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Michikazu Matsune: „All Together“, im brut
Gemeinsam mit Frans Poelstra und Elizabeth Ward holt der Künstler Michikazu Matsune Personen auf die Bühne, die nicht da sind. „Leider“ oder „zum Glück“. „All Together“ ist eine präzise ausgearbeitete Performance, in der das Trio sich erinnert, Geschichten und Anekdoten erzählt und sich tanzend bewegt. Als eine der letzten Vorstellungen des ImPulsTanz Festivals darf die gute Stunde im Schauspielhaus in die obersten Ränge der ImPulsTanz-Hitliste gereiht werden.
Schwestern und Mütter, erste Lieben und tanzende Großmütter, Mitarbeiter, Bekannte und flüchtige Begegnungen, Traumbegegnungen, Wunschbegegnungen, Namen über Namen. Sie alle haben sich in das Gedächtnis eingegraben, das Leben von Michikazu, Frans und Elizabeth mehr oder weniger beeinflusst und werden nun mit Vornamen gerufen und in die Gegenwart geholt. Immer wieder gibt ein Name Anlass, über die eigenen Abwesenden nachzudenken.
Die Drei hören einander zu, nehmen die Fäden auf, spinnen sie weiter, fügen die fremde Geschichte zu ihrer eigenen dazu. Wieviel Wirklichkeit in einer Erinnerung steckt, ist nicht das Problem, wirklich und richtig ist jedoch, dass der Mensch aus seinen Erinnerungen und aus allen jenen, die sie mitgeformt haben, besteht. Immer näher rückt die Performance in die Gegenwart, auch im Publikum anwesende Personen werden durch Erzählungen, Anekdoten, Wahres und Imaginiertes in Gedanken auf die Bühne geholt.
Auch die Drei selbst, erzählen übereinander, werden von jeweils den zwei anderen charakterisiert und als Erinnerung eingefroren. Und weil Matsune Poelstra zum ersten Mal im Schauspielhaus gesehen haben will, zeigt dieser einen Teil seiner damaligen Performance, nachdem er sich bis auf die Haut sämtlicher Hüllen entledigt hat. Was er dann als Franciscus vorführt, hätte mich möglicherweise vor 14 Jahren schockiert, heute erscheint es mir so köstlich, dass ich vom Glockenbaumeln zwischen den Männerbeinen und durch die Grätsche ins Publikum blickenden Blauaugen nicht genug bekommen kann. Darin sind sich Poelstra und Matsune längst einig: Auch wenn die Zustände ernst und die Menschen schlecht sind, darf gelacht werden.
Matsune setzt nicht nur, wenn er spricht, seinen trockenen Humor ein, den er erzählend, gern als Appendix oder Pointe einer Erzählung mit stoischer Miene anhängt. Auch ans Herz greifende Erinnerungen, wie das Kinderlied, das Poelstras Oma auf dem Totenbett gesungen hat und nur ganz leise, mit brüchiger Stimme vom Enkel vorgetragen wird, soll bleiben, was es ist: eine Erinnerung. Manipulation, um Rührung hervorzurufen, ist dem Trio fremd. Schnell mit lauter Musik und einem Tänzchen die Gedanken an den Tod umrahmen.
Nicht nur dieser, jeder von Matsunes Auftritten, ob als Solo oder im Team vorgetragen, wirkt durch ein exaktes Timing und die sensible Dramaturgie. Er ist sein eigenes Genre, unterhält das Publikum und bringt es zum Nachdenken. Sinn und Übersinn, Authentizität ohne Peinlichkeit, Ironie ohne Sarkasmus, Poesie ohne Sentimentalität und die wunderbare Gabe der freien Rede zeichnen seine leichten Inszenierungen / Choreografien aus. Die Perfektion hindert ihn nicht, das Publikum mit einzubeziehen, ohne es zu belästigen. Manchmal direkt und sichtbar, manchmal, ohne dass die unterhaltenen Zuschauerinnen es realisieren.
Diesmal bedarf es keiner Tricks und keiner Mini-Objekte, die verteilt, weitergegeben und wieder eingesammelt werden, um eine Gemeinschaft herzustellen. Es genügt dem Trio, ein paar Namen aufzuzählen, und zu suchen, ob ein Alexander, eine Betty oder Monika da ist. Allerdings ist das Publikum (wie schon bei der Vorstellung des bezaubernden kalifornischen Bühnenstars Dave St. Pierre zu Beginn des ImPulsTanz Festivals ’18) ziemlich träge, oder feige oder auch nur müde nach fast vier Festival-Wochen. Das Trio verabschiedet sich artig, der Applaus lässt nicht auf sich warten.
Michikazu Matsune: „All Together“, Konzept und künstlerische Leitung: M. Matsune: Performance: Matsune, Frans Poelstra, Elizabeth Ward. Wiederaufnahme im studio brut, 11., 12., 13. Jänner 2019.
Rezension der Uraufführung am 10. August 2018 im Rahmen von ImPulsTanz, Schauspielhaus.