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„Time*Sailors“ – Die Uhr wird zurückgedreht
Mit einer neuen Crew startet das Schiff der Zeitreisenden auch im Dschungel Wien. Bert Gstettner / Tanz*Hotel zeigt für Heranwachsende tapfere Männer, die es mit Wind und Wellen aufnehmen und allen Ungewittern trotzen. Doch im Männlichkeitswahn hat es Risse gegeben, die Männer, die 1995 stampfend und brüllend begeistert haben, sind ein Vierteljahrhundert älter geworden, manche haben Bäuche. Auf der Bühne arbeitet eine junge Crew, als wären wir noch im vorigen Jahrhundert.
Schon im Sommer hat Gstettner für das ImPulsTanz Festival sein legendäres Stück wieder aufgenommen, mit einer neuen Crew natürlich, die Matrosen von 1995 (Werner Bechter, Zdeno Dlhos, Christophe Dumalin, Christian Haring, Birger Persson) turnen nicht mehr, nicht auf der Bühne und nicht auf dem Schiff, wie noch in „Time*Sailors III“, 1998 im Donaukanal bei der Kaiserbadschleuse (U-Bahn-Station Schottenring). Später wollte dieses Schiff samt den starken Männern auch in See stechen, doch dazu fehlte dann das Geld.
Also für ImPulsTanz hat Gstettner den Bühnenteil der auch international erfolgreichen Produktion, „Time*Sailors II“, mit einer neuen Crew wieder aufgewärmt. Die Installationen und Versatzstücke sind noch dieselben wie die Kostüme und die Musik von Klaus Obermaier. Nur die Männer sind jünger und doch von vorgestern, denn was sie darstellen, vielleicht auch ironisieren, gibt es nicht mehr: die richtigen Männer. Die saßen möglicherweise im Publikum. „Time*Sailors IV The Return“ hat ein Stück Tanzgeschichte wieder auf die Bühne geholt, Erinnerungen für die, die in den 1980er / 90er -Jahren dabei waren, als der freie Tanz in Österreich die Bühnen und das Publikum erobert haben. Eine neue Erfahrung für das heute junge Publikum.
Doch das Männerbild hat sich gewandelt, der richtige Mann schiebt jetzt den Kinderwagen, und auch auf Schiffen arbeiten Frauen. Eine Performance von fünf Männern (Łukasz Czapski, Marcin Denkiewicz, Michael Gross, Patric Redl, Thales Weilinger, Elia Zahnd), die kindische Spiele treiben, ihre Muskeln beim Raufen und Klettern zeigen und am Abend torkelnd das Glas heben und von der Whisky Bar („Alabama Song von Bert Brecht, Musik Kurt Weill) grölen, mag wegen der körperlichen Leistung der Akrobaten beeindrucken, doch die Aussagekraft ist verloren gegangen. Die „Time*Sailors“ sind aus der Zeit gefallen, wohl in die falsche Richtung gesegelt.
Auch in der Premiere im Dschungel waren vor allem Erwachsen, auch ältere Herrschaften (Frauenschaften auch), doch „Time*Sailors IV“ ist jetzt für ein junges Publikum gedacht, nicht als historisches Tanzereignis, sondern als Kontakt zum jungen Pu bplikum. Doch was sollen Teenagerinnen und Teenager mit dieser Crew und ihren virilen Ritualen anfangen, oder mit den in English vorgetragenen Gedanken über die Zeit, die so antiquiert wirken wie die großen Buben, die da auf der Bühne rangeln und schwitzen. Wenn schon, dann wären fünf B-Boys / B-Girls die richtigen Zeitreisenden, die sich mit einem Pop oder Swip ins Heute katapultieren können. Daran hätten auch die Heranwachsenden ihre Freude.
Tanz ist ephemer, das ist auch das Schöne daran. Jedes Mal ein neues Ballett. Es ist legitim, eine Choreografie nicht im Orkus verschwinden zu lassen, deshalb sind Remakes wichtig und sehenswert, jedoch oft aus der Zeit gefallen, Erinnerungen, Stücke aus dem Tanzmuseum, das es leider noch immer nicht gibt in Wien.
Tanz*Hotel: „Time*Sailors IV“, für junges Publikum im Dschungel Wien. Premiere: 17.10. 2022
Choreografie/Text/Regie: Bert Gstettner
Tanz/Performance-Crew: Łukasz Czapski, Marcin Denkiewicz, Michael Gross, Patric Redl, Thales Weilinger, Elia Zahnd
Original-Musik: Klaus Obermaier (1995), Robert Spour (1995), Original-Bühnenbild: Gernot Sommerfeld (1995, 2022), Original-Kostüm: Heidemarie Bauer-Just (1995)
Kostüm Supervision: Hanna Adlaoui-Mayerl (2022), Künstlerische Produktionsassistenz: Sara Wilnauer, Grafik- und Webdesign: Kornelius Tarmann, Judith Rataitz, Office/PR: Claudia Bürger
Produktion: Tanz*Hotel/Art*Act Kunstverein
Weitere Vorstellungen bis 22.10.2022 und ab 11.1. 2023
Fotos: © Laurent Ziegler