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Eva-Maria Schaller / Studio Dan: „Femenine“

"Femenine", choreografierte Musk im Park.

ImPulsTanz im Freien, doch nicht zum Mittanzen. Vier Tänzerinnen, ein Tänzer, begleitet von acht Musiker:innen, tummeln sich auf Gras und auch auf Beton. Ein schwieriges Unterfangen, für Ablenkung rundum ist gesorgt, Absagen wegen Starkregens sind inkludiert. Am 1. August präsentierte das Team die von Eva-Maria Schaller konzipierte „musikalisch-choreografische Intervention“ im Stadtpark vor einem interessierten und am Ende begeisterten Publikum.

Choreografin und Tänzerin Eva-Maria Schaller ganz nah an den Musikerinnen. Der eigentliche Regent dieses außergewöhnlichen Genusses in der Abenddämmerung ist der Komponist Julius Eastman. Seiner Komposition verdankt auch die Aufführung ihren Titel: "Femenine". Der afroamerikanische Komponist (1940–1990) ist, obwohl als erster Komponist von Minimal-Musik gerühmt, auch Musikfreund:innen und Choreograf:innen nicht wirklich bekannt. Begonnen hat Eastman seine Karriere in den 1970er Jahren als Pianist und Sänger. Mit Klavierquartetten mit provokanten Titeln, wie „Evil Nigger“, „Gay Guerilla“, „Crazy Nigger“ wollte er seine Musik in einen politischen Kontext stellen. Auch der Titel des 1974 für ein Kammermusikensemble komponierten Werks „Femenine“ ist unter dem gesellschaftspolitischen Aspekt entstanden. Von Alkohol und harten Drogen zerstört, verlebt er seine letzten Jahre in einem Obdachlosenheim. Er stirbt im Mai 1990 an Kreislaufversagen. Erst neun Monate später erscheint im Village Voice ein Nachruf seines Kollegen Kyle Gann. Nach der Jahrtausendwende wurde sein Werk wiederentdeckt und seitdem auch live, etwa 2022 von den Münchner Philharmonikern, aufgeführt. Mit der Musik verändert sich auch der Tanz und wird immer schwungvoller.
Hört man in „Femenine“ hinein, so kann man Eva-Maria Schallers Idee, dazu ein Tanzstück zu choreografieren, sofort verstehen. Die Tänzerinnen, Lena Schattenberg, Verena Herterich, Chiara Aprea, Eva-Maria Schaller, und der Tänzer Alberto Cissello werden von der Musik bewegt, bewegen sich mit der Musik und machen sie sichtbar. Die minimalistischen, subtilen Bewegungen der Arme und Schultern werden bald von schwungvollem Synchrontanz abgelöst. Die gemeinsamen Schwingungen von Armen und Beinen, während das Streichensemble den Saiten unisono nahezu melodiöse Töne entlockt, verschmelzen die Gruppe zu einer Einheit. Bald aber löst der Tanzkörper sich wieder in seine Einzelteile, die tanzenden Individuen, auf. Doch Eastman hat auch keine Scheu vor Dissonanzen, kratzenden Geräuschen und monotonem, taktgebendem Hämmern des Glockenspiels.Auch die Musiker sind sanft und wild, rau und mitunter auch harmonisch vereint. Es wird gesprungen und geschleudert, gelaufen und gehoben. Vieles, was akkurat geprobt und einstudiert worden ist, sieht wie improvisiert aus, und wenn Schreien und Keuchen hörbar ist, dann sind auch die Laute den Tänzerinnen nicht einfach entwischt. Wie die Musik, so steigert sich auch die anfängliche Sanftheit, die Bewegungen werden energischer, wilder, manchmal scheint das Chaos auszubrechen, doch gleich ist wieder die Choreografie sichtbar.
Ob auf Beton oder auf holprigen Naturrasen tanzend, das Ensemble ist mit Elan und sichtlicher Freude in Bewegung.Die Musik treibt die Tänzerinnen an, sie kommen immer mehr in Schwung. Im Gegensatz zu den Musiker:innen von Studio Dan unter Daniel Riegler dürfen sich Tänzerinnen und Tänzer etwas ausruhen, in den Hintergrund treten und durchatmen und einmal sogar eine auch für das geforderte Publikum entspannende Liegepause einlegen. Die Musiker:innen müssen 70 auch körperlich anstrengende Minuten durchalten. Im Freien, mit Ballspielern im Käfig nebenan und plärrenden Kindern rundherum, eine Meisterleistung.
Die freien Plätze in der Parkanlage am Kaiserwasser (Wien 2022), im Stadtpark und am Handelskai (Donauufer) bieten auch den Tanzenden viel Freiheit, die Bühne ist nahezu unbegrenzt, im Stadtpark etwa durch zwei Gehwege an der Seite, das Musikerensemble im Hintergrund und ein paar Decken für das Publikum begrenzt. Die Grenzen hat das Team selbst festgelegt. Miteinander tanzen. Oder gegeneinander?Auf einer konventionellen Bühne sind die Grenzen von vornherein festgelegt, die Tanzenden wären in ihren teils ausufernden Bewegungen eingeschränkt. Allerdings wären die vor allem minutiösen, feinen Anfangsbewegungen näher an den Zuseher:innen. Dennoch, so eine von Musizierenden und Tanzenden mit Feingefühl und Energie gebotene „Intervention im Außenraum“ (Schaller) hat ihr besonderes Flair. Beim Schlussapplaus ist die Sonne hinter den Häusern bereits verschwunden. Der ungewöhnliche Klang von Eastmans Komposition und die Energie des Ensembles aus Tänzerinnen, Tänzer und Musiker:innen kann in den Abend mitgenommen werden.

„Femenine, eine musikalisch-choreografische Intervention im Außenraum“ von Eva-Maria Schaller, zur Musik von Julius Eastman, gespielt vom Studio Dan.
Komponist: Julius Eastman (1940–1990, NY). Choreografie, Konzept: Eva-Maria Schaller. Musikalische Leitung, Konzept: Daniel Riegler.
Tanz und Stückentwicklung: Lena Schattenberg, Verena Herterich, Chiara Aprea, Alberto Cisello, Eva-Maria Schaller. Eva-Maria Schaller ausnahmsweise furios.
Musik: Sophia Goidinger-Koch, Jacobo Ernández-Enriquez, Maiken Beer; Flora Geißelbecht, Manuel Mayr; Michael Tiefenbacher; Martin Siewert, Hubert Bründlmayer. Sound: Werner Angerer. Premiere im Rahmen von ImPulsTanz Festival:  25. Juli 2022 am Kaiserwasser. Weitere Vorstellungen an drei Spielorten im Freien: 26.7., 1.,2., 4. 8.2022.
Fotos ©: Mavric