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Festwochen: Zwei Mal Romeo Castellucci

Die Propheten legen ein Auto auf den Rücken. © Stephan Glagla / Kanal

Der italienische Regisseur und Bühnenbildner Romeo Castellucci ist ein Phänomen. Er begeistert und empört, ist mitreißend und abstoßend, wird meistens in den Himmel gehoben, aber mitunter auch in die Hölle verdammt. Als häufiger Gast bei den Wiener Festwochen zieht er jedenfalls das Publikum in Scharen an. Heuer mit zwei eher kurzen Vorstellungen in den Gösser Hallen: „La vita nuova“, uraufgeführt 2018 im Musée Kanal – Centre Pompidou in Brüssel und „Le Metope del Partenone“, zum ersten Mal 2016 bei der Wiesbaden Biennale gezeigt. Die Reaktionen waren eher lau, manche hatten die Vorstellungen schon vor dem Ende verlassen.

In „La vita nuova“ („Das neue Leben“) liegt nach einiger Kraftanstrengung der Mitwirkenden ein Auto auf dem Rücken: „Die Revolution der Handwerker gegen die Kunst“ sagt der Text von Claudia Castellucci. "Das neue Leben" zeigt die Propheten in der Garage. Stefan Glagla / KANALEs gibt überhaupt viel Text in dieser Vehikel-Ausstellung mit Toninstallation (Scott Gibbons) und Lichtschau und Videoeinblendungen (Luca Mattei), aber auch eindrucksvolle Bilder, wenn der Regisseur das stehende Publikum von der Kunst der Renaissance zum banalen Einkaufsnetz voll Orangen führt. Von den „Propheten der Parkgarage“, lese ich im Programm: „… sie wollen die Kunst des Lebens wieder erlernen. In einer Umwandlung nicht nur der Werte, sondern auch der Dinge, erschaffen sie sich einen neuen Garten Eden.“ Die Frage, ob wir so einen „Garten Eden“ brauchen, beantworte ich mit „Nein“. In diesem Garten hält es der Mensch nicht aus, wie wir wissen.

Noch weniger als 30 Autos als Metapher und die Propheten eines neuen Lebens interessieren mich Katastrophen. "Le Metope del Partenone", fotografiert in Paris.  Eine Frau verblutet unter unnatürlichem Gewimmer.© Guido MencariIch muss mich bei Unfällen nicht unter die Schaulustigen mischen, das Gellen des Folgetonhorns höre ich täglich auf der Straße, es erschüttert mich nicht, tut aber in den Ohren weh. Im Gegensatz zu Castelluccis Theater erhalte ich im Alltag keine Ohrstöpsel. „Romeo Castellucci zwingt zum Hinsehen“, wieder zitiere ich aus dem Programmheft. Ich lasse mich nicht zwingen, muss mir auch den Lauf des Lebens, dessen Ziel immer der Tod ist, früher oder später, nicht erklären lassen. Manche dürfen ihre Wanderung nahezu gemütlich bis zum Gipfel führen, andere werden überraschend von einem Steinschlag getroffen und stürzen in Abgrund. Mit überlautem Tatü Tata rast jedes Mal die Rettung herbei, doch der Notarzt kommt zu spät. © Peter Schnetz, ParisAus die Maus. Die Zurückbleibenden sind es, die leiden.

Castellucci mischt Fiktion und Imagination mit Realität: Folgetonhorn, Notarzt die Helfer vom Roten Kreuz samt dem jedes Mal von neuem in die Halle rasenden Rettungswagen sind real, die wimmernden, stöhnenden, schreienden Opfer (Musik von Alexander Kneifel / Blazhenvstva) werden gemimt. Das Publikum ist real,so real wie bei einem blutigen Unfall auf der Straße, drängt sich immer näher an die Blutenden, Sterbenden heran, will die Nase in die Wunden stecken, den letzten Röchler genau hören, Die Rettungsmänner bemühen sich vergeblich. Doch der Tod ist in nur Schauspiel. © Guido Mencari, Paris auch den sechsten Darsteller im Todeskampf noch erleben. Da wissen wir schon, das die „Leiche“ wieder aufsteht und die Bühne verlässt. Kaum jemand wendet sich ab, rundum nur Neugier, keine Erschütterung, Katharsis unerwünscht. Wer will, kann gehen. Ich will. Theater bleibt Theater, die Realität ist nur gespielt, ein Spektakel, an dessen Ende genüsslich ein Bier getrunken und besprochen wird, welches Festwochen-Ereignis noch zu konsumieren ist.

Metope aus dem Tempel von Selinunt. Perseus schlägt Medusa den Kopf ab. © Wikipedia / Palermo Museo ArcheologicoAuch an den Darstellungen in den Metopen auf dem Parthenon (Tempel der Athene auf der Akropolis in Athen) können wir uns delektieren, sie zeigen ein Spektakel ohne Gestank und Gewimmer, in Stein gehauen, grausam zwar, doch längst vergangen. Metopen sind Steinplatten an den Friesen griechischer (römischer) Tempel. Sie zeigen einzelne Szenen aus der Mythologie, vor allem Krieg, Raub und Mord. Auf den Parthenon-Platten etwa sind die Kämpfe gegen die Zentauren, die Amazonen und die Giganten zu sehen. In Selinunt wird gezeigt, wie Perseus der Medusa das Haupt abschlägt. Metopen sind Dekoration, sie werden als Kunstwerke bewundert. Castellucci zeigt eine theatrale Installation, die durch die Künstlichkeit kalt lässt. Die 92 Metopen des Parthenons sind großteils zerstört, doch 15 davon sind im Britischen Museum als Teil der „Parthenon Marbles“ zu sehen.

Romeo Castellucci / Societas Scietas Raffaello Sanzio: „La vita nuova“, 29., 30., 31. Mai; 1., 2.Juni 2019; „Le Metope del Partenone“, 7., 8., 9. Juni 2019.
Regie: Romeo Castellucci, Texte: Claudia Castellucci, in den Gösserhallen im Rahmen der Wiener Festwochen 2019.