Angelin Preljocaj: „Le Lac des Cygnes", Sankt Pölten
Mit Angelin Preljocajs Version des weltberühmten klassischen Balletts „Schwanensee“ hat das Festspielhaus Sankt Pölten am 25. September die neue Spielzeit, eine Jubiläumssaison, eröffnet. Im März 2022 wird das von Architekt Klaus Kader erbaute Theater 25 Jahre alt. Eva Schlegel, die am 1. März 1997 bei der Eröffnung des Hauses den von ihr gestalteten Eisernen Vorhang präsentierte, gratuliert dem Festspielhaus auch zum Geburtstag mit einem neuen Werk. Im Foyer ist ihre raumgreifende Spiegelinstallation zu sehen.
Gut 125 Jahre ist das von Marius Petipa und Lev Ivanov choreografierte Ballett alt, zahlreiche Choreografen haben sich daran abgearbeitet. Nur eine Handvoll neuerer Choreografien haben überlebt. Dennoch, wie die Sehnsucht jeder Spitzentänzerin ist, die Doppelrolle der weißen und schwarzen Schwanenkönigin (Odette / Odile) zu tanzen, so wünschen sich auch Choreografen des 21. Jahrhunderts, einen gültigen Schwanensee zu schaffen. Nicht verwunderlich, dass Preljocaj, der im kommenden Jänner seinen 65. Geburtstag feiert, gewartet hat, um „den Mount Everest“, wie er in Interviews gern betont, zu besteigen.
Im Grunde hält sich der Choreograf an den Ablauf der Geschichte, wie sie der russische Autor des Librettos, Vladimir Begichev, erzählt hat. Auch auf die brillante Musik Peter Tschaikowskys kann er nicht verzichten, reichert sie jedoch in bunten Akten mit elektronischen Klängen von 79D an. Discoatmosphäre in der Villa der Neureichen statt Ball im Schloss. Großartig gelungen sind Preljocaj die Gruppenszenen, sowohl die hektisch fröhlichen Menschen im Elternhaus des „Prinzen“ wie auch die 16 Schwäne am nächtlichen See können beeindrucken. Diese Schwäne sind keine zierlichen, liebenswerten Vögel, sondern kräftige, teils aggressive Schwäne. Auch Odette flattert nicht lieblich umher, gleich die erste Annäherung des hingerissenen jungen Mannes beantwortet sie mit einem heftigen Stoß vor die Brust. Wenn die Schwanenjungfrauen in nahezu fetzigen weißen Röckchen (der renommierte russische Modeschöpfer Igor Chapurin hat die Kostüme entworfen) ihre Königin umringen und sich dann in einer Ecke zu einer kompakten Masse zusammenballen, wirkt das überaus bedrohlich.
Bedrohlicher jedenfalls als die mafiosen schwarzen Männer, die den Prinzen, bei Preljocaj "der namenlose Sohn des Hauses" mehrmals niederschlagen. Der versteht sich nämlich überhaupt nicht mit seinem reichen Vater, einem Ölmagnaten oder Baulöwen, der mit dem undurchsichtigen Rothbart unter einer Decke steckt. Zum Glück wissen wir, dass Rothbart, in Original ein Zauberer, die Verbindung von Odette und Siegfried verhindern will. So erfindet er Odile, die im schwarzen Tutu in den Ballsaal rauscht und Siegfried täuscht, weil er sie mit seiner Liebe verwechselt. Ohne Zauberei kommt wohl auch der Choreograf in seiner, nur zaghaft ins Heute gezogenen Geschichte, nicht aus.
Preljocaj gibt seinen Figuren keine Namen (zumindest werden im Programmheft keine genannt), doch es ist klar, dass sie die sind, die Ballettbesucher:innen kennen. Sie sind allerdings anders charakterisiert. Besonders die Mutter des Prinzen, an der er mehr als üblich hängt, und der Vater sind wichtiger geworden, Rothabart mischt sich nicht unter die Schwäne, um seine Rechte an Odette zu bekräftigen, sondern packelt lieber mit dem Vater.
Beeindruckend ist das Bühnenbild, ein Video Boris Labbé als Hintergrund, das im 1. und 3. Akt eine beengende Stadtlandschaft zeigt, das Ufer des mondbeschienenen Sees im 2.und 4. Dadurch bekommt die Bühne eine ungeahnte Tiefe, wie durch ein riesiges Panoramafenster sieht man aus dem Haus hinaus, mitten in der Natur befindet man sich als Zuschauerin, wenn die bloßfüßigen Schwäne mit eckigen Bewegungen aufgeregt am See flattern.
Gelungen ist diese Choreografie vor allem durch die Arbeit des brillanten Ballet Preljocaj, dessen Mitglieder (16 Damen, 10 Herren) durch einwandfreie Technik, sprühende Energie und einnehmende Bühnenpräsenz glänzen. Innovatives oder Überraschendes war von Angelin Preljocaj nicht zu erwarten, doch er ist seinem kräftigen Stil mit bemerkenswerten Bildern treu geblieben und bietet in zwei Stunden eine, trotz der mitunter mangelnden Logik in Handlung und Choreografie, verständliche Erzählung, die auch jenen (Wenigen), die die Originalhandlung nicht kennen, Verständnis und Vergnügen bieten.
Angelin Preljocaj / Ballet Preljocaj:
Choreografie Angelin Preljocaj; Musik Peter Iljitsch Tschaikowski, zusätzliche Musik 79D. Video Boris Labbé; Kostüme Igor Chapurin; Licht Éric Soyer. Uraufführung 7. Oktober 2020, La Comédie de Clermont-Ferrand. Aufführungen im Festspielhaus Sankt Pölten 25., 26. Oktober 2021.
Fotos: © Jean-Claude Carbonne