Skip to main content

Tanz*Hotel: „Medusa*Expedit"

Medusa tanzt (Bert Gstettner). © Ernst Grünwald

In mehreren Entwicklungsphasen haben der Tänzer / Choreograf Bert Gstettner, der bildende Künstler Hannes Mlenek und der Komponist / Musiker Günther Rabl am Projekt „Floß*Medusa“ gearbeitet. Als beeindruckende raumfüllende Inszenierung wurde nun in der Expedithalle der Brotfabrik Wien ein erstes Ergebnis gezeigt. Malerei, Choreografie und Musik flossen nahtlos zu einem Gesamtkunstwerk zusammen.

Rot wie Blut, schwarz wie der Tod sind die Bilder, die Hannes Mlenek auf das Papier wirft, an die Wand spannt. In eine silbern glänzende Rettungsdecke gehüllt, erscheint eine mythische Figur, eine fremde Gottheit, die blutgierige Medusa. Schrecklich und schön zugleich. Der Maler wird zum Akteur. Die Kopf-Gesichtsmaske beider erinnert an einen frühgriechischen Helm, die Tätowierung des nun fast nackten Tänzers durch den Maler können Zauberzeichen oder Wunden sein. Der elektronische Klang füllt den riesigen Raum der Expedithalle, bedrohlich und einhüllend zugleich. Ein Klagelied „Plagt mich nicht länger, lasst mich sterben“ (Alessandro Scarlatti) steigt zum Himmel.

So schnell geht das nicht. Die Geschichte muss erzählt werden, die unerhörte Geschichte  der französischen Fregatte Medusa, die 1816 auf der Fahrt nach Westafrika auf Grund lief. Durch Inkompetenz, Dilettantismus, Gemeinheit und Egoismus mussten mehr als 100 Passagiere und Besatzungsmitglieder auf dem Meer verrecken. Weil zu wenig Beiboote vorhanden waren, wurde ein Floß gezimmert, auf dem die 150 Menschen kaum Platz hatten. Es sollte von den Booten an Land gezogen werden. Doch bald kappten die Offiziere die Seile und das Floß trieb steuerlos ins offene Meer. Die Menschen starben an Verletzungen und Durst unter der gnadenlos brennenden Sonne oder wurden von den Wellen ins Meer gespült. Die Überlebenden nähren sich vom Fleisch der Toten.
Lediglich 15 Menschen konnten nach einer Woche gerettet werden, dabei auch der Chirurg Henri Savigny und der Geograf Alexandre Corréard, die später den bekanntesten Bericht verfasst haben. Mlenek, Gstettner: Matrosen im berstenden Schiff. © Ernst Grünwald

Musikalische, filmische und literarische Werke befassen sich bis heute mit dem ganz Europa erschütternden Ereignis. Am bekanntesten ist das Gemälde „Das Floß der Medusa“ des französischen Malers Théodore Géricault. Als Modelle der sich übereinander türmenden Leichen dienten ihm Freunde, darunter sein Kollege Eugène Delacroix. Da schließt sich der Kreis zur aktuellen Performance. Mlenek hält sich in seinen im Vorbereitungsprozess entstandenen und aktuell hergestellten Zeichnungen an Géricault und zugleich an den tanzenden Körper Gstettners. Der ist immer wieder neu und überraschend gehüllt in die fantastischen Kostüme von Devi Saha. Weniger als nackter Matrose, denn als todbringende Gorgonenschwester Medusa. Saha hat ihr für ihren letzten Auftritt einen Rock aus schlackernden rosa Teilen geschneidert, die den Eindruck von rohem Fleisch erwecken. In manchen Berichten hängten die Überlebenden die Stücke an den Mast, um sie zu trocknen. Den Rettern schauderte.

Wunderbar romantisch als Schauspiel läuft diese Medusa Expedition vor den Augen der Zuschauerinnen ab. Man hört die Stürme brausen und die Wellen gegen die Planken klatschen, das Schiff nimmt Fahrt auf, pflügt durch das imaginäre Meer der Halle, die Matrosen turnen im Gestänge, bald zerbirst es. Im Hintergrund hinten ist Land zu sehen, rettende Inseln. Werden sie zu erreichen sein? 
Medusa reimt sich auf Lampedusa.

Das Unfassbare ist nicht darstellbar, auch Blut und Tod, Horror und Terror gerinnen zum Schaurig-Schönen.
Das Haupt der Medusa: Probedemonstsration (Gstettner, Mlenek). © Ernst GrünwaldDie Performance, dieses Gesamtkunstwerk von Musik, Tanz und Malerei, wird unwiderruflich zum romantischen Tableau, wenn der Tänzer als Prinzessin Medusa in der schimmernden Höhle sitzt und ein ein afrikanisches Spiritual singt. „Es wird Balsam geben in Gilead, um die Wunden zu heilen“.

Schöne Medusa im Gehäuse (Gstettner). © Ernst Grünwald Die Romantik ist nicht mehr schwarz sondern rosenrot. Das Grausen entsteht in den Köpfen der Zuschauer, wenn sie der schlangenköpfige Medusa im Spiegelbild begegnen.

Gstettner möchte mit dem beruhigenden Ende Hoffnung geben, Hoffnung, dass die rettenden Inseln erreicht werden. Ganz praktisch darf gehofft werden, dass das Medusa-Projekt nicht im Meer des Vergessens versinkt.
Weitere Aufführungen sind erwünscht.

Tanz*Hotel „Medusa*Expedit“ von und mit Bert Gstettner, Hannes Mlenek, Günther Rabl; Kostüme: Devi Saha; Licht: Klaus Greif, Lukas Kaltenbäck. Vorerst einmalige Aufführung in der Brotfabrik Wien – Expedithalle / Loftcity am 4. 10. 2015.