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Osterfestival Tirol: Die Kraft des Schöpfens
Ein doppeldeutiges Motto gibt in diesem Jahr den Ton an und steuert im Tanz die Bewegungen: er.schöpfung hat Festivaldirektorin Hannah Crepaz mit ihrem Team diesmal als Motiv gewählt. Das kreative Schaffen und die Müdigkeit sind in vielen Bereichen der Gesellschaft und sozialen Systemen gegenwärtig. Auch Künstlerinnen können davon berichten.
Das 35 Jahre alte Festival beginnt bereits am Aschermittwoch mit dem Vorprogramm, 40 Orte und OrgelSPIEL, wird am 15. März mit Alter und Neuer Musik in Hall in Tirol eröffnet und endet am Ostersonntag (31.3.) rasant mit der Hip-Hop-Compagnie Accrorap im Congress / Innsbruck. Choreograf Kader Attou will den Hip-Hop-Tanz „dorthin führen, wo man ihn nicht erwartet, an die Grenzen des choreografischen Schreibens“. Mit der Musik von Romain Dubois steigert sich die Intensität der Bewegungen, die Tänzerinnen verschmelzen zur Gruppe, das Publikum wird vom Rhythmus und dem melodischen Crescendo mitgerissen. Lebenslust und Osterfreude besiegen die Erschöpfung.
Seit der Gründung der Osterfestspiele Tirol (OFT, 1989 durch Maria und Gerhard Crepaz, † 2021) ist das Festival vor allem der Alten und Neuen Musik gewidmet, im Lauf der Jahre hat sich das Programmangebot erweitert. Film, Tanz und Performance sind zum unentbehrlichen Bestandteil des alljährlichen Festivals geworden. Das renommierte Festival, das auch bei vielen internationalen Künstlerinnen – Martha Argerich, Philipp Herreweghe, Jordi Savall oder das Wiener Ensemble für neue Musik Phace mögen als Beispiele genannt werden – überaus geschätzt wird, wird seit 2009 von Hannah Crepaz geleitet.
Apropos er.schöpfung:
Kurz vor Jahresende wurde in der Gemeinderatssitzung der Stadt Hall vom 12.12.2023 eine 50%ige Kürzung der Subventionen für in Hall tätige Kulturbetriebe und Kulturschaffende beschlossen. Das betrifft sämtliche Theaterprojekte wie die Haller Gassenspiele, das Theater Szenario, das Theater im Sudhaus im Lobkowitz und Kultureinrichtungen wie das Kulturlabor Stromboli, die Galerie St. Barbara, das Literaturfestival Sprachsalz, die Saitenspiele, den BurgSommerHall und zahlreiche weitere Initiativen; auch alle Haller Traditionsvereine sind davon nicht ausgenommen. (Zitat aus der Petition: HALLbiert)
HALLbiert fühlen sich nicht nur die OFT und haben mit anderen Betroffenen eine Petition verfasst, die bereits viele Künstlerinnen und Freundinnen des traditionsreichen Festivals unterschrieben haben. Abgesehen vom gesellschaftlichen Wert von Kulturveranstaltungen sollten die Gemeinderatsmitglieder des Gründungsortes der Galerie St. Barbara, Zentrum der OFT und vieler anderer kultureller Unternehmungen, auch an den wirtschaftlichen Wert vieler Veranstaltungen denken. Hier geht es zur Unterschrift.
Trotz dieser Sorgen wird auch heuer musiziert und getanzt, nachgedacht, diskutiert und am Ende gefeiert. Im (ehemaligen, zu einem beeindruckenden Aufführungsort gestalteten) Salzlager in Hall zeigt der libanesische Tänzer und Choreograf Omar Rajeh sein Solo Dance is not for Us. Mit dem tanzenden Körper stellt Rajeh eigene Regeln auf und wird damit zum Gegenpol der normierten Strukturen von Macht und Gewalt. Tanzend ersetzt der Künstler Angst und Unterdrückung durch Hoffnung und Versöhnung. (17.3.) Auch wenn er sich vor allem im Rollstuhl fortbewegt, kommt kaum ein europäisches Festival ohne ihn aus. Der Choreograf und Tänzer Michael Turinsky reist von Wien nach Berlin, rollt und rutscht in Budapest und Bern über die Bühne und begeistert das Publikum in Amsterdam und Olomouz (Olmütz). Auch er wird im Salzlager zu Gast sein und sein Solo Precarious Moves zeigen – unsichere, heikle, schwierige Bewegungen. Turinsky fügt seiner Choreografie eine gute Portion Humor und Selbstironie hinzu. Lachen ist bei seinen Vorstellungen nicht verboten. (23.3.)
Für sein Tanzstück Hmadcha hat sich der marokkanische Choreograf Taoufiq Izeddiou von der Philosophie des Sufismus, genauer gesagt von der marokkanischen Bruderschaft Hmadcha, inspirieren lassen. Im Krisenjahr 2020 studierte er mit neun Tänzern die gestischen und rituellen Grundlagen der Gemeinschaft und interpretiert ihre Mythen und Riten neu. (Congress, 27.3.)
Die Tänzerin und Choreografin Zoë Demoustier hat von Wim Vandekeybus die Möglichkeit erhalten, mit seiner jungen Compagnie ulti’mates ein Stück einzustudieren. Unter dem schönen Titel Was bleibt / What Remains erzählt sie eine Geschichte über Anfang und Ende, darüber, dass man am Ende einer Lebenslinie steht, an dem Punkt, an dem man als Kind beginnt oder als älterer Mensch endet. Alt trifft auf Jung, die einen beginnen das Leben, die anderen lassen es allmählich hinter sich. Doch auf der Bühne können die Rollen vertauscht werden. Wer kümmert sich um wen? Beide Generation sind stark in ihrer Schwäche und schwach trotz der Stärke. (Congress, 29.3.)
Zusatztipp: Der Begriff Performance sagt eigentlich gar nichts aus, denn er bedeutet schlicht Aufführung, aber auch Durchführung, Leistung, Darstellung (Soft- und Hardware oder im Aktienhandel). Wenn also der Abend der Broom Company als Performance bezeichnet wird, wissen wir nicht, was uns erwartet. Die Tänzerin / Choreografin Eva Müller, der Musiker Martin Brandlmayr und der Bühnenkünstler / Institutsgründer Peter Brandlmayr gehen mit ihrer Aufführung neue Wege. Der Pressetext verspricht „ein trans- und interdisziplinäres Bandprojekt, in dem sich zeitgenössischer Tanz, elektronische Musik, Schlagzeug und Performance verflechten.“ Ein Spiel zwischen Chaos und Ordnung, Werden und Vergehen. Klingt vielversprechend. (Salzlager, 21.3.)
36. Osterfestival Tirol, 15. bis 31. März 2024, Hall in Tirol und Innsbruck.
Motto: er.schöpfung. Alte und Neue Musik, Performance, Tanz und Film an unterschiedlichen Spielorten.
Das gesamte Programm.