ImPulsTanz: Agudo Dance Company „Silk Road“
Es wird wieder getanzt! Der Flamencotänzer und Assistenzchoreograf und Ballettmeister bei Akram Khan, Jose Agudo, hat im Mai 2017 seinen ersten eigenen Tanzabend präsentiert. „Silk Road“, im Akademietheater gezeigt, ist für mich einer der Höhepunkte des heurigen ImPulsTanz Festivals. Ein zweiteiliger Abend, dessen ersten Teil, zwei Solos von Agudo, Rafael Amargo und Nahid Siddiqui choreografiert haben.
Der gesamte Abend: nahezu unerträglich schön.
Der Titel sagt mehr über Agudos Intentionen und seine Tanzsprache aus als über den Abend. In den zwei Solos (Jose Agudo) und dem Duo mit Kenny Wing Tao Ho, wird nichts erzählt, sondern einfach getanzt, hämmernd hart im Flamenco, gefühlvoll weich im Kathak, emotional und harmonisch im Duett. Der Titel „Seidenstraße“ bezieht sich auf die Tanzsprache Agudos, der seit 2014 als Workshop-Leiter, vor allem für die Tanzsprache des Flamenco, mit ImPulsTanz verbunden ist, in der er Ost und West verschmilzt und in einen zeitgenössischen Kontext stellt.
Als „Seidenstraße“ wird ein antikes Netzt von Karawanenstraßen bezeichnet, dessen Hauptroute den Mittelmeerraum auf dem Landweg mit Zentral- und Ostasien verbindet. In westlicher Richtung wurde vor allem Seide transportiert, vom Osten kamen Wolle, Gold und Silber. Nicht nur Kaufleute, auch Gelehrte und Armeen benutzten die Wege. So vermischten sich Kulturen und Religionen und ganze Kulturkreise. Auf der Seidenstraße kam auch der Buddhismus (aus Indien) nach China.
Im seinem ersten selbst konzipierten Abend hat Jose Agudo seine Solos und das Duo in losem Zusammenhang aneinandergefügt. Noch mutet die Vorstellung etwas unfertig an, mehr wie eine Skizze denn wie ein ausgereifter Abend. Aber enthält nicht auch eine Skizze schon die gesamte Idee, den Kern der ausgefeilten Schöpfung? In der bildenden Kunst, bei Michelangelo oder Albrecht Dürer, kann das nachgeprüft werden. So haben die drei Szenen an diesem Abend nichts Flüchtiges mehr an sich, sind für mich perfekt.
Ganz in Schwarz tritt Agudo im Flamenco aus der Dunkelheit ins Licht, biegt seinen Körper in der unnachahmlichen Haltung männlicher Flamencotänzer, trommelt mit den harten Schuhen auf den Boden, als wollte er ihn durchbrechen. Mir wird heiß, ich sehe die trockene Landschaft Asturiens in der Sonne flimmern, die Männer umwerben die Frauen, die aber schwingen stolz ihre bunten Rücke und warten ab. Ganz anders dann im auf dem indischen Kathak basierenden Solo. Agudo lässt die beiden Musiker allein mit ihrem Zwischenspiel und erscheint dann ganz in Weiß mit den metallenen Glöckchen um die Knöchel (Ghungroo, verwendet im klassischen indischen Tanz) gewickelt und schmiegt sich anmutig mit fließenden Bewegungen in den Rhythmus. Auch im Kathak wird hart gestampft, mit bloßen Sohlen, unterbrochen von Momenten der Stille. Doch die Armbewegungen sind weich und sinnlich. Betörend.
Unterstützt werden Solos und Duett von den beiden exzellenten Musikern Giuliano Modarelli mit der akustischen Gitarre und Bernhard Schimpelsberger an unterschiedlichen Percussion-Instrumenten. Die beiden sind eine Klasse für sich, hämmern die Beats oder säuseln einschmeichelnde Melodien. Der Österreicher Schimpelsberger hat mit einem Jazzstudium begonnen, sich jedoch in Indien bei einem renommierten Tablameister weitergebildet und das indische Rhythmus-System in seine (westliche) Musik voll Poesie und Schwierigkeiten integriert. Gern komponiert er auch für Tanzstücke, die Beherrschung der vielen unterschiedlichen Instrumente wird auch von Tänzer*innen geschätzt.
Giuliano Modarelli ist in Italien geboren, auch er kommt vom Jazz und hat später indische Musik studiert und kombiniert traditionelle Formen mit zeitgenössischer Musik. Wie Schimpelsberger komponiert er auch gerne für Tanz und ist ein regelmäßiger Begleiter von Jose Agudo.
Wenn sich nach der Pause Agudo mit dem jungen, in London ausgebildeten Tänzer Kenny Wing Tao Ho vereint, werden Flamenco und Kathak mit westlichen Tanzstilen fusioniert. Agudo und sein Partner tanzen getrennt und synchron in hellen Kostümen, spiegelbildlich und symmetrisch, in perfekter Harmonie. Nach einem kurzen Solo bleibt Kenny Wing Tao Ho im Dunklen auf dem Boden liegen, Jose Agudo zeigt als Solist noch einmal seine reiche Tanzsprache. Es wird wieder getanzt, richtig getanzt, mit dem Körper gesprochen, fließend, gefühlvoll, akkurat. Ein Abend, der Schönheit und Harmonie ausstrahlt, das Herz weitet, das es platzen möchte. Die Bravo-Rufe lösen sich von selbst aus der Kehle. Unbeschreiblich, nahezu unerträglich.
„Silk Road“, künstlerische Leitung, Tanz: Jose Agudo. Gastchoreografie: Rafael Amargo (Flamenco), Nahid Siddiqui (Kathak); Gasttänzer im Duo: Kenny Wing Tao Ho. Komposition & Performance: Bernhard Schimmelpfennig, Giuliano Modarelli. Lichtdesign: Jackie Shemesh; Kostümdesign: Kimie Nakano. 3., 4., 5.8. 2019 ImPulsTanz / Akademietheater.
Fotos © Karolina Miernik