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„Out there is a field – Barbara Kraus, Tanzquartier

gleich: Barbara Kraus / ImPulsTanz 2015. © Karoline Miernik

Die Performancekünstlerin Barbara Kraus tastet sich mit geschlossenen Augen durch das Studio im Tanzquartier, in dem das Publikum auf Sofas, Hockern oder Matratzen sitzt und liegt. Mit einleitenden zehn Minuten „gemeinsamer Stille“ soll eine „temporäre Gemeinschaft von Fremden“ herzustellen. „Out there is a field“ ist Barbara Kraus pur, Erlebnis und Überraschung, Text und Bewegung, Abenteuer und Langeweile (meine), in keinem Fall einzuordnen.

Mit einem Teilzitat aus der Sufi-Mystik gibt Barbara Kraus ihrer neuen Performance nicht nur den Titel sondern auch eine Steilvorlage für die Kritikerin. Der persische Poet Dschalāl ad-Dīn ar-Rūmī, (1207-1273) sagt nämlich: 


Out beyond ideas of wrongdoing and rightdoing,

There is a field. I'll meet you there.

Also gut, keine Bewertung, nur persönliche Eindrücke. Die zehn Minuten gemeinsamer Stille dauern gar nicht lang. Mit einem leisen Ton wird sie von Franz Hautzinger beendet und die reglos sitzende Gemeinschaft öffnet die Augen, beginnt sich zu regen und räkeln. Die Performerin im weißen Shirt mit Kapuze, mit der sie immer wieder auch ihr blickloses Gesicht verdeckt, kriecht, hüpft, stolpert, tastet sich durch die im Studio verteilten Publikumsgruppen. Als bellender Hund und knurrender Wolf, krähender Hahn, greinendes Kind und sexy Madonna. Nicht erst an diesem Abend zeigt Kraus ihre unstillbare Sehnsucht erkannt, vielleicht sogar geliebt, zu werden. Sie will das Publikum umarmen und von diesem umarmt, vielleicht sogar geliebt, werden. Deshalb dürfen wir nicht neugierige oder genusssüchtige, aufmerksame oder gelangweilte Zuschauer_innen sein, sondern werden von der Performerin vereinnahmt. Die leiste, leiblich klingende Stimme täuscht: Barbara Kraus ist autoritär, verlangt auch wenn sie bittet, dass mitgespielt wird. Barbara Kraus' Bild-Beitrag zu "Outh there …" © Barbara Kraus

Nicht alle gehorchen, manche weichen den Umarmungen und Küssen, dem Angebot an Körperkontakt und Intimität bewusst aus. Ich flüchte hinter das weiße Zelt, das neben der Skulptur einer dürren Astgabel und einer violett ausgelegten mit Büchern dekorierten Lese-Box die Bühne –zwar nicht die ganze Welt aber der gesamte Studioraum samt Publikum – bildet. Assistiert wird Kraus von der Philosophin Elisabeth Schäfer. Sie spaziert ebenfalls durch den Raum. Sehend logischerweise, denn sie liest einen Text vor. Bedeutungsvoll. Promi-Kollegen werden genannt, Nietzsche und Derrida, Lacan und Deleuze, nein, der ist wieder gestrichen, wird nur im Programmheft zitiert. Hautzinger stellt seinen Atem via Lautsprecher zur Verfügung, auch eine murmelnde Männerstimme dient als Begleitgeräusch für Schäfers Lesung. Es soll die Stimme Nietzsches sein, von fishy, der auch für das Dämmerlicht verantwortlich ist. Hie und da zupft einer die Gitarrensaiten: KMET(Florian).

Kraus-Porträt © Privat-ArchivZu „Out there is a field“ sind wir im Rahmen von Barbara Kraus’ Projekt „philosophy on stage“ eingeladen. „Im Dialog mit der Philosophin Elisabeth Schäfer erkundet Barbara kraus die Zwischenräume und Fluchtlinien ihrer Performance-Praxis. … eine künstlerische Denkreise, …“. Daher gibt es nach der Lesung, ein Gespräch zwischen Kraus – ein Angebot an Büchern und Texten hat ihr die Augen geöffnet – und Schäfer. Leise, fast gemurmelt, untermalt vom Nietzsche-Brummeln. Und danach noch eine Lesung und noch eine, und noch und noch, willkürlich ausgewählter Text. Das langweilt mich. Mit dem Gefühl eher in eine Therapiestunde denn zu einer Performance (= Vorstellung) gelockt worden zu sein, verlasse ich nach gut 100 Minuten, angemessen leise, den mit Bedeutung aufgeladenen Raum.

Die vierte Wand darf durchlässig sein, aber mit Gewalt, auch wenn diese sanft, fast schüchtern daherkommt, eingerissen möchte ich sie nicht haben. Ich umarme Barbara Kraus gern, draußen auf der Straße, im Café, auch im Tanzquartier – nach der Vorstellung, wenn sie wieder die private Barbara ist. Als Künstlerin auf der Bühne, auch wenn diese vom Publikum besetzt ist, will ich beobachtende, auch mitfühlende, mitdenkende, Distanz waren.

Über Applaus und Dankbarkeit kann ich nichts aussagen. Wenn das Publikum (die Gemeinschaft) nicht zu erschöpft war, war zum Abschluss sicher alles gut und lautstark.

Barbara Kraus: „Out there is a field“, Uraufführung am 2. Juni, Tanzquartier / Studios. Zwei weitere Abende am 3. und 4. Juni 2016.