Inge Gappmaier: -gate, Tanz. Kosmos Theater / brut
Eine Tanzaufführung, wie sie sein soll. Mit „-gate“ zeigt Inge Gappmaier, wie ausdrucksstark Tanz auch ohne Worte sein kann. Mit der Choreografin tanzen Olivia Hild, Nanina Kotlowski und Patric Redl, der auch als Musiker auf die Trommel schlägt und für das gesamte Sound Design verantwortlich ist. Die bejubelte Uraufführung hat am 29. Mai im Kosmos Theater stattgefunden.
Drei Tänzerinnen, ein Tänzer, geschmeidige, präsente Körper, nicht synchron, doch im gleichen Takt, Bewegung und Stillstand, ein Spiel mit Fäden, die an Gewichten vom Himmel auf den Boden führen, verflochten und verknüpft werden, bis ein kunstvolles Netz entsteht, in dem sich Tänzerinnen und Tänzer zusammenfinden. Blackouts, erstarrte Körper, staunende Gesichter mit offenem Mund, Dämmerung und Dunkelheit unterbrechen den Fluß der individuellen Bewegungen und geben den Körpern eine gemeinsame Ebene.
Doch diese ist nicht stabil, durch die schwankenden, pendelnden Fäden, das fragile Netz erzeugen Choreografie und Bühnenbild Unsicherheit und Instabilität.
Eigentlich sollten die Zuschauerinnen an drei Seiten der Bühne sitzen oder sich bewegen, um immer neue Einblicke zu ermöglichen. Die Corona-Verordnungen machen dies unmöglich, man sitzt brav mit Maske und auf Abstand in den Reihen. Doch um den fehlenden Aspekt dieser intensiven, schönen und beruhigenden Aufführung genießen zu können, wird es am 15. Juni eine Online-Aufführung geben, die präzise mit mehreren Kameras aufgezeichnet worden ist.
Der Titel spielt mit dem Suffix -gate, das seit der „Watergate-Affaire“ rund um Richard Nixon, Präsident der USA 1969–1974, als Anglizismus zum Synonym für Affären und Skandale geworden ist. Watergate ist der Name eines Gebäudekomplexes in Washington, in dem sich damals der Sitz der Demokratischen Partei befunden hat. Dort hat mit einem Einbruch Nixons Sturz seinen Anfang genommen. Inzwischen gibt es ungezählte -gates, amüsante, wie das Nipplegate in Amerika und weniger lachhafte wie das Ibizagate in Österreich. Gappmaier überlegt nach Recherche und intensiver Lektüre, ob nicht die eigentlichen Skandale jene sind, die nicht als -gate auftauchen. Jene, die so komplex und überraschend sind, dass man sie lieber negiert und alles belässt, wie es ist. In der Performance geht es daher auch um das Sichtbarwerden von Unerwartetem und das Finden neuer Perspektiven. Was auch immer an klugen Gedanken und verwickelten Überlegungen dahintersteckt, der Tanz allein, die präzisen Bewegungen der Vier auf der Bühne, das Wechselspiel von Vereinzelung und Gemeinschaft, von Stille und Geräusch, von Spannung und Entspannung genügt, um einen hochwertigen Abend zu feiern.
Inge Gappmaier: „-gate“. Künstlerische Gesamtleitung: Inge Gappmaier. Tanz: Olivia Hild, Nanina Kotlowski, Patric Redl und Inge Gappmaier. Interaction Design und Licht: Robert Läßig; Sound Design und live-Musik: Patric Redl; Bühnenbild: Inge Gappmaier und Robert Läßig; Dramaturgie: Lisa-Marie Radtke. Technik Aufführungen: Karl Börner und Melina Papoulia. Produktion in Zusammenarbeit mit ProSiBe Siglind Güttler und Bernhard Werschnak.
Aufführungen: 29., 30. Mai 2021, Kosmos Theater.
Fotos: © Natali Glišić
Online-Release von „-gate“: 15. Juni 2021, 20 Uhr. Kosmos Theater.