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Miet Warlop: „Ghost Writer“, Tanzquartier

Miet Warlop im rasanten Kreistanz. © Reinout Hiel

Wie tanzt eine elektrische Qualle? Mit der österreichischen Erstaufführung ihrer choreografisch-musikalischen szenischen Bildarbeit Ghost Writer and the Broken Hand Break war die belgische bildende Künstlerin Miet Warlop erneut im TQW zu Gast.

Wietse Tanghe, Joppe Tanghe & Miet Warlop: drehen, drehen, drehen – 45 Minuten lang. Die Performance beginnt, bevor sie beginnt. Das ist auch ganz normal, wenn es um die Kreisbewegung geht. Hat diese doch, so zumindest die Annahme, keinen Anfang und kein Ende. Und so treten die drei Performer*innen in ihren weißen Normcore-Socken und einsamen bunten Gummihandschuhen, Miet Warlop – nackte Beine, schwarzer Kuschelpulle – , der Musiker Joppe Tanghe und der Schauspieler Wietse Tanghe – nackte Oberkörper, schwarze Hosen, Gitarre und Saunaschlapfen –, auf und beginnen sich zu drehen, ehe noch die drei Lichtkegel ihre Wege über die Tänzer*innen gefunden haben. 45 Minuten lang drehen sie sich darin, bis die Lichter sie erneut zu verlieren beginnen, suchend um sie herum und an ihnen vorbei wirbeln, ehe sie wieder ausgehen und die Performer*innen zum Stehen kommen.
Miet Warlop dreht sich wie die Mittänzer singend und musizierend, bis die Lichter erlöschen. „Ghost Writer and the Broken Hand Break" scheint nur im ersten Moment die Möglichkeit einer meditativ-säkularen Auseinandersetzung mit der religiös-spirituellen islamischen Tradition des Sufi-Tanzes und dessen Konnotationen zwischen Mystik und Mystizismus. Umso schneller wird klar, dass sich das anfangs- und endlos Meditative als rasanter Kreistanz über Themen unserer Zeit manifestiert, in dem inmitten der Atemlosigkeit der Wiederholung Stimmen, Musik und Texte von heute hereinbrechen, die vom Tanz des Begehrens und der Losgelöstheit, dem Schmelzen des Eises und dem Gefühl, dauernd beobachtet zu werden, erzählen. Die Kompositionen von Pieter De Meester, Wietse Tanghe und Miet Warlop nehmen ihren eigenen Lauf, werden von Minute zu Minute wilder, rauschhafter und beginnen so, den Weg der Drehungen für sich einzunehmen.

Nichts erzählt mehr von Ruhe und Wiederholung: Miet Warlop und die Arme der Mittänzer.Nichts erzählt mehr von Ruhe und Wiederholung, während sich die drei Tänzer*innen singend und musizierend mit Themen wie Veränderung, Entscheidungen und Drogen befassen. Themen unserer Zeit, ihrer Generation, geformt in einen Tanz zwischen religiösem Pathos und mystifiziertem Nichtverstehen. Vielleicht ist es gerade das: die kleine Lüge der Ewigkeit einer Kreisbewegung, gepaart mit den stets in ihrer Zeit für ihre Zeit relevanten Fragen, die sich darin kreisend doch im Versuch einer Übersetzbarkeit in das Danach verlieren.

Saxophonist Pieter De Meester hat sowohl die Musik wie auch den Text mitkomponiert. © folkforum nl „Nicht ich stehe im Zentrum“, erklärt Warlop in einem Gespräch mit dem litauischen Autor und Kurator Raimundas Malašauskas, mit dem sie auch die Texte verfasst hat. Noch ist es jemand anderer, dessen/deren Biografien von all dem erzählen, was heute „brennt“ und morgen schon vom Schein des Lichtkegels verlassen wird. Und doch sind es die eigenen Töne, das Atmen, Zungenschwingen, Texte ausstoßen, die den sich drehenden Körpern anhaften, als wären es ihre: ihre Töne, ihr Atem, ihre Texte über diese Welt. Heute. Alles ist heute wie gestern und morgen, und so ist das Kreisen Symbol dafür, dass es im Kreisen ist und wieder gefunden wird, sobald die Runde an ihrem Anfangspunkt ihr Ende findet − und der nächsten Runde Raum gibt, dieselbe Bewegung zu unternehmen.

Im Falle von Ghost Writer ist selbst der Anschein, es wäre noch immer dieselbe Runde, die immer und immer sich in sich und über und auf sich weiterbewegt, ein illusorischer. Miet Warlop, ein nicht ganz privates Porträt. © mietwarlop.comAuch wenn sich die Texte verändern, die der harte Beat dieses Abends kaum verständlich aus den Instrumenten und Mündern stößt, sind sie Kreis um Kreis verändert, wie es eben ist mit den Texten, die man ausstößt und im nächsten Moment schon wieder vergessen hat - oder bereut. Diese „unsichtbaren Brüche“, von denen Warlop spricht, sind so unsichtbar nicht, werden sie in die beruhigende Form des Kreise(n)s gelegt, um diesen zu verunsichern. „Nichts blieb der zyklischen Ordnung der Dinge treu“*) − die kraftvollen, irritierenden, verletzend-verletzlichen Anordnungen der Performance machen es verstörend unmediativ deutlich.

*) Alle Zitate von Miet Warlop aus dem Projekttext auf mietwarlop.com

„Ghost Writer and the Broken Hand Break“, Konzept & Leitung: Miet Warlop; Performance: Wietse Tanghe, Joppe Tanghe, Miet Warlop; Musik: Pieter De Meester, Wietse Tanghe, Miet Warlop; Text: Raimundas Malašauskas, Miet Warlop, Pieter De Meester; Sound: Bart Van Hoydonck; Licht: Henri Emmanuel Doublier; Kostüm: Karolien Nuyttens; Österreichische Erstaufführung, 23., 24.10.2020.Tanzquartier
Fotos, wenn nicht anders angegeben: © Reinout Hiel