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“Liebeslieder”, Ballettabend mit Blick zurück

Vier Paare tanzen Liebeslieder Walzer von George Balanchine.

Unter dem Titel „Liebeslieder“ verbirgt sich ein dreiteiliger Abend mit Choreografien von Jerome Robbins, Lucinda Childs und George Balanchine. Für das Wiener Staatsballett eine Premiere, in der alle Tänzer:innen ihren Part zum ersten Mal tanzen. Das tanzaffine Publikum darf einen Blick zurück in die Tanzgeschichte tun und in Erinnerungen schwelgen, sind doch sowohl „Other Dances“ (Robbins) wie auch „Liebeslieder Walzer“ (Balanchine) schon vom Wiener Staatsballett / Ballett der Staatsoper (alter Name) getanzt worden. „Concerto“ (Childs) war beim ImPulsTanz Festival zu sehen. Alle drei Stücke sind bereits im vergangenen Jahrhundert entstanden. Die erste Aufführung der aktuellen Serie von „Liebeslieder“ am 14. Jänner ist vom „Premieren“-Publikum galamäßig mit Applaus, auch zwischen den einzelnen Sätzen, aufgenommen worden.


Davide Davor in Jerome Robbins "Anderen Tänzen".Balanchines Choreografie zu zwei Liederzyklen von Johannes Brahms („Liebeslieder-Walzer" op.52 und „Neue Liebeslieder" op. 65. Für vier Singstimmen und Klavier zu vier Händen“) ist 1960 in New York uraufgeführt worden, von 1977 bis 1991 war „Liebeslieder Walzer“ ein fixer Bestandteil des Repertoires des Balletts der Wiener Staatsoper. Balanchine ist eine Ikone des neoklassischen Tanzes, seine Werke werden vom © The George Balanchine Trust eifersüchtig gehütet. So wird es nicht möglich sein, die schweren Abendkleider der Tänzerinnen im ersten Teil und wieder zum Schluss zu ändern und auch das üppige überlastete Bühnenbild von Rolf Langenfass samt Flügel mit zwei Musiker:innen, zwei Sängerinnen plus zwei Sängern wird sich nicht lockern lassen. Es wirkt eher bedrückend und aus der Zeit gefallen. "Liebeslieder Wlzer": Lins die Musik, rechts der Tanz. Bottaro / Cherevychko, Schoch / Lazik, Konovalov / Tötök, Yakovleva / Kimoto. Die Tänzerinnen (Elena Bottaro mit Denys Cherevychko; Ludmila Konovalova mit Zsolt Török; Claudine Schoch mit Roman Lazik; Maria Yakovleva mit Masayu Kimoto) fliegen leicht dahin, geführt und getragen von den eleganten Herren. Kleine Geschichten entstehen in dem engen Gartenzimmer, Liebesglück und Liebesleid, Liebeszwist und Liebestraum. Dann öffnen sich die drei Türen, die Paare verschwinden und kehren in leichten Tüllröcken – wie Balanchine sich selbst interpretierte hat als „ihre Seelen“ – wieder. Die „Seelen“ entzücken als Sylphiden, dazu wird vierstimmig gesungen. Danach muss in Eile nochmal ein Kostümwechsel vorgenommen werden, die „Seelen“ rutschen wieder in die Körper, und der Ball neigt sich seinem Ende zu. Eine Choreografie die ordentlich Patina angesetzt hat und, wenn man sie einmal gesehen hat, schnell langweilig wird. Auch wenn sich das „Premieren“-Publikum begeistert gezeigt hat, haben Ungeduldige den Blick auf ihre Zeitanzeigen nicht lassen  können.Elen Bottora tanzt ihre Seele in Balanchines "Liebeslieder Walzer" mit Denys cherevychko.
An Jerome Robbins „Gelegenheitsstück“ (Dictum J. Robbins) „Other Dances“ kann sich das treue Ballettpublikum sicher noch erinnern: Kiyoka Hashimoto und Denys Cherevychko haben es in der Nurejew-Gala 2014 getanzt. Am Piano hat damals wie auch aktuell, Igor Zapravdin, seit bald 30 Jahren als Pianist und Korrepetitor an der Wiener Staatsoper, Chopins Walzer und Mazurken rauschen lassen. Er ist der Einzige, der in „Liebeslieder“ statt eines Debüts Erfahrung zu feiern hat. Hyo-Jung Kang tanzt "Andere Tänze" von Jerom Robbins.Wie in vielen seiner Choreografien hat Robbins auch für „Other Dances“, geschaffen 1976 für Natalia Makarova und Mikhail Baryshnikov, Musik von Frédéric Chopin verwendet. Hyo-Jung Kang und Davide Dato sind das richtige Paar für dieses herzige Stück, das eine Art Grand Pas ist, mit Pas de deux als Prolog und Epilog, und je zwei Soloauftritten der Tänzerin und des Tänzers. Klassische und neoklassische Elemente, Folklore und kindlicher Reigentanz sind zu sehen, und es ist ein rechtes Vergnügen dem gut gelaunten Paar zu sehen. Dato springt und Kang schwebt, die optimale Eröffnung eines angenehmen Ballettabends durch ein exzellentes Paar. Zur Vervollständigung der Ballettgeschichte an der Wiener Staatsoper: Schon 1991 waren Alessandra Ferri und Robert La Fosse (beide im Ensemble des American Ballet Theatre) zu Gast bei einer Gala an zwei Abenden im Dezember, um Robbins Pas de deux zu zeigen.Liebeslieder Childs: "Concerto" mit sieben Tänzer:innen.
Eine echte Premiere hat Lucinda Childs an diesem Abend zu feiern. Zum ersten Mal ist ein Werk der amerikanischen Ikone des postmodernen Tanzes in der Wiener Staatsoper zu sehen. Ihre jung gebliebene Choreografie „Concerto“ zu „Concerto für Cembalo und Streicher op. 40, uraufgeführt 1980, von Henryk Mikolaj Górecki (1933­–2010) haben vier Tänzerinnen (Marie Breuilles, Natalya Butchko, Laura Cislaghi aus dem Corps und Halbsolistin Sveva Gargiulo) und drei Tänzer (Halbsolist François-Eloi Lavignac, Corpstänzer Duccio Tariello und Solotänzer Daniel Vizcayo), alle einheitlich in Schwarz gekleidet, mit Ty Boomershine, dem künstlerischen Assistenten Lucinda Childs, einstudiert. Laura Cislaghi, Daniel  DVizcayo,  Natalya Butchko in "Concerto"
So recht fließen will die geometrisch aufgebaute Choreografie noch nicht – der Ausschnitt von Childs Notation im Programmbuch, eine mathematische Umsetzung der Partitur Góreckis, zeigt plastisch, wie die Choreografie angelegt ist. Die sieben Tänzerinnen kommen und gehen, schwingen die Arme wie Propeller, ändern die Richtung, verschwinden, um wieder aufzutreten, die Füße heben sich kaum vom Boden, die Gesichter bleiben ausdruckslos, Kommunikation zwischen den Beteiligten gibt es nicht. Ein an- und abschwellender Strom in schwebender Leichtigkeit sollte entstehen, ein Sog, der die Zuschauer:innen durch die nur minimal veränderten Repetitionen mit hineinzieht und sie mittanzen lässt. Am ersten Abend ist das den Tänzer:innen des Wiener Staatsballetts nicht wirklich gelungen. Der Fluss wirkt gestaut und gebremst, so richtig fließen will er nicht. Ikone des postmodernen amerikanischen Tanzes  Lucinda Childs. © . Rita Antonioli Lucinda Childs, unglaubiche 81, ist während der Proben in Wien geblieben und hat sich nach der Premiere recht erfreut über die Aufführung gezeigt. Entstanden ist das serielle Tanzstück zur im Original nur neun Minuten dauernden Minimal-Music von Górecki 1993. Mit ihrer Compagnie hat sie es 2000 im ImPulsTanz Festival gezeigt.
 Ein Dirigent ist für „Liebeslieder“ ebenso wenig notwendig wie das Staatsopernorchester. Ein Pianist für Robbins, zwei Pianisten / Pinanistinnen und vieDavide Dato und Hyo-Jung Kang, gut gelaunt in "Other Dances". r Sänger:innen für Balanchine und eine Tondokument für Childs reichen, den leeren Orchestergraben muss man wegdenken. Das Publikum – die Aufführung ist im Ballettpremieren-Abonnement enthalt, im Gegensatz zu vergangenen Vorstellungen, war der Saal voll besetzt – spendete Applaus und Bravorufe.
Übrigens: Die konsequente Kleinschreibung sämtlicher Titel im Programmbuch und auf dem Besetzungszettel ist billige Effekthascherei, alles muss anders sein, als ob vor jedem Direktionswechsel  nur Mist gebaut worden wäre. Die Debüts werden nicht mehr gut sichtbar mit * gekennzeichnet, sondern sind so versteckt, dass sie mit Lupe gesucht werden müssen. Auch im aktuellen Programmbuch gibt es Anmerkungen in winziger Schrift und auf lila Grund, einer Farbe, die nicht wirklich Lust und Laune hebt.

„Liebeslieder“, mit Choreografien von Jerome Robbins, Lucinda Childs, George Balanchine. Erster Abend am 14. Jänner 2022.
„Other Dances“: Choreografie Jerome Robbins, Musik Frédéric Chopin. Kostüme Santo Loquasto, Licht Jennifer Tipton. Einstudierung Isabelle Guérin. Piano und Korrepetition Igor Zapravdin. Tänzerin Hyo-Jung Kang, Tänzer Davide Dato.
„Concerto“: Choreografie Lucinda Childs, Musik Henryk Mikolaj Górecki. Kostüme Anne Masset; Licht Dominique Drillot: Einstudierung Ty Boomershine. Korrepetition Jiři Novák. Tänzerinnen Marie Breuilles, Natalya Butchko, Laura Cislaghi, Sveva Gargiulo; Tänzer François-Eloi Lavignac, Duccio Tariello, Daniel Vizcayo. "Liebeslieder Walzer ": Liudmila Konovalova liegt Zsolt Tärök in den Armen. „Liebeslieder Walzer“: Choreografie George Balanchine, Musik Johannes Brahms. Bühne Rolf Langenfass, Kostüme Karinska: Einstudierung Maria Calegarie und Bart Cook. Ballettmeister:innen Alice Necsea, Jean Christoph Lesage. Korrepetition Shino Takizawa, Jiři Novák.
Tänzer:innen: Claudine Schoch / Roman Lazik, Elena Bottaro / Denys Cherevychko, Liudmila Konovalova / Zsolt Török, Maria Yakovleva / Masayu Kimoto. Sängerinnen: Johanna Wallroth, Stephanie Maitland; Sänger: Hiroshi Amako, Ilja Kazakov. Alle Mitglieder des Opernstudios der Wiener Staatsoper.
Wiener Staatsballett in der Staatsoper.
Fotos: Ashley Taylor, © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor
Weitere Vorstellung in wechselnder Besetzung: 24., 28., 31. Jänner, 3. 21., 26. Februar, 1. März 2022.