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Zwischen Realität und Theater

Sujet mit dem Titel der Performance

Im Rahmen des ersten Zyklus der Wiener Festwochen wird hier auf Demokratie hingewiesen. Regisseurin Carolina Bianchi zeigt in die komplexe Verbindung von KünstlerInnen, die sich und ihren Körper durch ihre Kunst einem Risiko aussetzen, indem sie sich in der Öffentlichkeit positionieren und aus dem geschützten Rahmen der Galerie heraustreten.

Carolina Bianchi hält zu Beginn eine Lecture-Performance.Bianchi kritisiert auch, dass Begriffe wie „Schlampe“ als feministisch angesehen werden, denn sie entstehen viel eher aus Ohnmacht als aus einer selbst stärkenden Kraft. Sie will eindeutig mit den Stereotypen von kitschigen Opferrollen brechen, doch es fällt ihr schwer, daraus auszutreten. Das Theater und sein modernes Versprechen als sicherer Raum werden infrage gestellt: Es ist vor allem ein Ort weiblicher Verletzlichkeit, in dem patriarchale Gewalt im Kontext von Kunst steht. Carolina Bianchi hat die K.o-Tropgen getrunken und ist eingeschlafen. Das Stück beginnt mit einer Lecture Performance von Bianchi, in der sie einen selbst gemixten Cocktail mit K.-o.-Tropfen trinkt und dem Publikum erklärt, was passieren könnte: Entweder wird sie das 500-Seiten-Skript zu Ende lesen, in dem sie ausführlich auf die Vergewaltigungen und Ermordungen bekannter weiblicher Performance-KünstlerInnen eingeht, oder sie wird durch den Drink betäubt und einschlafen. Letzteres geschieht, und als sie schließlich bewusstlos einschläft, wird sie von ihrer Performancegruppe Cara de Cavalo abgelöst.
Die Inszenierung zeigt auf politisch hochaktuelle und persönliche Weise die Herausforderungen des Reenactments auf der Bühne. Trauma und die Illusion des Theaters als sicherer Raum werden im Zusammenhang mit sexueller Gewalt beleuchtet. Echte Fälle von Femizid werden durch die Linse der Kunstgeschichte miteinander verwoben, und der Bereich zwischen Kunst und Realität wird beleuchtet und erforscht. Die Performancegruppe Cara de Cavalo löst die schlafende Carolina Bianchi ab. Alles scheint irgendwie echt zu sein – und doch irgendwie inszeniert.
Diese Mischung aus Illusion und Wahrheit versetzt mich als Zuschauerin in eine ungewohnte Rolle: Vergangenes wird wiederbelebt, und Marina Abramović, Gina Pane und Ana Mendieta sind Figuren, die zwar präsent erscheinen, aber auch gleich wieder verschwinden, wenn die tatsächlich anwesenden Performer ihre persönliche Identität und Interpretation der Geschichte auf die Bühne bringen. Inszenierte Erinnerungen an das Schicksal von Pippa Bacca. Es ist nie autobiografisch – als Zuschauerin kann ich mich mit dem verbinden, was auf der Bühne passiert, aber finde es auch schwer, die zeitliche und räumliche Positionierung der verschiedenen Erzählstränge zu koordinieren. Dies liegt auch an der Dramaturgie, die den nicht-linearen Traumzustand hervorruft: Unterschiedliche Ereignisse sind fragmentarisch und theatralisch in einem Wirrwarr und dennoch in einer kohärenten Geschichte auf der Bühne zu beobachten. Dies macht das ganze Stück so real und konfrontiert die ZuschauerInnen mit der echten Welt, während es immer klarer wird, dass auch Kunst Teil dieser ist und daher auch ein angemessener Ort für Protest darstellt. Plakat für die Vorstellung.Es ist ein Ort des Traums und des Traumas – die Performer Innen überschütten sich mit Alkohol und inszenieren durch den Geruch von Schweiß und Tequila die Party-Nächte, in denen so leicht Boa Noite Cinderella, der Cocktail aus Wodka, Tonic und K.-o.-Tropfen, verteilt wird. Das Stück kämpft gegen den Feminizid und zeigt die Verflechtung verschiedenster Biografien. Hauptsächlich bezieht sich das Stück auf den Geist von Pippa Bacca, einer Performance-Künstlerin, die 2008 im Zuge eines Projekts vergewaltigt und ermordet wurde. Sie war mit einer Freundin auf einer Langzeitperformance in einem Brautkleid per Anhalter unterwegs und stieg nach einem Streit mit der Kollegin alleine in ein Auto ein. Daraufhin ereignete sich das tragische Schicksal, das heute die Identität und Motivationen der Künstlerin so stark in den Mittelpunkt der Arbeit von Bianchi stellt.

Carolina Bianchi und Cara de Cavalo: A NOIVA E O BOA NOITE CINDERELA. TRILOGIA CADELA FORÇA – CAPITULO 1 – Die Braut und Goodnight Cinderella.
Gezeigt im Rahmen der Wiener Festwochen, Portugiesisch mit deutschen und englischen Übertiteln.
Fotos: © Christophe Raynaud de Lage
Premiere: 19. Mai 2024, i, Halle G / Museumsquartier
Gesehen am 21. Mai, dritte Aufführung.