Suche
John Neumeier: Beethoven-Projekt, Hamburg Ballett
Ludwig van Beethoven hat es dem Choreografen John Neumeier angetan. Für die 44. Hamburger Ballett-Tage hat er dem Komponisten einen ganzen Abend gewidmet. Nach der Uraufführung am 24. Juni 2018 war am 6. Juli 2018 die 3. Aufführung von „Beethoven Projek"t zu sehen. Neumeier hat den Abend in zwei Teile zerlegt, und ließ seine exzellente Compagnie im zweiten zur 3. Sinfonie in Es-Dur, der „Eroica“, tanzen. Dadurch ist “Beethoven-Projekt“, Neumeier beließ den Arbeitstitel dann als Gesamttitel seiner Kreation, fast zu einem Wiener Abend geworden. Hat doch Beethoven die „Eroica“, die Heroische Sinfonie, in Wien, in einer Privataufführung im Palais Lobkowitz, erstmals vorgestellt.
Auch die Musik zum Ballett von Salvatore Viganò, "Die Geschöpfe des Prometheus", das den ersten Teil abschließt, ist im Wiener Hofburgtheater als Benefizveranstaltung aufgeführt worden. Nicht verwunderlich, dass in dieser Kreation Neumeiers die im Hamburg Ballett tanzende Wienerin Patricia Friza die Erklärungen zum Handlungsverlauf, der sich gar nicht an die griechische Sage hält, gibt. Eine feine Tänzerin, die ganz in Rot, auch davor eine wichtige Rolle spielt, und, man staune, auch verständlich und klar sprechen kann. Prometheus ist hier eine Art Pygmalion, der einen Mann und eine Frau lebendig werden lässt, die aber das Menschsein erst lernen müssen. Das passiert durch die Kunst. Apollo (Edvin Revazov) tritt mit seinen Musen im Schlepptau auf, die die beiden lebendigen, aus ihren komischen, weißen Verhüllungen geschälten Lebewesen, tanzen und singen. Prometheus, zugleich Beethoven (Aleix Martinez) sieht zu und findet sein Gefallen am Tun, blickt mitunter in den Orchestergraben und feuert den Dirigenten (Simon Hewett) an. Mitten in der kunstliebenden Gesellschaft fühlt er sich wohl.
Davor aber zu Kammer- und Klaviermusik Beethovens (auf der Bühne vom Pianisten Michal Bialk und einem Streicherensemble gespielt und auch elektronisch mit einer Klang-Collage vermischt), gefällt dem jungen Künstler das Leben nicht wirklich. Er verkriecht sich unter dem Klavier, wirft sich mit schlenkernden Beinen auf die Saiten, bewegt sich hölzern wie eine Puppe. Geister suchen ihn heim, manche sind freundlich, heben ihn empor; andere kreisen ihn ein, nehmen ihn gefangen, als wollten sie ihn ersticken. Neumeiers ewiges Thema: Wie besteht der Künstler in der banalen Welt?
Der junge Katalane Aleix Martinez, Solotänzer im Ensemble, ist schon am Abend davor in „Illusionen – wie Schwanensee“ als Sprecher der Handwerker durch seine Ausdruckskraft und Sprunggewalt aufgefallen und tanzt den jungen Beethoven, Mensch und angehender Künstler, mit Ausdauer und expressiver Mimik. Eine grandiose Leistung, zumal er nahezu die gesamte Zeit auf der Bühne ist. Auch die vertanzte „Eroica“ betrachtet er mit Wohlgefallen, mischt sich erst ganz am Ende unter die Tänzer*innen.
Neumeier hat in diesem ersten Teil, den er „Beethoven-Fragmente" übertitelt, die auftretenden Figuren nicht identifizieren, es bleibt den Zuschauerinnen überlassen, welche Rollen sie dem Mann im silbernen Mantel und den weiß gekleideten Besuchern, samt den Damen in Rot – Friza ist wohl alles in einem, Sängerin und Muse, Mutter und Geliebte – zuteilen. Angst vor der eigenen Größe hat der junge Komponist sehr wohl, plötzlich wird der rote Paravent rechts von fremden Fäusten ausgebeult, Beethoven steht Kopf und sucht immer wieder das Piano als Schutz und Schirm. Hin und wieder klimpert er auch auf dem Luftklavier, spielt aber auch, wie der sonderbare „Amadeus“ in Peter Shaffers Theaterstück den Ver-rückten mit wackelndem Kopf und zuckenden Gliedmaßen. Mich erinnert er aber auch an den jungen Nijinskij in Neumeiers Einakter „Vaslaw“.
Das „Eroica“-Motiv bildet die Klammer der beiden Teile des Abends, der von Bialk mit „Variationen und Fuge Es-Dur“, den „Eroica-Variationen“ eingeleitet wird. Beethoven kriecht unter dem schwarzen Klavier, das die Bühne beherrscht (Bühnenbild von Heinrich Tröger) hervor, hampelt tollpatschig herum. Auch in der Ballettmusik für „die Geschöpfe des Prometheus“ wird dieses Motiv aus dem Finalsatz der Sinfonie verwendet.
Wer erste Teil wird vor allem von Martinez als Beethoven, mit dem damals üblichen um den Hals geschlungenen Tuch aber mit nacktem Oberkörper, später hat er dann einen Frack an, getragen. Auch wenn Neumeier das nicht beabsichtigt, und Tanz „ganz aus der Musik“ schaffen will, sucht man immer nach Handlungsfetzen und denkt nach, wer die Personen sein könnten. Schließlich kommt der Choreograf auch nicht ohne biografische Hinweise aus. Ein schriller Pfeifton weist auf die beginnende Taubheit hin, sein geliebter Neffe trifft auf und mit den Frauen verstand er sich auch recht gut.
Ganz anderes im zweiten, symphonischen Teil: Neoklassischer Tanz pur, nicht mehr in reinem Schwarz und Weiß, sondern in allen Blauschattierungen, die Damen in gedeckten Rotvariationen. Für Licht und Kostüme hat Neumeier selbst gesorgt. Jetzt ist Edvin Revazov mit seiner Partnerin (und Ehefrau) Anna Laudere der Star. Nicht mehr als Musengott mit wallendem Blondhaar, fast eine Parodie, sondern ein edler Danseur noble, der sich mit der Ballerina verschlingt und im zweiten Satz einen so traumhaft schönen, langsamen, innigen Pas de deux, immer wieder par terre, mit Laudere tanzt, dass man alles andere schnell wieder vergisst und sich nicht mehr fragen muss: Braucht Beethoven den Tanz? Natürlich braucht er ihn nicht, aber der Tanz verdoppelt die Schönheit der Musik. Und, so sagt Friedrich Schiller, nach dem Genuss eines englischen Kontretanzes (auf einem solchen beruht das Eroica-Motiv) „ist das treffendste Sinnbild der behaupteten eigenen Freiheit und der geschonten Freiheit des anderen.“ Daran hält sich auch Neumeier, der außer im Adagio Satz wo das Paar dominiert, in den anderen drei Sätze vor allem das Ensemble in Bewegung setzt, so „dass der eine Platz gemacht hat, wenn der andere kommt“ und „sich alles so geschickt und doch wieder so kunstlos ineinanderfügt, dass jeder nur seinem eigenen Kopf zu folgen scheint und doch nie dem anderen in den Weg tritt.“ (Wieder Schiller). Und der Tanz (wie auch Dirigent Hewett mit dem Staatsorchester Hamburg) differenziert für die Zuseher*innen die Musik. Die sattsam bekannte „Eroica“ klingt an diesem Abend ganz anders und ich werde sie wohl nie mehr hören können, ohne Revazov und Laudere zu sehen und daran zu denken, wie er in den Krieg zieht und die Frau allein zurückbleibt.
im Vierten Satz nach Feuer und Tod (Marcia funebre im zweiten Satz mit sterbenden jungen Männern hinter einer durchscheinenden Wand) folgt das fröhliche Scherzo und danach in frisches Weiß gekleidete Paare, die dem Finale – poco andante und presto – entgegen tanzen. Beethoven ist im Heute angekommen, trägt T-Shirt und Jeans – Martinez darf sich mit dem Schöpfer des ästhetischen Abends, diesmal im nachtblauen Sakko, den frenetischen Applaus teilen. Alles ist gut.
John Neumeier: „Beethoven-Projekt“, 3. Vorstellung nach der Uraufführung mit Aleix Martinez, Edvin Revazov, Anna Laudere, Patrizia Friza und dem Ensemble des Hamburg Ballett. 6. Juli 2018, Hamburger Staatsoper im Rahmen der 44. Ballett-Tage.
Fotos: Kiran West.