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Galaabend: Maestro Igor Zapravdin & Ballettstars
Igor Zapravdin, der Maestro, feiert sein Jubiläum als Ballettkorrepetitor und Pianist beim Wiener Staatsballett (davor Ballett der Wiener Staatsoper). Das Publikum feiert mit und klatscht sich die Hände wund. Es hat doch noch eine Gala zum Saisonabschluss bekommen. Gastsolist:innen und Solist:innen des Wiener Staatsballetts ehren den Jubilar mit Pas de deux und Solis, mit klassischem Ballett und zeitgenössischem Tanz. In den oberen Etagen des Staatsballetts hat man dieses außergewöhnliche Jubiläum nicht zur Kenntnis genommen. Für den Maestro, sein Helfer:innen-Team und die Tänzer:innen: Bravo zum ersten.
Mit seiner Einladung hat Zapravdin, ein erfahrener Gala-Organisator, wie alljährlich in Luxemburg zu registrieren ist, bewiesen, dass Gäste dem Ensemblegedanken nicht widersprechen. Im Gegenteil, sie holen die Compagnie von der Insel herunter, geben Anregungen und spornen an. Auch die Solist:innen der Wiener Compagnie werden immer wieder eingeladen, als Gäste mit anderen Compagnien zu tanzen, zu zeigen, was sie können und mögen.
Was sie können und mögen, haben sie auch am ersten Samstag im Juli gezeigt, an dem die Gala von und für Maestro Zapravdin im bestens besuchten Theater Akzent von Höhepunkt zu Höhepunkt getanzt ist. 1992 war es, als Igor Zapravdin, der nach einigen Jahren am „Stanislawski und Nemirovich-Danchenko Musik-Theater“ mit dem russischen Staatsballett gearbeitet hat (er würde sagen „gelebt hat“, denn der Tanz ist sein Leben, das Ballettstudio seine Heimat), nach Wien kam und sofort wusste: „Hier will ich bleiben.“ Ballettdirektorin Elena Tschernischova hat den Maestro stante pede ans Piano gesetzt. Ihr ist Anne Wooliams auf den Direktionsessel gefolgt, danach Renato Zanella, Gyula Harangozó und Manuel Legris. In seinem 30. Dienstjahr ist er beim sechsten Chef angelangt. Die Gründerin und Präsidentin des aufgelösten Ballettclubs konnte ihre Getreuen allesamt begrüßen und hat die Gala eröffnet. Der Maestro tritt auf, in Galakleidung mit Hut, versteht sich, eröffnet mit Etüden von Karl Czerny, um gleich danach die junge Sängerin Alisa Tkachenko bei ihrer Arie aus der Puccini-Oper „Gianni Schicchi“ zu begleiten. Der erste Gast, Natalie Kusch, flattert herein, umschwebt Davide Dato als zierliche Willi im 2. Akt „Giselle“. Die Rolle liegt der aus der Ukraine stammenden Tänzerin, hat sie doch schon als Mitglied der Wiener Compagnie die verführte Bauerntochter, die nach ihrem Tod zum Waldgeist wird, mit Erfolg getanzt. 2013 hat sie Wien verlassen und ist nach Australien gereist. Nach fast zehn Jahren gibt es ein freudiges Wiedersehen. Ein doppeltes sogar, denn nach der Pause kommt sie als Romamädchen Esmeralda auf die Bühne und tanzt, begleitet vom Maestro am Piano und Yury Revich mit der Violine, einen Ausschnitt aus Marius Petipas Choreografie nach dem berühmten Roman von Victor Hugo, „Der Glöckner von Notre Dame“. Ihr Partner ist Edward Cooper, Mitglied im Corps des Wiener Staatsballetts.
Liebe, Betrug und Eifersucht, Hauptthemen des romantischen und klassischen Balletts, beherrschen auch die Gala zum Jubiläum Igor Zapravdins. Die junge Tänzerin Diana Zinchenko, die ihre Ausbildung eben erst an der Ballettakademie der Wiener Staatsoper abgeschlossen hat, wird in der bravourösen Nummer „Pas d’esclave“ aus „Le Corsaire“ (Choreografie Petipa) von Francesco Costa (Solotänzer im Wiener Staatsballett) hochgehoben und präsentiert. Fast ein Fall für „Me too“.Die unschuldige Liebe spielt unter dem Balkon. Romeo trifft Julia. Aleksandra Liashenko (Solotänzerin im Staatsballett) und Maxim Woitful, Erster Solotänzer an der Opera Narodowa in Polen, tanzen im Mondenschein eine Choreografie von Leonid Lavrovsky zur Musik von Sergei Prokofiev. Ein Mann allein, der Corpstänzer im Staatsballett Javier González Cabrera tanzt allein zur Musik des Film- und Ballettkomponisten Max Richter. Die Choreografie hat ihm der Tänzer des Europaballetts Florient Cador geschenkt. Die Einsamkeit ist schnell beendet, denn Mercedes im flammendroten Kleid umgirrt den feschen Toreador Espada. Der löst sich fast auf vor lauter Liebesglut, und ich traue meinen Augen nicht, es ist der ehemalige Erste Solotänzer Robert Gabdullin, der die Compagnie verlassen hat, um sein Wissen und Können den Studierenden an der Ballettakademie weiterzugeben. War er im Wiener Staatsballett ein eher zurückhaltender Tänzer, der seine Gefühle unter Verschluss gehalten hat, so ist der den Druck jetzt los und tanzt in seiner perfekten Technik einfach drauf los, vor lauter Freude springen ihm die Hemdknöpfe ab. Wenn Ketevan Papava (Erste Solotänzerin in Wien) die Röcke schwingt, die Beine hebt und die Augen blitzen lässt, dann ist klar, dass diese wilde Mercedes den stolzen Espada um alle zehn Finger wickeln wird. Der erotische Zusammenstoß aber, ist nicht für die Bühne gedacht, und so machen Mercedes und Espada / Papava und Gabdullin Platz für eine weitere Mondscheinmelodie von Max Richter. Jakob Feyferlik und Olga Esina haben den innigen Pas de deux, „Luminous“, bei der von Olga Esina & Kirill Kourlaev veranstalteten „Weltstargala“ im Volkstheater getanzt. Für die „Maestro-Gala“ haben sich Ioanna Avraam & Masayu Kimoto dieser leuchtenden Choreografie von András Lukács angenommen. Und wieder genießt man die präzise getanzte Ästhetik und die zärtlichen Gefühle, die das Paar im Tanz vermitteln. Noch vor der Paus, schnell die Tonträger weggeräumt, der Maestro schreitet ans Klavier, Iana Salenko & Dinu Tamazlacaru springen im „Fanny Elßler Pas de deux“ in einer Choreografie von Pierre Lacotte zur Musik von Jean-Madeleine Schneitzhoeffer (genau, auch die Musik zum ersten romantischen Ballett, „La Sylphide“, ist vom französischen Komponisten).
Bravo zum zweiten. Die Tänzer:innen sind ausgeruht, das Publikum hat sich mit einem kühlen Glas erfrischt, die Show geht so ruhig und entspannt weiter, wie sie vorläufig geendet hat: Eno Peçi und Maria Yakovleva erzählen eine Liebes- oder Ehe- oder Eifersuchtsgeschichte. „Opus 25“ hat der Solotänzer im Staatsballett Peçi seiner Kollegin, der Ersten Solotänzerin Yakovleva, gewidmet und bei Zapravdins Gala in Luxemburg 2017 uraufgeführt, sowie danach immer wieder mit Erfolg gezeigt. Auch diesmal zeigt sich das Publikum von Form und Inhalt, Choreografie und Tanz tief berührt. Zapravdin hat Chopin aus den Saiten gelockt. Mit Olga Esina bekommt auch Wien einen „Sterbenden Schwan“. Das kurze Solo zur Musik von Camille Saint-Saëns hat Michail Fokine für Anna Pavlova kreiert. Doch die berühmte russische Ballerina ist 1931 gestorben, es kann sie eigentlich niemand mehr tanzen gesehen haben, wir halten uns also an den Schwan von Olga Esina und klatschen ganz lang und laut. Ingeborg Tichy hat als Geschenk für den Jubilar ein Solo zu Violettas letzter Arie aus „La Traviata“ von Giuseppe Verdi choreografiert. Rebecca Horner hat es als Geschenk für Tichy getanzt, die als Chefin des Ballettclubs aktiv für das Ballett gearbeitet hat. Nach dem sterbenden ein verzauberter Schwan, der darf bei keiner Gala fehlen: Anna Chiara Amirante & Alessandro Staiano (Teatro San Carlo in Neapel) zeigen das von Petipa choreografierte Adagio aus dem Lieblingsballett der Wienerinnen: Peter Tschaikowskys „Schwanensee.“
Danach ist Eno Peçi allein mit einer ihm feindlich gesinnten Hängelampe, die ihn pendelnd verfolgt. Doch getroffen hat sie ihn nur bei den Proben. Den Kampf mit der lichtvollen Materie hat er sich selbst auferlegt, die Musik stammt von Kimo Pohjonen und das, wenn zu lachen gewagt wird, ziemlich lustige Stück, heißt „Ankth“. Selbst wenn man des Albanischen (Peçis Muttersprache) nicht mächtig ist, ist der Titel durch die Phonetik leicht zu übersetzen: „Angst“.
Spitzentänzerin Irina Tsymbal widmet sich nach vielen Jahre als Erste Solistin im Staatsballett mehr der Familie und ist als freie Tänzerin vielfach beschäftigt. Auch sie zeigt ein Solo, das die Pavlova getanzt und auch choreografiert hat: „Kalifornischer Mohn“, Musik von Tschaikowsky. Blumen und Tänzerinnen haben ja ziemlich viel gemeinsam, die Tänzerin selbst erinnert oft an eine zarte Blume, die Blumen tanzen im Wind. Auch das Ephemere des Tanzes verbindet sie mit der Blume. Pavlova hat sich ein Kleid entworfen, das einer offenen Blüte gleicht, wenn das Solo zu Ende ist, schließen sich die Blütenblätter über der Tänzerin. Wir haben keinen Vergleich, Irina Tsymbal ist einzigartig.
Falls sich Müdigkeit breit gemacht hat, wird diese vom Duo Horner/Kaydanovskiy mit Schwung vertrieben. Die beiden zeigen ihren legendären Pas de deux in Alexander Ekmans „Cacti“ (Premiere des Wiener Staatsballett Mai 2015). Dieses köstliche Duo basiert auf Synchronizität und Diskrepanz und überraschenden Effekten. Es reizt zum Lachen und Staunen und kann nur von einem Paar getanzt werden (was Tanz ist, wird von Ekman sehr weit gefasst), das sich gut kennt und auf derselben Linie tanzt. Das gesamte schräge Screwball-Ballett Ekmans ist es wert, mit den neuen Tänzer:innen in der Wiener Compagnie einzustudieren.Wie „Skew Whiff“ von Sol León und Paul Lightfoot ist es ein feines Gala-Stück, das beste Laune kreiert. Das Berliner Paar Salenko / Tamazlacaru hat noch Energie genug, um den Petipa-Pas-Pas de deux „La Halte de Cavalerie“ zur Musik von Ivan Armsheimer perfekt aufs Parkett zu legen. Und weil für diesen tänzerische Abschluss der Maestro wieder am Piano sitzt, bleibt er gleich dort, amüsiert und beglückt das Publikum mit einem seiner berühmten Potpourris, indem er Ballettmelodien aus dem Ärmel auf die Tasten schüttelt. Noch schnell das ukrainische Volkslied „Schtschedryk“ gespielt. Die Tänzerinnen und Tänzer, angereiste Gäste und Mitglieder des Wiener Staatsballetts drängen auf die Bühne, der frenetische Applaus gilt nicht nur dem Jubilar, Igor Zapravdin, der sein Leben dem Tanz und der Musik gewidmet hat und seit 30 (dreißig) Jahren mehrere Tänzergenerationen mit Aufmerksamkeit und Liebe begleite, sondern auch dem Gala-Ensemble, das dem Publikum den Glauben an eine Galaveranstaltung wieder gegeben hat.
Danach regnet es Blumen in alle Richtungen, vor dem Bühneneingang wird umarmt, gebusselt und gratuliert. Der Sommer ist auch schon da. Alles wird gut.
„Maestro Igor Zapravdin & Stars des Balletts“, Galaabend zum Jubiläum von Igor Zapravdin, der seit 30 Jahren Korrepetitor und Pianist im Wiener Staatsballett ist.
Mit internationalen Gästen und den Tänzer:innen des Wiener Staatsballetts.
Am Piano: Igor Zapravdin. 2. Juli 2022, Theater Akzent.
Fotos: © Ashley Taylor.