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Alma und Samuel Feldhandler: Für Soso

«Soso», unten die Tänzerinnen oben der Lampion.

Es wird getanzt. Und wie! Mit eigenständiger Musik, auf einer sorgfältig ausgestatteten Bühne mit exakter Lichtführung. So lala ist da gar nichts in dieser harmonischen Tanzvorstellung. Soso, des Choreografen Samuel Feldhandler und der bildenden Künstlerin Alma Feldhandler. Soso ist der lakonische Titel, der im Tanzquartier gezeigten Premiere, gewidmet Sonia Feldhandler, genannt Soso, der Großmutter der Geschwister Alma und Samuel Feldhandler.

 Stéphanie Evrard tanzt die große Sinfonie. Ein Vergnügen für alle Sinne. Zu Beginn für die Augen. Das Publikum hat in der Stille Zeit die Bühne zu betrachten, auch wenn sie noch im Dämmerlicht ruht. Oben im Plafond hängt eine papierene Weltkugel, eigentlich ein Lampion, der wie sämtliche dekorativen Objekte asiatische anmutet. Alles ist aus Papier, die kleine Puppenfamilie in der rechten Ecke, die Schmetterlinge an einer Soffitte, die möglicherweise, wie das am hintersten Rand der Bühne, ausgebreitete zartfarbige Objekt, Kimonos sind. Ich schau’ ins Programmpapier – mit Asien ist Großmutter Soso nicht in Verbindung zu bringen. Sie hat die Kriegszeit, die schreckliche Zeit versteckt in der Schweiz verbracht. Der Vater war im Krieg, die Mutter verhaftet. Sonia Krajsztajn ist 1933 in Frankreich als Tochter jüdisch-polnischer Eltern geboren. 1939 war sie zur Waise geworden. 1946 konnten Vater und Mutter ihre herangewachsene Tochter wieder in Arme schließen. Möglicherweise denkt Enkelin Alma an sieben Jahre, die das Kind Sonia, von ihrer Familie entfernt war, so weit weg, als wäre sie in Japan. Lena Schattenberg, Mani Obeya, der papierene KImono (aus der Ferne auch ein Schmetterlin), Samuel Feldhandler, Stéphanie Evrard: «Soso».
Jetzt die Ohren: Die Musik zirpt und schwingt und rauscht. Sie kommt aus am Bühnenrand aufgestellten rätselhaften Dekorationen.
Doch es sind Lautsprecher oder eher eine Music Box. Samuel Feldhandler hat seine Musik gemeinsam mit Paul Kotal auf Lochstreifen gebannt. Das schleifende Geräusch entsteht, wenn die Streifen durch die Abtastmechanik gezogen werden. Das digitale Orchester klingt ähnlich wie ein Spinett, wie angeschlagene Silberglocken (die Zeichnung einer Glocke ist auch am linken Bühnenrand zu sehen), sehr fein und zierlich.
Stéphanie Evrard (nur halb), Yari Stilo und der Kimono-Schmetterlin mit dem Lampion-Planeten. Und nun alle Sinne samt dem limbischen System im Gehirn:  Wenn die Glöckchen klingeln, klimpern die Tänzerinnen mit den Fingern, bei anderen Melodien machen sie große Sprünge, schwingen weich die Arme. Die beiden herausragenden Tänzerinnen  (Lena Schattenberg und Stéphanie Evrard) und die Tänzer (Mani Obeya, Yari Stilo und Samuel Feldhandler) machen die Musik sichtbar, sind die Musik. Sie tanzen als Trio und Quintett, Solo und im Duo. Bewegungen werden wiederholt und auch von den anderen übernommen, es wird unisono getanzt oder polyphon, und immer sind sie miteinander verbunden, schauen einander in die Augen, lächeln dem Gegenüber zu oder auch dem Publikum. Selbst wenn eine / einer unversehens hinter dem Portal verschwindet, ist sie / er noch bei den anderen. Zauberhaft.Choreograf und Tänzer Samuel Feldhandler in Zivil.
Natürlich kann man den einzelnen Gesten auch Bedeutung unterlegen, es geht schließlich um Erinnerungen an Großmutter Soso. Aufsammeln und wegwerfen, wegschauen und weinen, energisch und zugleich rhythmisch in den Boden stampfen, suchen und wiederfinden. Doch das muss nicht sein, die geschmeidigen Bewegungen in der Komposition von Samuel Feldhandler lassen Raum zum Denken, an die Großmutter Feldhandler, doch auch an die eigene Großmutter, die einfach Großmutter genannt worden ist,Mani Obeya mit ausdrucksvoller Gestik. zum Unterschied von der Puppen-Omi.  Doch da stimmt die Genealogie nicht mehr ganz. Denn die Puppen-Omi wurde von der Folgegeneration so getauft und war daher eigentlich eine Urgroßmutter.
Sei’s drum, vor zwei Jahren haben sich die Geschwister Feldhandler mit einer Aufführung im  Tanzquartier an ihren Großvater George erinnert. Georgey tremble / Georgey zittert hat der Choreograf ebenfalls aus der Musik entwickelt, ein Stück über einen alten Mann, Überlebender des Holocaust. Die Musik war eine andere als die für die die kleine Sonia, die sanfte Soso.
Soso ist ein wunderliches, außerordentliches Tanzstück, perfekt und liebevoll konzipiert in überraschender Präzision und Harmonie. In der Coda wandert der Suchscheinwerfer über die Bühne beleuchtet, die kleine Papierfamilie, findet die papierenen Schuhe hinten links sehen und schleicht sich samt der zirpenden Grillen aus der Music Box allmählich davon. Zeit aus der Trance zu erwachen.

Kompanie Samuel Feldhandler: Soso
Künstlerische Leitung, Choreografie, Musik: Samuel Feldhandler
Tanz: Stéphanie Evrard, Samuel Feldhandler, Mani Obeya, Lena Schattenberg, Yari Stilo,
Bühnenbild, Kostüm: Alma Feldhandler;
Musik: Paul Kotal; Licht: Victor Duran; künstlerische Mitarbeit: Yari Stilo, Gabriel Gauthier; Produktion: Magdalena Stolhofer / die Kulturtanten  
Fotos: Fotos: Franzi Kreis.