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Gastspiel im Dschungel „Geh nicht in den Wald, …“

Keine Angst: Der Startschuss verletzt niemanden.

Die international renommierte und preisgekrönte Schweizer Choreografin Tabea Martin ist eine Zauberin. Das konnte auch das Wiener Publikum ab 12 bereits in der vergangenen Dschungel-Saison feststellen, als Martin ihr Team mit dem Tod tanzen ließ. Diesmal wendet sie sich mit einem Feuerwerk an Einfällen an jüngere Kinder. „Geh nicht in den Wald, im Wald ist der Wald“ ist eine überaus vergnügliche Performance, obwohl Spiel und Tanz Gefühle aufzeigen, die alle kennen: Furcht und Frustration, Diskriminierung und Ausgrenzung, Enttäuschung und Vorurteile. Tabea Martin und ihr Team waren für ein kurzes Gastspiel in Wien.

Zuckerwatte! Wer sie will, kriegt sie nicht, und wer sie kriegt, gibt davon nichts her.Martin und ihr Team auf und hinter der Bühne ersetzen mahnende Zeigefinger und die übliche ziemlich schwarze Pädagogik am Theater für junge Menschen durch Mut und Frechheit, durch viel schrägen Humor und eine Spur Anarchismus. Das macht manchen Lehrerinnen und Müttern sichtbar Angst, die zusehenden Kinder sind begeistert. Sie erleben einen belebenden Abend mit hervorragenden Künstler:innen. Die Ballons tanzen im Luftstrom, die Musik spielt dazu. Die angespielten Themen sickern ganz allmählich in Herz und Hirn.
Die Tänzerin Léa Vinette und ihre Kollegen, Stanley Ollivier, Calvin Ngan, Georges Hann, scheren sich um keine Genregrenzen und keine der Konventionen, die Theater für Kinder so brav, vorsichtig und langweilig machen. Ohne Rohrstaberl kommt auch die Choreografin nicht aus, doch das überaus spielfreudige Quartett auf der Bühne braucht es nicht, um zu drohen oder Körperteile zu beklopfen, sondern um zu zeigen, was auf die Tafel geschrieben wird: Überschriften der einzelnen Kapitel, die mit dem gesamten Repertoire des Körpers, mit Tanz und Spiel, Akrobatik, circensischen Elementen und Sprache die behandelten Themen illustrieren. Da wird gesungen und geschrien, gestritten und geküsst und auch gepfaucht und gespuckt. Auch die Fotografin arbeitet unkonventionell: Hier die Beine von Prinzessin und Prinz, oder von zwei Prinzen rund um den verlorenen Schleier der Prinzessin.Gespukt wird auch, wenn drei rabenschwarze Geister die Prinzessin erschrecken. Das junge Publikum amüsiert sich köstlich, wenn anfangs die unmöglichsten Verbote verlesen werden, die mit der obersten Regel, „Du sollst dich nicht an alle diese Verbote halten“, enden. Wenn in fremden Sprachen gesprochen wird, dann erfährt das Publikum die Ausgrenzung hautnah, und wenn ihnen Zuckerwatte versprochen wird, die aber nur die auf der Bühne konsumieren, dann wissen Kinder, was Enttäuschung ist. Im aktuellen Fall stecken sie diese einfach weg, genießen die Vorstellung trotzdem und trösten sich mit dem Schlummerlied, das im rosa Licht auf Spitze getanzt wird. Und lernen: Auch ernste Konversationen zu wichtigen Themen müssen nicht mit Leichenbittermiene verhandelt werden. Ein ziemliches Schlamassel: Drei gegen Einen, und sie tanzen trotzdem.
Wie professionell und ernsthaft hier gearbeitet wird, zeigen die Tänzer und ihre Kollegin, die durcheinander rennen, in Sekundenschnelle die Kostüme wechseln, Prinzessin und Prinz, Ungeheuer, Kämpfer und Träumer sind und scheinbar locker improvisieren, obwohl harte und präzise Probenarbeit dahintersteckt. Begleitet werden sie live vom Komponisten und Musiker (mitunter auch Bühnenarbeiter) Donath Weyeneth; das schöne und praktikable Bühnenbild mit vom Himmel baumelnden weißen Stoffzelten, die nicht nur als Umkleidekabinen benützt werden können, stammt von Veronika Mutalova, die wohl auch für das Lichtdesign verantwortlich ist. „Geh nicht in den Wald, im Wald ist der Wald“ spricht das junge Publikum unmittelbar an. Wie schon ´bei der Vorstellung „Forever“ von Tabea Martin müssen Ältere ihre Vorurteile abwerfen und sich, wie die Kinder, diesem heilsamen Vergnügen öffnen.

„Geh nicht in den Wald“, im Wald ist der Wald“, Gastspiel.
Konzept, Choreografie: Tabea Martin.
Tanz: Léa Vinette, Stanley Ollivier, Calvin Ngan, Georges Hann.
Bühne: Veronika Mutalova; Kostüme: Yasmin Attar; Musik: Donath Weyeneth. Fotos: © Helen Ree.
Uraufführung: 29.1.2022, Kaserne Basel. Aufführungen im Dschungel Theaterhaus: 25. und 26. März 2022.
Eine Koproduktion mit Kaserne Basel & Jungspundfestival St. Gallen. Im Rahmen des Fonds „Junges Publikum“ von reso, Tanznetzwerk Schweiz.