mihail Sosnovschi (Rollendebüt) und Esther Ledán Blaubart und Judith. Gala Jovanovic ist die Mutter, Francesco Costa hat sein Rollendebüt als Alter Ego.