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Tanz Company Gervasi: „Merce 2-for-7“, WuK

Company Elio Gervasi:"Merce 2-for-7", Skulptur von Alberto Franceschini.

Eine herausragende Persönlichkeit und einer der einflussreichsten Choreographen des 20. Jahrhunderts“, die Hymnen, die heute noch erklingen, gebühren Merce Cunningham, geboren 1919 in Centralia / Washington, gestorben 2009 in New York City. Der Tänzer und Choreograf Elio Gervasi lässt sich von Cunninghams Idee des „reinen Tanzes, der nichts ausdrückt als den Tanz“ inspirieren und hat dessen choreografische Prinzipien mit heutigen Tänzer:innen in die Gegenwart überführt. „Merce 2-for-7“, eine Verneigung vor dem experimentierfreudigen Künstler Cunningham von Elio Gervasi und seiner Company im WuK.

Der Zufall ist von Cunningham erwünscht, jede Bewegung ist erlaubt.Die Arme gehoben, ein Bein weit nach vorn gestreckt, oder nach hinten, der Rumpf geknickt, Ausfallsschritt, flach auf dem Boden liegen, die Extremitäten zeigen im rechten Winkel nach oben – jede Bewegung ist möglich. Die Tänzerinnen (Marina Rützler, Megan Castro, Paula Dominici, Serena Zaccagnini) zeigen keine Gefühle, verziehen keine Miene, kennen einander nicht, sie sind geometrische Figuren, gleichen den beiden Installationen, die Alberto Franceschini und Elio Gervasi im Hintergrund der leeren Bühne aufgestellt haben. Merce Cunningham lässt grüßen. Er wollte keine Geschichten erzählen, keine Emotionen zeigen, jede Bewegung war erlaubt, jede Bewegung konnte jeder folgen, der Zufall sollte regieren.Ensemble Gervasi vor dem blauen Quadrat, das die Bühne begrenzt. Dabei belässt es Gervasi natürlich nicht. In der schlüssigen Dramaturgie von Karl Baratta führt er Cunninghams Grundsätze in die Tanzkörper des 21. Jhdts. über. Nach den einzelnen, wie oft bei Cunningham, durch Blackouts getrennten choreografischen Szenen wandeln die Tänzerinnen ihren Stil, die Bewegungen werden weicher, die im ersten Teil wie exakt bewegliche Strichmännchen wirkenden Figuren werden lockerer, menschlicher. Die assistierenden Tänzer (Nicola Manzoni, Luca Zanni) bleiben kontrapunktisches Beiwerk.
Hanna Hollmann hat die Tänzer:innen in engsitzende Ganzköperbodys gehüllt. Gedeckte Farben, schwarz, grau, dunkelblau, herrschen vor, lenken nicht von den tanzenden Figuren ab. Dezent bleiben auch die beiden Installationen, ein blaues Quadrat links und eine Skulptur aus spitzwinkeligen Dreiecken und silbernen Einschlüssen gebildete helle Skulptur. Stimmig ist auch die Musik.Jede / jeder tanzt für sich allein, auch die Skulptur scheint zu tanzen. Alessandro Vicard mischt Alltagstöne und nahezu geflüsterte Original-Zitate von Cunningham in seine Komposition, betont die nicht vorhandene Emotionalität und Kälte der Erinnerungen an die Arbeiten des verehrten Meisters, drängt sich aber nicht in den Vordergrund.
Gegen Ende bewegt Gervasi seine Figuren in der Stille – und findet kein Ende. Nach Stille und Stillstand beginnen die Mitwirkenden, sich erneut zu regen und zu bewegen, als gälten seltsame Regeln der Objektivität: Jede und jeder muss gleich viele Schritte machen dürfen, hat das Recht, gleich lange allein oder wenigstens isoliert auf der Bühne sichtbar zu sein. Schade! Die ersten 45 Minuten der Choreografie sind kompakt, sogar spannend und bemerkenswert, danach zerfranst alles, wird beliebig und stellt meine Geduld auf eine harte Probe. Tänzerinnen ohne Emotionen, mehr tanzende Maschinenwesen. Merce Cunningham wäre es recht gewesen. Ein Glück, dass das Gedächtnis selektiv ist, die starken Bilder bleiben im Kopf, die schwachen haben sich bald aufgelöst und sind endgültig verschwunden. Die so oft bedauerte Flüchtigkeit des Tanzes hat auch ihre positiven Seiten.
Nachwort: Der Titel erschließt sich mir nicht, das Rätsel wird auch im vom WuK veröffentlichten Interview nicht angesprochen. 2 könnte sich auf die beiden mitwirkenden Männer beziehen, aber 7? Es sind 4 Tänzerinnen + 2, das ergibt aber nur 6. Mit ungelösten Rätseln zu leben, möglicherweise ein Cunningham-Prinzip.

Tanz Company Gervasi: „Merce 2-for-7”
Künstlerische Leitung, Choreografie: Elio Gervasi. Bühne: Alberto Franceschini und Elio Gervasi; Kostüme: Hanna Hollmann; Licht: Patricia Schoenangerer und Elio Gervasi. Dramaturgie: Karl Baratta.
Mit: Marina Rützler, Nicola Manzoni, Megan Castro, Luca Zanni, Paula Dominici, Serena Zaccagnini.
Premiere am 31. März 2022, WuK performing arts. Wiederholung: 1., 2. April 2022.
Fotos: © Joe Albrecht