Britischer Abend: Wiederaufnahme mit Debuts
MacMillan | McGregor / Ashton“ nennt sich schlicht der britischen Choreografen gewidmete dreiteilige Abend, der auch beim Abonnementpublikum schon bei der Premiere 2017 großen Anklang gefunden hat. Für drei Vorstellungen ist er in der zu Ende gehenden Saison mit zahlreichen Debüts wieder angesetzt.
Zur Einleitung leicht Fassliches. Kenneth MacMillans,1966 für Berlin als Einstandsgeschenk als Ballettchef, geschaffenes Ballett zum Klavierkonzert Nr. 2 in F-Dur von Dimitri Schostakowitsch erfreut mit zwei Pas de deux und einem Solo und harmoniert wunderbar mit der von Igor Zapravdin interpretierten und Valery Ovsyanikov dirigierten Musik. Drei Russen also im Orchestergraben, die wissen (wussten, was den Komponisten betrifft), was sie tun. Reines Vergnügen. Das erste Par mit Nikisha Fogo und Davide Dato, der die Rolle zum ersten Mal getanzt hat, zeigt pure Heiterkeit mit rasanten Drehungen und weiten Sprüngen in schöner Linie und formidabler Technik. Olga Esina (eingesprungen für die erkrankte Nina Poláková) hat als Partnerin von Roman Lazik im lyrischen 2 Satz, Andante, debütiert. Nicht so elegisch wie das Paar Poláková / Lazik, eher luftig leicht, distanziert und anschmiegsam zugleich. Die Bläser und das Schlagwerk schweigen, die Geigen klagen, das Klavier singt traurige Lieder, doch am Ende ist alles gut, das Paar ist friedlich vereint. Auch im dritten Satz macht ein Rollendebüt neugierig. Nina Tonoli, weniger kräftig und selbstbewusst als Alice Firenze, die bei der Premiere getanzt hat, doch keineswegs auf der Suche nach dem verlorengegangen Partner, besticht Tonoli durch ihre klassische Technik und den weichen Port de bras. Im Hintergrund agieren zehn Tänzerinnen und acht Tänze in unterschiedlicher Formation exakt und sportlich.
Nach der ersten Pause, das für mich überaus aufregende und anregende Stück des Chefchoreografen am Royal Ballet, Wayne McGregor: „Eden, Eden“, zwar schon 15 Jahre alt, aber immer noch besonders, auch besonders schwierig für die Tänzer*innen, die zur Musik von Steve Reich ( dritter Teil seiner Multimedia Oper „Three Tales“ von 1997 mit dem Titel „Dolly“, eine Erinnerung an das berühmte geklonte Schaf) in einer beklemmenden Lichtschau die Möglichkeiten ihres Körpers ausreizen dürfen, weit über alles je Gesehene hinaus. Nikisha Fogo, Natascha Mair, Ketevan Papava (Rollendebut), Madison Young; Andrés Garcia Torres (Solo), Eno Peçi, Tristan Ridel, Dumitru Taran und Géraud Wielick versetzen das Publikum in Erstaunen, reißen es zu Bravorufen hin. Im ersten Teil dieses Paradieses, in dem nichts wächst und blüht, sich lediglich ein verdorrter Baum krümmt, tragen die Tänzer*innen hautfarbene Trikots und Perücken, die sie kahl erscheinen lassen. Unmöglich, die einzelnen zu erkennen. Ketevan Papava, Eno Peçi, Dumitru Taran, Géraud Wielick jedenfalls tanzten im keineswegs ersehnenswerten Garten Eden zum ersten Mal. Papava, Peçi und Wielick nutzen die vom Choreografen gegebene Freiheit der Bewegungen mit der ihnen innewohnenden Energie. Auch wenn mir scheint, ich höre Knochen krachen und Köpfe davonfliegen, ist diese Choreografie immer wieder überwältigend, das Alter kann ihr nichts anhaben, weil jeder Körper das Stück neu gestaltet.
Zum Abschluss wieder ein Geschenk. Diesmal von Frederick Ashton an Margot Fonteyn und Rudolf Nurejew, für die er „Marguerite and Armand“ 1963 geschaffen hat. 1967 war das legendäre Paar vier Mal in Wien zu sehen. In Wien tanzen Liudmila Konovalova und Jakob Feyferlik in vier Pas de deux diese Szenen vom Leben, Lieben und Sterben der Marguerite Gautier, der „Kameliendame“ von Alexandre Dumas, deren reales Vorbild sich Marie Duplessis (1814–1847) genannt hat. In der aktuellen Aufführung sehe ich eine delikate Liebe zwischen einem jungen, stürmischen jungen Mann und einer älteren Frau, die sich auf Befehl (Bitten ist das wohl keines) seines Vaters (Vladimir Shishov, sehr würdig und bestimmt) dem Erfolg des Geliebten opfert. In dieser Rolle ist Feyferlik längst zu Hause, weiß genau, wer er ist und besticht auch durch die Gefühlsausbrüche von Armand. Liudmila Konovalova ist eine Marguerite, die den Tod längst in sich trägt, ihre Liebe hat auch im weißen Kleid einen Trauerflor. Da vergesse ich tatsächlich diese lieblose Dekoration des Fotografen Cecil Beaton (1904–1980), der für seine Szenenbilder und das Kostümdesign in mehreren Filme mit Preisen bedacht worden ist, aber als Bühnenbildner nicht gerade Berühmtheit erlangt hat. Strohsterne und ein Holzgestänge sind heute nicht der passende Rahmen für eine zu Herzen gehende Liebesgeschichte. Die Konzentration auf das perfekte Paar, zur Klaviersonate h-Moll von Franz Liszt, hinreißend begleitet von Shino Takizawa, lässt darüber hinwegsehen.
MacMillan | McGregor | Ashton: „Concerto“ | „Eden |Eden“ | „Marguerite and Armand“. Dirigent Valeria Ovsyanikov; am Klavier Igor Zapravdin („Concerto“), Shino Takizawa („Marguerite and Armand“). Kostüme: Deborah MacMillan („Concerto“); Usula Bombshell („Eden | Eden“); Cecil Beaton („Marguerite and Armand“. Für „Eden | Eden“ gestaltete Charles Balfour das Lichtdesign, Ravi Deepres die Filmeinspielungen, die visuellen Effekte sind von Luke Unsworth. 8. Aufführung nach der Premiere am 31. Oktober 2017: 7. Juni 2019, Wiener Staatsballett in der Staatsoper.
Noch zwei Vorstellungen in dieser Saison am 16. und 21. Juni 2019.
Fotos: Ashely Taylor, © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor