Kunstraum fan: Familienessen im Wahlfieber
Ein arrivierter, sozialdemokratischer Parteigrande, seine rechtskonservative Ehefrau, der neoliberale Jungunternehmer-Sohn und die öko-weltverbessernde Tochter baten zum weihnachtlichen Abendessen. Die Gäste waren das Publikum im wahrsten Sinn des Wortes und lauschten den politischen Debatten der Familienmitglieder. Diskussionsbeteiligung war aber durchaus erwünscht. „Wahlabend“ hieß die interaktive Performance mit Hubsi Kramar und jungen KollegInnen im Kunstraum fAN.
Ein Glas Prosecco vor dem Eingangstor in der Zirkusgasse, ein wenig Geplauder am ersten lauen Frühlingsabend, bis die nette Familie in ihren mit Kristallluster behängten Wohnsalon zur festlich gedeckten Tafel bat. Am Weg dorthin galt es noch, einer Dankesrede von Parteichef Walter (Hubsi Kramar) zu lauschen. Offensichtlich hatte seine Fraktion gerade eine Wahl gewonnen. Kramar persiflierte gekonnt die nichtssagende Rhetorik von Parteifunktionären und sorgte so für Amüsement unter den Gästen.
Dann ging es zur Weihnachtstafel, wo jeder Gast an seinem mit Namenskärtchen gekennzeichneten Platz ein kleines Kuvert samt „Spielanweisungen“ vorfand. Zum Beispiel: „Sie sind aus der SPÖ ausgetreten“ oder „Du findest, dass rot/schwarz nicht mehr miteinander regieren dürfen und schlägst Alternativen vor“. Oder auch „Finden Sie heraus, was auf der Karte Ihres Gegenübers steht“. Man könne diese Anweisungen befolgen oder auch nicht, hatte man schon zuvor erfahren.
Zum Suppengang eröffnete der Parteigrande, Herr Walter, das Gespräch. Es läuft ein wenig zögerlich an, indem die SchauspielerInnen ( außerdem Lilly Prohaska, Béla Baptiste, Valentin Postlmayr, Eleni Stampfer) ihre vereinbarten Haltungen ausspielen. Dabei sind sie zunächst noch in vielen Klischees verfangen.
Am stringentesten argumentierte Kramar, was ihm sicher nicht schwergefallen war. Er ist ja bekennender Sozialdemokrat, und spannender sowie interessanter wäre es bestimmt gewesen, hätte er eine andere Rolle eingenommen. Grundsätzlich wäre es für so ein Spiel ratsam, Argumentationslinien der einander konkurrierenden politischen Haltungen genau zu studieren, bevor man sie nachspielt. Denn sonst entsteht eine banale Diskussion, in der Platituden noch mehr erstarren. Da gibt es aber wenig Erkenntniszuwachs. Vom Theater erhofft man nicht eine simple Abbildung der Realität, sondern eine Überhöhung mit theatralen Mitteln, zu einem bestimmten Zweck.
Manche der Gäste mögen ihre Spielanweisungen zunächst befolgt haben, wobei sich das Spiel aber rasch zu verselbständigen schien. Natürlich vermischten sich da eigene Überzeugungen mit den vorgegebenen, was schade war, denn die dramaturgische Linie trat in den Hintergrund. Aber was war sie eigentlich überhaupt?
„Wir Linken streiten immer untereinander, aber wir sollten geeint nach außen auftreten“, so Bruno Kratochvil, einer der InitiatorInnen. Es sei auch Thema und Ziel dieses Abends gewesen, am Vorabend der Bundespräsidentenwahl so einen Modellfall zu imitieren, also eine politische Streitdebatte, wie sie ständig auch innerhalb von Familien vorkommt.
Das wäre schon eine spannende Sache im Sinne des Brecht’schen Lehrstückes, das eigentlich zur Selbstverständigung untereinander dient. Wie gesagt, mit einer klareren Dramaturgie könnte das gelingen. Aber eine interessante Erkenntnis des Abends war auf jeden Fall, wie ein Gast bemerkte, dass man jene „Streiterei“ untereinander ja auch als Qualität definieren könne. Denn gerade die ausgeprägte Diskussionskultur in der Linken sei eine Errungenschaft, die den Rechten fehle. Dennoch empfahl Hubsi Kramar, die ständigen Querelen zu Gunsten eines produktiven Miteinanders zu beenden: „Durch negative Energie zerstört man die positive“.
Trotz einiger Kinderkrankheiten ist dieses Format des „Familienessen“ spannend und wird weiterentwickelt werden, so Kratochvil. „Da gibt es viele Themen, die wir in diesem Rahmen des Salons behandeln können. Das war erst ein Anfang“. Wenn dann auch die Beleuchtung während des Essens ein klein wenig heller wäre, so dass man besser sehen könnte, welches Gericht man am Teller hat, wäre das kein Nachteil. Noch einmal in Kramars Worten: „Wo Licht ist...ist es hell“.
„Wahlabend“, einmaliger interaktiver Abend, 20. Mai 2016 im Kunstraum fAN, Zirkusgasse 38, 1020 Wien