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Liquid Loft: „Modern Chimeras“, ImPulsTanz

"Modern Chimeras": Liquid Loft posiert im Odeon.

Modern Chimeras“ tummeln sich beim ImPulsTanz Festival im Odeon. Chris Haring und das von ihm geleitete Ensemble Liquid Loft tarnen und täuschen, werden zu nie gesehenen Wesen, Schimären eben. Dazu braucht es eine Menge Kostüme und Stoffe und ein dementsprechendes An- und Ausziehen, Ein- und Auswickeln samt Rein- und Raus-Gerenne. Das ermüdet etwas, die 60 angegebenen Minuten dehnen sich.

Posig-Projekt mit Chimären im wechselnden Licht. Chimaira, die Tochter zweier Ungeheuer, war ein feuerspeiendes Mischwesen aus der Fantasie der alten Griechen. Auf dem Körper einer Ziege saß der Kopf eines Löwen, ihr Hinterteil war eine Schlange oder ein Drache. Auch ihre Geschwister waren Mischwesen und gar nicht freundlich: Hydra, Kerberos, Sphinx und Orthos.
Es bedurfte eines Helden, um die Chimäre(n) zu töten.
Gefährlich sind die Chimären auf der Bühne gar nicht, sie speien auch kein Feuer, verbreiten weder Angst noch Schrecken. Liquid Loft lockt in der Choreografie von Chris Haring in eine Bilderfalle. Tableaus und Stand-alones, wie solistische Posen von Haring genannt werden, Körper unter bunten Decken, miteinander verwickelte Paare, Kopf unten, Zehen oben. Nach nur drei Minuten ist klar, die geschmeidigen, ausdrucksstarken, akrobatischen Körper der Tänzerinnen und Tänzer von Liquid Loft sind am Werk, biegen und krümmen sich, strecken die Arme, kreuzen die Beine, versuchen es erotisch mit nackten Brüsten, formulieren lippensynchron die vorsorglich aufgenommenen und live abgespielten Dialoge. Achtbeinig und kopflos, das auffallend menschliche Wesen im Vordergrund ist die Rückansicht von Stephanie Cumming. Wenn nicht gerannt wird – die Bühne samt den beiden Säulenreihen und den Gängen dahinter ist ziemlich weitläufig, es wird viel gerannt –, dann wird raubtierhaft auf allen Vieren geschlichen oder verhüllt, auch kopflos posiert. Eine Schlange hat zwei Köpfe, weil alle Sieben unter einer Decke stecken, eine andere Chimäre ebenfalls, die beiden Häupter hängen zwischen den Beinen, gegen Ende ist ein erstarrtes Paar, wie von Spinnweben eingewoben, zu sehen. Mutanten, Metamorphosen, Camouflage, Schemen, Hirngespinste (Stoffgespinste), Täuschungen, Irreführung – doch will ich endlich wieder raus aus der Bilderfalle. Zu viel Schönheit, zu viel Posieren, zu viel Purpurrot und Goldglanz. Zu viel, zu viel! Die Reize stumpfen ab, die Spannung lässt nach, alles ist bereits gesehen, einen großen Bogen gibt es nicht. Der verwunschene Bühnenraum im Odeon wird voll ausgenützt. Den findet auch der Filmkritiker Stefan Grissemann nicht, wenn er im Programmheft das intellektualisierende Unterfutter liefert. Die Höhlenmalerei wird da bemüht und H.G. Wells. Die gestellte Frage: „Wie funktioniert Kommunikation unter Hybrid-Existenzen?“, wird nicht beantwortet. Doch wir erfahren, dass „diese Inszenierung auch eine Utopie ist, die von der Gleichberechtigung der Wesen, der Vermeidung von Hierarchien kündet, vom Ende jener Krücken, die da etwa Kohärenz und Ordnung heißen.“
Habe ich nicht aufgepasst in dieser Stunde im Odeon? Die Chimäre von Arezzo. Etruskische Bronze, 400 v. Chr. © Archäologisches Nationalmuseum Florenz / Wikipedia / gemeinfrei
Egal, Chimären sind Genetiker:innen und Mediziner:innen nicht unbekannt. Es sind Organismen, die aus genetisch unterschiedlichen Zellen oder Geweben aufgebaut ist und dennoch ein einheitliches Individuum darstellen. Pflanzen, Tiere und selten auch Menschen können Chimären sein. Ein Thema, das mehr fesselt als all die bunten Stretch Stoffe zu den fantasievollen Kostümierungen, aparten Posen und ästhetisierten Bilder im „Faserland“ (Grissemann). Auf Live Kamera und Verdopplung der lebenden Körperbilder hat Haring diesmal verzichtet, doch mit Camouflage, Täuschung und falschen Bildern beschäftigt er sich, jeweils mit neuer Deutung, schon seit 2015, da war man noch hingerissen.

Liquid Loft / Chris Haring: „Modern Chimeras“
Tanz, Choreografie: Luke Baio, Stephanie Cumming, Dong Uk Kim, Katharina Meves, Dante Murillo, Anna Maria Nowak, Hannah Timbrell.
Künstlerische Leitung, Choreografie: Chris Haring. Soundkonzept, Komposition: Andreas Berger; Lichtdesign, Szenografie: Thomas Jelinek; Kostüme: Sstefan Röhrle; Theorie: Stefan Grissemann.
29. und 31. Juli 2022, Odeon / ImPulsTanz Festival.
Fotos ©: Michael Loizenbauer