Raúl Maia: „Receptacle“, Performance im WuK
Receptacle – das bedeutet Behälter, und in einem Behälter, eigentlich in einem kleinen, weißen Haus ohne Dach, aber mit 24 Fenstern, findet die Performance gleichen Namens von Raúl Maia mit ihm, Linda Samaraweerová und Raphael Michon statt. Das weiße Haus ist eine Bühne auf der Bühne des Projektraums im WuK, 24 Zuschauerinnen schauen durch die verglasten Fenster und jede sieht etwas anderes, manchmal gar nichts.
In der Mitte des Projektraums steht nämlich ein klotziger Pfeiler, der auch die Mitte des Receptacles bildet. Diese viereckige Säule (eine von dreien, die beiden anderen sind jedoch außerhalb der von den Tänzern und der Tänzerin selbst gebauten Bühne) ragt aus einem Abgrund, aus dem allerlei Schätze gefischt werden. Einmal glüht dieser Abgrund rot, wird zur Hölle, in die Michon hinabstürzt und kurz verschwindet.
Die einstündige Performance entsteht live, Tänzer und Tänzerin haben zwar ein Thema bekommen, doch was sie daraus machen, wie sie mit ihrem Körper sprechen, bleibt ihnen überlassen. Zwei wissen nicht, was der / die Dritte machen wird und reagieren darauf, oder auch nicht, tanzen weiter ihr eigenes Solo. Es entstehen auch Trios, in denen in einer Schleife gemeinsame Bewegungen wiederholt werden, oder auch Duos, wobei sich die beiden Männer gerne zusammentun, die Frau bewegt sich alleine.
Die 24 Zuschauerinnen, je sechs an den vier Wänden, haben alle einen ganz unterschiedlichen Durchblick, keine sieht dasselbe. Die Kleinen haben es besonders schwer, denn die Sessel sind niedrig, während Großgewachsene gemütlich am Fensterbrett lümmeln, müssen andere die Nase ordentlich recken, um möglichst den gesamten Ram zu sehen. Was die Drei erzählen mit ihren Bewegungen und Gesten, mit den Objekten, die aus der Hölle gefischt werden, bleibt jeder überlassen. Samaraweerová, Maia und Michon bewegen sich gemessen, mit oft minimalistischen Bewegungen, erstarren mitunter zu einem Bild. Noch einmal sei’s gesagt, nur ich sehe das Duo ohne Dame, andere sehen auch die Dame, wieder andere sehen vielleicht nur die Dame. Gut, während der Vorstellung denke ich nicht mit, was die anderen eventuell zu sehen bekommen. Ich tauche in das Ritual der Schamanen und der Schamanin. Der in Weiß gewandete Raúl könnte ein Priester sein, ragten aus der kurzen Hose nicht die braungebrannten Beine. Doch einmal, scheint mir, hebt er beide Hände als würde er das gebeugte Haupt vor ihm segnen. Wenn die drei ihre bunten Felsbrocken aus den Erdmittelpunkt gehoben haben und sie im Raum verteilen, immer wieder neu anordnen herrscht Konkurrenz. Einen Moment bekomme ich das Gefühl, gleich fliegt der goldene Stein gegen mein Fenster. Das ist jedoch nicht vorgesehen. Wir dürfen schauen wie im Kino, mit Close up rücken ein Gesicht ganz nahe, schaut es mich an, oder blickt es ins Leere, nimmt die Tänzerin Kontakt zu mir auf, oder ist eine Bühnenfigur hinter der vierten Wand, die diesmal aus Glas ist? Zoomt die imaginäre Kamera auf, ist die Figur, sind die Figuren weit entfernt, ich bin wieder in einer Vorstellung.
Das Ritual hat kein Ziel, kein roter Faden führt mich durch die Vorstellung, das hebt die Spannung. Was wird in der nächsten Sekunde passieren? Oder: Wird überhaupt etwas passieren?
Eine kleine Gemeinschaft bildet sich, Berührungen, die Freundschaft oder Liebe, aber auch Kampf bedeuten können. Alles in Echtzeit, spannend vielleicht auch für die Darsteller und die Darstellerin.
Wenn alle drei hinter dem Pfeiler versteckt sind, bewundere ich den perfekt gestalteten und so gut genutzten Raum, also dieses Schamanenareal, das wie ein Haus aussieht, indem ein friedliches Ritual stattfindet, das ich nicht verstehe, aber genieße, vor allem, weil ich durch die Glasscheibe Tänzer und Tänzerin sehe, die mit präzisen Bewegungen und fantastischer Körperbeherrschung zeigen, dass sie genau wissen, was sie tun, auch wenn sie sich erst im Moment dazu entscheiden.
Über Kopfhörer empfange ich Töne und Geräusche, Trommeln und Hämmern, Zwitschern und kurzes Kindergeschrei, eine aufgebachte Menge höre ich, Kirchenglocken und Engelsgesang. Jetzt sitzen alle drei um ein Feuer, Rauch steigt auf, sie imitieren ein Fangenspiel rund um den Pfeiler und landen mit einem Satz vor irgendeinem Fenster. Raúl Maia vor dem meinigen. Ich spiele Ernst auf Ernst, wende die Augen von seinen erstaunlich hellen nicht ab. Dann schließt Maia seine Augen, ich muss ihn verlassen – die Sitze, Fensterbretter und Kopfhörer müssen desinfiziert werden, das Leitungsteam verwandelt sich in ein Putzteam. Die Tänzer und die Tänzerin haben auf den fälligen Applaus verzichtet.
Im Wuk-Magazin gibt Raúl Maia Einblick in sein Werk.
„Receptacle“, Künstlerische Leitung: Raúl Maia. Performance und Mitarbeit: Raphael Michon, Linda Samaraweerová, Raúl Maia. Lichtdesign: Frederico Lobo; Sounddesign: Raúl Maia. Bühne: Gabriel Schnetzer, Raúl Maia. Premiere: 29. Oktober 2020, WuK Projektraum.
Weiter Vorstellungen: 30., 31.10.2020, jeweils, 19,00, 20.15 und 21.30 Uhr