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Ein Fest mit Elena Bottaro & Davide Dato

Ende des ersten Aktes: hier mit Hyo-Jung Kang.

Die Türe der Winzerkate öffnet sich und ein Mädchen trippelt heraus. Die Sonne auf dem Dorfplatz geht auf, lässt auch den grauen Hintergrund erstrahlen: Elena Bottaro ist Giselle, die ihren Verehrer sucht, der eben an ihre Tür geklopft hat. Etwas erratisch ist das romantische Ballett Giselle im Februar zweimal ins Programm gehievt worden. In der Vorstellung vom 12.2. brillierte Bottaro als Titelheldin mit Davide Dato als Herzog Albrecht. Eine überaus glückliche Paarung, die durch beider Eleganz und Bühnenpräsenz das gesamte Ensemble mitgerissen hat.

Davide Dato – auch verkleidet ein echter Herzog.Das neckische Spiel zweier verliebter Kinder prägen die ersten Variationen. Als springlebendiges, Glücks-erfülltes Mädchen kann Solotänzerin Elena Bottaro die Verliebtheit tatsächlich tanzen. Ihr zur Seite Davide Dato, als edler Herzog Albrecht, dem keine Verkleidung nützt. Die schöne Linie, die harmonischen Bewegungen, die sanften Landungen der Sprünge zeigen, hier tanzt ein Edelmann. Giorgio Fourés, Halbsolist seit dieser Saison, ist als Hilarion ganz gut eingesetzt. Der ebenfalls in Giselle verliebte Wildhüter soll ja ein Kontrast zum gewandten Herzog sein. Jung, verliebt und verspielt: Elena Bottaro (Giselle), Davide Dato (Herzog Albrecht). Auch im zweiten Akt, wenn er von den Wilis in den Tod getanzt wird, kann Fourés sein Potenzial nicht ausschöpfen. Am 15. Februar wird er in Don Quixote „einen Zigeuner“ tanzen. Diese Programmierung: Zwei Mal Giselle mit unterschiedlicher Besetzung und zwei Tage später schon der anstrengende Don Quixote? Geschont werden die Tänzerinnen, das Corps und Halbsolistinnen vor allem, in diesen Tagen nicht.
Kalte Schauer durchrieseln nicht nur die erschrockenen Freundinnen von Giselle (auffallend im Sextett: die junge Halbsolistin Gaia Fredianelli), Hilarion (Giorgio Fourés) bebt vor Eifersucht und geht auf Albrecht (Davide Dato) mit dem Messer los. sondern wohl auch das Publikum, wenn Giselle, ob des Betruges dieses bereits verlobten Albrecht, in Wahnsinn verfällt und an gebrochenem Herzen stirbt. Bottaro zeigt Giselle als völlig verwirrt und außer sich und ihrer dörflichen Welt geraten. Doch sie lässt auch ahnen, dass sie durch diesen doppelten Verrat – schließlich mischt der eifersüchtige Hilarion mit an der Bloßstellung Albrechts – zur Frau reifen wird. Und tatsächlich, im zweiten Akt sehen wir eine ganz andere Giselle. Bottaro ist nicht nur eine geisterhafte Wili, ein Wesen, das Albrecht nicht fassen kann, das ihm mit traumhaft schönen Arabesken und federleichten Sprüngen immer wieder entgleitet. Die Königin der Wilis: Gala Jovanovic als gestrenge Myrta.Als würdevoller, strenger Gegensatz erweist sich der Auftritt von Gala Jovanovic als Myrtha, Königin der Wilis. Für sie und ihre beiden Assistentinnen, Sveva Gargiulo, Aleksandra Liashenko, sind die Rollen nicht neu, drei erfahrene Wllis jagen mit den Kolleginnen den Männern Angst ein.
An die Perfektion im ersten Akt kommt das weibliche Corps de ballet nicht ganz heran. So schön der Grand Pas des Wilis ist, schaffen es manche Tänzerinnen nicht, ruhig auf der Spitze zu stehen, und verwechseln das untertänige Beugen des Kopfes mit der Haltung eines buckligen Männleins. Da fehlt es manchen noch an der Konzentration. Doch en gros was auch dieser zweite Akt ein wahrer Kunstgenuss. Nicht mehr von dieser Welt ist Giselle als Wili. Elena Bottaro in einer beglückenden Arabesque.Der einzige Wermutstropfen in dieser beglückenden Vorstellung, ist ein Teil des Publikums. Weniger jene, die nach der Pause das Haus verlassen, weil sie „schon in der Wiener Staatsoper waren“, als jene, die sich auf diese so plastisch erzählte Geschichte nicht einlassen wollen, den unheimlichen Schauder, den diese Geister im Wald der Wilis verbreiten, nicht spüren. Sie sind gekommen, um hohe Sprünge und innige Pas de deux zu sehen und wollen, wie im Zirkus, nach jeder „Nummer“ ihre Zustimmung kundtun. Das ist billig und recht, doch es zerstört die Stimmung, man meint, einer Galaveranstaltung beizuwohnen. Herzschmerz und Trauer, stiller Genuss der Schönheit und der Tanzkunst finden keinen Raum. Auch die Musik ist dann nicht mehr zu hören, der Dirigent hat keine Chance, vergeblich hebt er seinen Stab. Wolfgang Heinz hat an diesem Abend wesentlich zum Gelingen der Vorstellung beigetragen. Er hat das Staatsopernorchester angespornt und dennoch voll Rücksicht auf die Tänzerinnen dirigiert. Am Saisonbeginn hat er mit der Leitung des Balletts Giselle sein Debüt an der Staatsoper gegeben, nachdem er bereits in München, Berlin, Dresden und an vielen anderen Häusern in Europa und Übersee als Gastdirigent gefeiert worden ist. Er wird das Orchester auch am 29. Juni, dem Galaabend zum Saisonabschluss, leiten.
Ceterum censeo. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass das Wiener Staatsballett eine eigene Website bekommen sollte.

Giselle, Fantastisches Ballett in zwei Akten. Musik Adolphe Adam, mit einer Einlage (Bauern-Pas de deux) von Friedrich Burgmüller
Choreografie & Inszenierung Elena Tschernischova, nach Jean Coralli, Jules Perrot, Marius Petipa
Mit Elena Bottaro, Solotänzerin; Davide Dato, Erster Solotänzer; 
Tänzerinnen Giorgio Fourés, Zsolt Török, Herzog von Kurland; Katharina Miffek, Bathilde, Albrechts Verlobte; Anita Manolova / Trevor Hayden, ein Bauernpaar; Gala Jovanovic, Myrtha, Königin der Wilis; Sveva Gargiulo, Aleksandra Liashenko, Begleiterinnen Myrthas und das Corps de Ballet. Orchester der Wiener Staatsoper, geleitet von Wolfgang Heinz.
Zwei Vorstellungen, 11., 12.2.2024
Fotos: © Ashley Taylor / Wiener Staatsballett / Ashley Taylor