Zum Hauptinhalt springen

ImPulsTanz: Steven Cohen – „Put your heart …“

Die tätowierte Fußsohle Steven Cohens.

So schön und so traurig. Der südafrikanische Künstler Steven Cohen trauert um seinen Liebsten. Ihm, Élu, ist das Ritual, an dem Cohen das Publikum teilnehmen lässt, gewidmet. „Put your heart under your feet… and walk! / à Élu“ nennt er die Performance, die  im Rahmen des ImPulsTanz Festivals im Odeon zelebriert worden ist.

Mit hochhackigen Schuhen und untergeschnallten Särgen kann Cohen nur mit Krücken gehen. Den schönen Titel hat Cohen seine afrikanische Ziehmutter, Nomsa, geschenkt. Als Élu gestorben war, wusste Cohen nicht weiter. 20 Jahre hatten sie gemeinsam getanzt, gelebt, geliebt. 2016 ist Élu gestorben. Steven fragte Nomsa, wie er denn weiterleben könnte und sie gab ihm den Rat: „Nimm dein Herz unter die Füße und gehe!“ Und errichte den performativen Epitaph für Élu, mit dem er 20 Jahre lang gegen Willkür, Gewalt und Ausgrenzung getanzt hat. Seine Kunst hat er gemeinsam mit Élu als Waffe eingesetzt. Heute tut er es, seit 2002 in Frankreich lebend, alleine.

Ballettschuhe sind auf dem weißen Boden in ordentlichen Linien aufgereiht, vorne ein kleiner Tisch mit Kerzenleuchtern als Altar. Im Hintergrund der weißen Bühne flackert eine kleine Kerze. Die Bühne wird zur Kapelle, in der Tänzer seine Trauer bewältigt, lernt, loszulassen und sich dem Leben zuzuwenden.

Cohen benutzt für sein Ritual unterschiedliche Medien, Video, Objekte, seine aufwendigen Kostüme und die Gesichtsschminke samt glitzerndem Kopfschmuck. Im Schlachthaus badet der Trauernde in Blut. Eine grausig-schöne Videosequenz.Den hilfreichen Rat seiner Ziehmutter hat er sich auf die Fußsohle tätowieren lassen. Mit einem körperlichen Schmerz soll der seelische ausgelöscht werden. Zu Beginn erscheint er auf dem Video als gelassene Göttin in weiße Schleier gehüllt, die im Palmengarten tanzt. Später begibt er sich ins Schlachthaus, zeigt uns auf dem Video traurige Rinderaugen und wäscht sich mit Blut. Er will nicht schocken, zeigt Fleisch und Blut nur im Video, dennoch können manche Zuschauer*innen die Szenen nicht ertragen, schließen die Augen oder verlassen fluchtartig den Saal. Cohen balanciert als zerbrechliche Drag durch die Kapelle, ist Tänzerin im wippenden Tutu aus Spitzenstoff, bunter Schmetterling oder zierliche Prinzessin, immer auf hohen Kothurnen, unter die er zwei Särge oder Grabsteine geschnallt hat, sodass er eine Stunde lang im Zehenstand geht und tänzelt. Er lässt sich lebendig begraben (Video), sodass nur der dekorierte Kopf aus der Erdmasse schaut und kriecht wie ein verletztes Tier durch seine Erinnerungen.Die Prinzessin trauert inmitten der Erinnerungsstücke.

Am Ende zündet er die Kerzen an den Leuchtern an, spricht am kleinen Altar, hat ein jüdisches Gebet, öffnet ein Kästchen mit Asche, nimmt einen Löffel davon, trinkt aus dem roten Kelch. Die Tränen sind nicht mehr aufzuhalten. Auch wenn Cohen dieses knapp eine Stunde lange Trauerritual schon an die 30 Mal durchgeführt (und nicht aufgeführt) hat, ist zu fühlen, dass er es tatsächlich durchlebt, persönlich, ehrlich und authentisch ist. Das lässt mich vergessen, dass ich als Zuschauerin gekommen bin, lässt mich Teil der Trauergemeinde werden. Am Ende brennen die Lichter am Altar.

„Put your heart under your feet … and walk!“ ist keine leichte Kost, geht unter die Haut, liegt im Magen, ist erschreckend grausam, tieftraurig, erschütternd und auch abstoßend und zugleich wunderschön, leise und innig – und dem Leben zugewandt. Denn auch darum geht es Cohen, um das Weiterleben nach dem schmerzhaften Verlust. Einmal sieht man kurz den Grabstein für seinen Liebsten, den klassischen Tänzer Élu  (der Erwählte) Johann Kieser. Leonard Cohen singt eines seiner leisen Lieder.

Steven Cohen ist mit diesem sämtliche Grenzen überschreitenden Kunstwerk ein Meisterwerk gelungen, schwarz und golden zugleich, erhaben und niederschmetternd. Ich möchte niederknien. Nur wenige haben nicht verstanden, versuchen Beifall zu klatschen, würden wohl auch quietschen und johlen, würde Steven Cohen an diesem Abend nicht  auf jeden Kommentar verzichten. Er wird sich nicht verbeugen. Es war seine höchst eigene Geschichte, das Publikum durfte teilnehmen.

Golden überstrahlt: Steven Cohen. © Pierre PlanchenaultSeinen Witz und seine Ironie zeigt Cohen in der Mini-Performance "Taste / Geschmack" im Leopoldmuseum. Auch in dieser Präsentation hat Cohen das Thema Verlust und Trauer thematisiert, daraus ist ein kruzes Video entstanden, das mit einer hinduistischen Totenfeier beginnt. Aufregung für nichts: Ein Huhn an der Penisleine. Steven Cohen erlaubt es sich. © Steven CohenDanach spielt er das Video seines berühmten Spaziergangs vor dem Eiffelturm mit einem Hahn. Er ist danach verhaftet worden, wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses. Die Polizisten, die dazu verdammt waren, den Künstler abzuführen, waren ziemlich betropetzt, hatten sie doch beobachet, dass sich niemand im staunenden Pulikums „geärgert" hat. Das Ärgernis war wohl nicht das lebendige Hendel, sondern darum, dass Cohen das Federvieh an seinen umwickelten Penis angebunden war. Für mich war das eher lustig als provokant. Zum Abschluss erscheint die Drag wieder auf den überhohen Stückelschuhen (eine Ironiesrung des Ballettschuhs, die er auch in den Aufführungen mit seinem verstorbenen Partner, Élu, der als Balletttänzer begonnen hatte, immer wieder verwendet hat) als zierliche Königin und bezaubert durch seine Präsenz und seine Authentizität.
Steven Cohen live: zerbrechlich und authentisch. © Pierre Planchenault.Cohen kämpft jede Art von Beschränkung, Verbot und Tabu. So lässt er aus seinem Anus roten Saft in eine Urinente fließen, um die Füssigkeit in Rotwein zuwandeln, indem er sie in ein schönes Glas schenkt. Steve Cohen trinkt sein Blut und stöckelt hinaus.
„Taste" ist 1999 in Südafrika entstanden und wird von Cohen immer wieder neu zusammengesetzt und aufgeführt. Auch in den knappen 20 Minuten ist genügend Inhalt samt einem reichhaltigen Angebot zum Nachdenken verpackt, die zerbrechliche Kunstfigur, die Steve Cohen darstellt und zugleich lebt, bleibt unauslöschlich im Gedächtnis. Um nicht des Übertreibens verdächtigt zu werden: Wenn die grauen Zellen schlapp werden, helfen Bilder. Cohen wird demnächst 57 – da kann er schon noch oft nach Wien kommen.

Steven Cohen:
„Put your heart under your feet … and walk! / à Elu“, Performance, Bühnenbild, Kostüm: Steven Cohen. Sound und Video: Baptiste Evrard; Bühne und Licht: Yvan Labasse. 17., 20., 21. Juli 2019,  ImPulsTanz Festival / Odeon.
Fotos: Pierre Planchenault
"Taste", Kostüm, Musikzusammenstellung, Make up, Interpretation: Steve Cohen. Video und Liveauftritt. 27. + 29. Juli 2019, Impulstanz / Leopoldmuseum.