Jefta van Dinther: „On Earth I’m done: Mountains”
Jefta van Dinther, Choreograf und Tänzer, geboren in den Niederlanden, aufgewachsen in Schweden, ist längst ein Star der internationalen Tanzszene, auch im Tanzquartier werden seine meist düsteren und rätselhaften Choreografien jubelnd beklatscht. Trotz der Corona-Beschränkungen war die Premiere seiner jüngsten Arbeit – „On Earth I’m Done: Mountains“ – am 21.1. im Tanzquartier nahezu ausverkauft. Mit dem Cullberg-Tänzer Freddy Houndekindo hat van Dinther ein Solo erarbeitet, in dem optische, akustische und kinästhetische Effekte zu einer Einheit werden.
Die Bühne ist dunkel, ein einzelnes kleines Licht blinkt im Hintergrund, erst allmählich schält sich eine Landschaft aus gefalteten Stoffbahnen heraus, es ist Jänner, es könnten Hügel und Täler im Schnee sein. Es könnte aber auch das Meer sein, das der Tänzer, der anfangs schemenhaft am Rand erscheint, mit einem langen Stab durchpflügt, oder durchpflügen möchten, denn er kommt nicht weiter. Dieses schwere Rohr wird zum Mikrophon, wenn Houndekindo singt und spricht. Ob er ein Mensch ist? Der kräftige Körper steckt in einem roten Ganzkörpertrikot mit dunklen Flecken. Die Figur, die mit der Materie kämpft, könnte auch ein Teufel sein oder ein wildes Tier, jedenfalls ein Lebewesen, das aus der Zeit, aus unserer Zeit, gefallen ist. Glücklich ist diese Erscheinung nicht, schließlich sagt der Titel des Stückes bereits, worum es geht: „Ich bin fertig mit der Erde“. Am liebsten würde er auf einen Berg steigen, dort würde er sicher sein.
Nicht nur die Materie, das Material auf der Bühne spielt bei Jefta van Dinther immer eine wichtige Rolle, auch die Zeit. Diesmal läuft sie ab, der Beginn der Stoffbahnen erhebt sich in den Bühnenhimmel und wird von einer unsichtbaren Norne bedächtig, aber stetig aufgewickelt. Wütend und verzeifelt ersucht der Tänzer, die Auflösung der Landschaft zu bremsen, wickelt sich in die Stoffbahnen, benutzt sie als Hängematte oder schwebt kopfüber an der als umgekehrte Sanduhr aufwärtsrieselnden, einer Flamme gleich lodernden Stoffbahnt – es nützt nichts, die Landschaft verschwindet. Als Zuschauerin weiß man, wenn die Zeit abgelaufen ist: der Tanz unter dem Vulkan zu unheimlichen Klängen aus der Tiefe (David Kiers) dauert 70 Minuten. Dann ist die Erde geschmolzen. Doch van Dinther entlässt sein Publikum nicht ohne Hoffnung: Ein Berg erhebt sich, wächst bis in den Himmel, verdeckt das gleißende Lichtauge, der Tänzer wird von der Dunkelheit verschluckt.
Houndekindo, geboren 1991 in Frankreich, hat als Streetdancer begonnen und dann sämtliche Tanzstile studiert. Seit Herbst 2018 ist der Mitglied des Cullberg-Ensembles, bei dem van Dinther als Hauschoreograf arbeitet. Der Tänzer ist die gesamten 70 Minuten lang in Bewegung, arbeitet vor allem mit dem Rumpf und den Armen, mit den Füßen ist er fest im Boden verankert, manchmal, wenn er davon spricht, wie schön und tröstlich die Erde (die Natur) sein kann, gleitet er auch ruhig dahin, entspannt wie ein Eistänzer. Ursprünglich hat Choreograf van Dinther das Solo mit der Tänzerin Agnieszka Sjökvist Dlugoszewska einstudiert, bald stellte sich heraus, dass die Körperarbeit auf die Dauer zu anstrengend wurde und die Tänzerin mit den Vorstellungen im Land und den Tourneen überfordert war, deshalb hat van Dinther seine Choreografie auch mit Houndekindo und dem Gasttänzer Marco da Silva Ferreira einstudiert. „On Earth I’m Done: Mountains“ ist der erste Teil eines Diptychons, in dessen zweitem Teil, mit 13 Tänzerinnen einstudiert, Inseln als Rettungsmöglichkeit präsentiert werden. Im Mai 2022 soll die Premiere im Tanzhaus von Stockholm sein, im kommenden Herbst kommt Jefta van Dinther mit dem Cullberg Ballet ins Tanzquartier, um „On Earth I’m Done: Islands“ zu zeigen.
Van Dinther ist der Sohn eines Missionarpaares und hat einen Hang zu Übersinnlichem, Tiefsinnigem, Spirituellem, Undefinierbarem und Geheimnisvollem. Dennoch drückt er sich klar und deutlich aus, arbeitet mit realen Körpern und stattet die Bühne meist mit Material und Arbeitsgeräten aus. Seine Geschichten spielen außerhalb unserer Zeit und unseres Raumes, und wie sie zu deuten sind, kann jede / jeder beantworten. Doch geht es auch in der aktuellen Choreografie weder um den Klimawandel noch um Genderfragen, und schon gar nicht um die Pandemie. Aus den Wortfetzen, die trotz Houndekindos Gesang und das Gesagtem übertönenden Tonkulisse zu verstehen sind, geht hervor, dass es um die Dichotomie von Natur und Kultur (Zivilisation) geht, und um eine Lösung, wie wir Menschen in Zukunft leben sollen, wenn die Natur, die lebensnotwendig ist, verschwindet. Die Antwort, die van Dinther und der Tänzer geben, besteht aus Romantik und Poesie, aus Dunkelheit und buntem Licht, aus einer authentischen Choreografie, die zum Träumen und Denken anregt.
Jefta van Dinther: „On Earth I’m Done: Mountains”.
Choreografie: Jefta van Dinther.Tänzer: Freddy Houndekindo. Sounddesign: David Kiers; Lichtdesign: Jonatan Winnbo; Kostüm: Jefta van Dinther und Suelem de Oliveira da Silva. Uraufführung: 20. Mai 2021, Dansens Hus, Stockholm. Premiere im Tanzquartier: 21. Jänner 2022.
Fotos: © Urban Joren,