Artists At Resort im Tanz*Hotel
AAR, das Residenz- und Aufführungsformat im Tanz*Hotel von Bert Gstettner, ist ein bestens eingeführtes und ebenso betreutes Programm. Seit 2008 erhalten Künstlerinnen bei der Entwicklung einer Performance Unterstützung vom Choreografen Gstetttner, der AAR auch ins Leben gerufen hat. Im März fand die Aufführung des AAR 23 statt. Der Tänzer Alberto Cissello, die Künstlerin Agnes Schneidewind und die Choreografin und Dichterin Loulou Omer haben mit ihren Arbeiten einen lebendigen, bemerkenswerten Abend gestaltet.
Point Fix – Fix Punkt: Ein Stück vor dem Stück, ein Stockerl, ein Stativ, ein Tänzer. Keine Wörter, keine Musik. Alberto Cissello richtet die Bühne her, will das Bühnenbild bauen, doch er ist nie zufrieden, werkelt am Lichtschalter, überlegt, ob die Türe offen sein soll oder geschlossen; denkt nach, ob die Diagonale den beiden stummen, unbeweglichen Mitspielerinnen besser gefällt, als auf gerader Linie zu stehen und, was er mit sich selbst, dem schlanken, hochgewachsenen Körper, anfangen soll, weiß er auch nicht so recht. Die Stille, mit der er arbeiten will, wird vom Publikum immer wieder unterbrochen. Zurecht. Man darf, man muss lachen, denn Cissello hat die Vis comica, die Kraft, das Publikum zum Lachen zu bringen, auch wenn die Darstellung ernsthaft ist. Cissello gehört wieder auf die Bühne.
Auch Agnes Schneidewind arbeitet mit der Stille. Sie hat eine Basis aus Traum- und somatischen Praktiken sowie craniosacraler Therapie und hat in Brüssel das Post-Master-Programm a pass (advanced performance and scenography studies) abgeschlossen. I want to be delicious for the bear nennt sie ihre Performance, die in Stille und Dunkelheit stattfindet. Jede ist für sich, denn der Sound und die englisch gesprochenen Texte bekommen die Zuschauerinnen über Kopfhörer. Geheimnisvoll leuchten die roten Punkte auf den aktiven Geräten. In der Mitte hängt ein kleiner heller Bär auf einem unsichtbaren Faden. Schneidewind wandert durch den Raum, erzielt mit ihrer Stirnlampe allerlei Effekte von Licht und Schatten. Sorgsam dekoriert sie die Wände des durch die großen Fenster im Grund hellen Studios 2 im Tanz*Hotel mit einem braunen Klebstreifen. Ratsch, ratsch, ratsch arbeitet sich an drei Wänden entlang. Der Bär darf sich im Schattenspiel verwandeln. Schneidewind hat sich für ihr noch nicht vollendetes Werk vom Gedicht Anrufung des großen Bären von Ingeborg Bachmann inspirieren lassen. Der Bär am Himmel im Studio ist ein Sternbild.
Curriculum Vitae, der Lebenslauf, das Vergehen und der Wandel der Zeit sind die Grundlage für Loulou Omers Projekt. Gemeinsam mit dem Bass-Bariton Alan Picol (2022 in der Festwochenaufführung von François Chaignauds großartigem Totentanz Tumulus in Wien zu sehen und zu hören gewesen) und der Tänzerin Jadi Carboni ist ein transdisziplinäres Stück (für mich zwischen Schwitters und Beckett angesiedelt) entstanden. Unterschiedliche Erinnerungen und Begegnungen, eigene und fremde, eben erst passiert, oder weit zurückliegend sind auf der Bühne zu einer lockeren Szenenfolge zusammengefügt. Es wird gesungen und getanzt, erzählt, gespielt und improvisiert. In der aktuellen Performance ist aus dem Trio ein Duo geworden, da Carboni erkrankt ist. Was wir nicht wissen, geht uns auch nicht ab, doch ist Curriculum Vitae im Trio sicher runder. Erzählt wird kein chronologischer Lebenslauf, es werden eher Impressionen, Fantasien und Sehnsüchte gezeigt, Ausschnitte aus Lebensläufen, sechs mit Titel versehene Akte, die gemeinsam vielleicht ein ganzes Leben ergeben. Omer bewegt sich als Ausdruckstänzerin mit ruckartigen, abgehakten Bewegungen. Doch die Choreografie, der es nicht an Ironie fehlt, wirkt wie hingehaucht, leicht und locker. Omer und Picol lassen die Zeit vergessen, was sie erzählen und zeigen, geschieht hier und jetzt, verknüpft die Vergangenheit mit der Gegenwart und vermittelt eine Botschaft, die Loulou Omer dem Publikum mitgeben will.
Durch den Dialog der künstlerischen Disziplinen und die vielfältigen, anachronistischen und neu zusammengesetzten Erzählungen will Curriculum Vitae das Publikum dazu bringen, die Selbstverständlichkeiten abzulegen, das Vorbestimmte oder Konditionierte von innen heraus aufzubrechen, damit jeder in sich das Verlangen und die Kraft zum Handeln wiederfinden kann.
Man darf aber auch die durchaus vergnügliche Vorstellung einfach genießen und eventuell nachdenken, welche Szenen man selbst auf die Bühne stellen würde.
AAR Term 23 Premieren, Works in Progress, Tanz*Hotel, 22 – 24. März 2024
Point Fix: Konzept & Performance: Alberto Cissello, Mentoring, Projektbegleitung: Bert Gstettner
i want to be delicious for the bear: Konzept, Performance: Agnes Schneidewind; Sound: Marta Forsberg; Dramaturgie: Robert Steijn; Mentoring, Probenbegleitung: Andrea Nagl
Curriculum Vitae: Konzept, künstlerische Leitung, Text: Loulou Omer
Performer*innen:, Alan Picol, Loulou Omer; Musik, Choreografie: Loulou Omer in Zusammenarbeit mit Alan Picol. Dramaturgie: Tal Omer; Sound Design: Gustavo Petek
Curriculum Vitae ist eine Wanderproduktion, die bis 2025 entstehen soll und für verschiedene Aufführungsorte in Österreich konzipiert wird.
Fotos: © Hanna Fasching