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Ballett: „Ein deutsches Requiem“, Volksoper

J. Brahms: "Ein deutsches Requiem Damenensemble.

Im Graben das Orchester, auf einer Rampe vor dem Bühnenportal und in den ersten Logen der Chor, die Sopranistin und der Bariton. Das ergibt einen herrlichen Raumklang, und wenn Dirigent Christoph Altstaedt den Stock hebt, könnte man beglückt die Augen schließen und der Musik von Johannes Brahms lauschen. Könnte man, müsste man nicht auch auf die Bühne schauen. Dort nämlich spielt sich das Ereignis ab, das 2011 entstandene Tanzstück als Wiener Premiere in der Volksoper; „Ein deutsches Requiem“, Choreografie Martin Schläpfer. Die Stimme des Direktors wünscht „Gute Unterhaltung!“

Die Herren tragen die Damen, als wären diese Puppen. Und schon rennen sie herbei, zuerst die Damen, dann die Herren. Den Tänzerinnen hat Catherine Voeffray dunkle Kleider aus flatterndem Stoff über hautfarbene Trikots gezogen. Die bedecken den Körper nur halb, wirken von hinten wie Schürzen und gestatten bei heftigen Bewegungen und dem Heben der nackten Beine kesse Einblicke. Die Herren sind im dunklen Trainingsanzug recht bescheiden kostümiert. Alle Tänzer:innen haben nackte Arme, die werden in die Höhe gereckt, ausgebreitet, wie Flügel geknickt, wenn die Schultern fallen und die Gesichter zu Boden schauen. Als Kontrast zu den dunklen Kleidern ergibt das abwechslungsreiche Bilder. Die Bühne ist leer, an den beiden Seiten sind zwei Lichtbalken, die unvermittelt nach unten schweben und sich dann wieder nach oben zurückziehen. Ketevan Papava und Marcos Menha.Im Hintergrund steht ein gläserner Kasten ohne rechte Funktion. Manchmal spiegeln sich die Tanzenden darin.
Choreograf Schläpfer hat ein Faible für das große Ensemble auf der Bühne, Herren und Damen rennen auf und ab, hin und her. Dazwischen wird gesprungen, gepurzelt – Handstand, Kopfstand, Froschstand. Oft werden die Damen wie Puppen herumgeschleppt, über die Schulter geworfen oder um sich selbst gewirbelt. Synchronizität ist wohl nicht verlangt. Mitunter befällt mich das Gefühl, dass die Mitwirkenden die Choreografie auf eigene Weise interpretieren. Die einen so, die anderen etwas anders. Unisono ist vermutlich nicht mehr zeitgemäß. Das energiegeladene Herrenensemble
Mit der Brahmschen Musik haben das Getümmel und die wenigen ruhigen Stellen in Pas de deux, de trois oder Solo wenig zu tun. Da schlagen dumpf die Pauken, doch die Herren hopsen fröhlich daher. Fröhlich scheint auch das Solopaar Ketevan Papava / Marcos Menha zu sein. Die beiden sitzen einander gegenüber, legen die Fußsohlen aneinander und fahren Tandem. Freuen sich wie Kinder. Doch so recht wird dann nichts aus dem lockeren Getändel, in verschiedene Richtungen gehen sie ab, schauen sich nicht mehr um. Claudine Schoch kommt mit einem Spitzenschuh am rechten Fuß (das Ensemble tanzt barfuß auf dem glänzenden schwarzen Boden), Davide Dato, der schon davor mit einem Solo aufgefallen ist, stützt sie. Auch diese beiden werden kein Paar, sie stakst nach rechts, er bleibt ein wenig verloren zurück, verschwindet dann auch. Ich bleibe gekühlt. Berührung will nicht gelingen. Claudine Schoch mit einem Spitzenschuh, gestützt von Davide Dato. Klar, es gibt keine Rollen, aber Beziehungen, Beziehungen untereinander und mit dem Publikum sollten schon erlaubt sein, daraus ergäben sich auch Geschichten, kleine zwar, aber sie gäben dem Ganzen etwas Halt.
So aber reiht sich Szene an Szene, ohne erkennbaren Zusammenhang. Die Tänzer:innen kommen und gehen, manchmal fallen sie zu Boden – über der Partitur steht „Requiem“. Doch sie stehen wieder auf, laufen und springen weiter – der Text spricht von Trost und ewiger Freude. Im VI. Satz (VII sind es insgesamt, je drei sind spiegelgleich um den IV. Satz gruppiert, in dem der Chor drei Verse aus dem Psalm 84 singt), wenn „die Posaunen schallen“, sitzen die gut 60 Tänzer:innen mit dem Rücken zum Publikum auf dem Boden, schauen zur Wand. Läuft dort ein Film, den das Publikum nicht sehen kann? Noch einmal wird aufgetanzt, dann verlässt eine nach dem anderen die Bühne.Robert Weithas, Kristián Pokorný , Keisuke Nejime: Springen mach lustig.
Die Tänzer:innen kommen nicht zur Ruhe in diesen 75 Minuten, sie verdienen jeglichen Applaus. Der Lorbeer gehört jedoch den Musiker:innen im Orchester der Volksoper, dem Chor & Zusatzchor der Volksoper, der Sopranistin Athanasia Zöhrer, dem Bariton Alexandre Beuchat und dem Dirigenten Christoph Altstaedt. Als großen Bogen in einem Guss dirigiert Altstaedt das Werk, arbeitet wunderbar die Pianostellen heraus und zügelt sein Temperament nicht, wenn Posaunen und Pauken an der Reihe sind. Der Chor, einstudiert von Holger Kristen, folgt ihm willig. Der Trost kommt nicht nur aus den Bibeltexten, sondern auch aus der Partitur von Johannes Brahms.

„Ein deutsches Requiem“. Musik von Johannes Brahms. Choreografie Martin Schläpfer. Musikalische Leitung Christoph Altstaedt. Bühne Florian Etti; Kostüme Catherine Voeffray; Licht Thomas Diek. Choreinstudierung Holger Kristen. Einstudierung Louisa Rachedi, Julie Thirault. Premiere am 30. September 2021, Wiener Staatsballett in der Volksoper.
Nächste Vorstellungen: 5.,10., 15. Oktober 2021. Weitere Vorstellung im Dezember 2021, Jänner, März, April 2022.
Fotos: © Ashley Taylor / Volksoper.