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Elizabeth Ward: „Dancing‘s Demons“, Tanzquartier

Elizabeth Ward: "Dancing's Demons" © Kati Göttfried

Was bleibt für heutige Tänzerinnen von der Tanzmoderne der 1920er Jahre in Deutschland und Österreich? Welche Wirkungen haben Hexen- und Teufelstänze auf die Tanzenden 2020? Brisante Fragen, die sich die Tänzerin / Choreografin Elizabeth Ward schon seit ihrer Ausbildung stellt. Im Tanzquartier blickt sie nun mit Ana Threat und Julia Zastava zurück auf die Tanzgeschichte, und zeigt wie eng der Ausdruckstanz (und nicht nur dieser) ein Ausdruck der Gesellschaft und eine Reaktion auf die Politik ist. Erinnerung, Rückblick und Analyse verschmelzen zu einem intensiven Ballett.

Vorarbeit zu "Dancing's Demons" von und mit Elizabeth Ward. © Elodie GrethenIn Dresden und Wien, Hamburg und Berlin wurde zu Beginn des 20 Jahrhunderts getanzt. Nicht mehr Ballett, sondern frei und neu, gesellschaftskritisch und ausdrucksstark. Der Nationalsozialismus hat die Entwicklung der Tanzmoderne mit einem Rundumschlag unterbrochen, zu eigenwillig, zu wenig konform mit der Ideologie waren dem Regime die künstlerischen Darbietungen. Viele Tänzerinnen (der freie Tanz, die Suche nach neuen Formen und Ausdrucksmöglichkeiten, waren von Frauen dominiert) wurden bewegungslos oder gingen ins Exil. Manche duckten sich unter der Diktatur, haben sich angepasst, um weiter tanzen zu dürfen. Nach dem zweiten Weltkrieg erholte sich der freie Tanz nur langsam. Die noch lebenden Tänzerinnen gaben ihre Erfahrungen an Schülerinnen weiter, studierten mit ihnen ihre Choreografien ein. Die Auseinandersetzung mit den Verstrickungen des Tanzes mit dem Nationalsozialismus ist erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts gewagt worden.  Farah Deen tanzt "Urban Luzifer", das Reenactment eines Solos der Wiener Tänzerin Rosalia Chladek (1905–1995)Eine junge Generation von gut ausgebildeten Tänzerinnen zeigt neuerdings reges Interesse an der Geschichte des Tanzes und denak herausragenden Protagonistinnen des sogenannten Ausdruckstanzes im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. In der Ausstellung "Alles tanzt. Kosmos Wiener Tanzmoderne" (Kuratorin Andrea Amort) haben Tänzerinnen von heute die Stücke von gestern plastisch zur Geltung gebracht und gezeigt, dass viele davon auch heute noch Gültigkeit haben oder aus heutiger Perspektive wiederbelebt werden können.

Elizabeth Ward hat sich schon während ihrer Ausbildung mit dem Ausdruckstanz auseinandergesetzt und war besonders von den sowohl zeitkritischen wie auch weibliche Selbstbehauptung ausdrückenden dämonischen Solos beeindruckt. Ihre aktuelle Choreografie sieht Ward als „Echo“ von vier Tänzerinnen der Moderne und deren konkrete Werke, die nicht nur beeindruckender Tanz, sondern auch Kritik der Verhältnisse auf der Bühne gezeigt haben.

IErnst Ludwig Kirchner: "Totentanz der Mary Wigman", 1926. © wikipedia, free licensenspiriert haben Elizabeth Ward: Mary Wigman: „Hexentanz“ (1914); Gertrud Bodenwieser:„Die Maske Luzifers“ (1936), „Dämon Maschine“ (1924); Hanya Holm: „Trend“(1937); Dorothy Alexander: „The Dance“ (1929).

Die Biografien der Leitfiguren des Modernen Tanzes sind unterschiedlich: Mary Wigman ist auch während der NS Herrschaft in Deutschland geblieben, hat gekuscht, ihre Schule war Mitglied im Kampfbund für deutsche Kultur, sie selbst war von 1933 bis 1934 Ortsgruppenleiterin der Fachschaft für „Gymnastik und Tanz“ im NS Lehrerbund. Die Wiener Jüdin Gertrud Bodenwieser konnte nicht bleiben, wenn sie überleben wollte, sie ist 1938 geflohen und 1959 in Sidney gestorben. Gertrud Bodenwieser, fotografiert von Franz Löwy, 1921. © Wikipedia, free licenseDie Amerikanerin Hanya Holm, Schülerin und Mitarbeiterin Wigmans, ging 1931 nach Amerika zurück, eröffnete mit Wigmans Erlaubnis die „Mary Wigman School“, die sie wenige Jahre später in „Hanya-Holm-Studio“ umbenannte, um jegliche Verbindung zum Nationalsozialismus und Deutschland zu kappen. Ihre gesellschaftskritische Choreografie „Trend“ vereint Ausdruckstanz und amerikanische Techniken. Dorothy Alexander (1904 geboren als Dorothy Sydney Moses), ebenfalls Amerikanerin und wesentlich jünger als die davor Genannten, ist in Europa am ehesten als Begründerin des Atlanta Ballet bekannt. Sie hat in New York City und London studiert und in ihrer Heimatstadt Atlanta eine Tanzgruppe gegründet, aus der 1968 das Atlanta Ballet hervorgegangen ist.

Ward und die beiden Mittänzerinnen (Ana Threat ist vor allem Musikerin, sie hat auch den Sound der tanzenden Dämonen geschaffen; Julia Zastava ist als bildenden Künstlerin bekannt) bewegen sich aus der Dämmerung allmählich ins helle Licht. Elizabeth Ward tanzt unermüdlich, während Ana Threat am Boden kauert. © Kati GöttfriedAuch die Musik lässt die Entwicklung vom Gestern ins Heute gut nachvollziehen. Getanzt wird in slow motion und bald mit heftigen Loops, wild und schweißtreibend, vor allem von Elizabeth Ward. Sie zieht eine Linie über die vergangenen 100 Jahre und baut mit Bewegungs- und Choreografiezitaten eine Brücke bis zu ihrer eigenen Tanzsprache. Auch Ana Threat rotiert gegen Ende als kleiner Teufel im Kreis, nur die aus Moskau stammende Künstlerin Julia Zastava schreitet, erhaben, gestenreich und unberührbar, als Schamanin über die mit beziehungsvollen und mystischen Artefakten ausgestatte Bühne. Vielleicht symbolisiert sie den Geist der Vergangenheit, dessen Echo Elizabeth Ward hören lässt.

Ein suggestives, kompaktes Tanzstück, das so schnell vorüberwirbelt, dass ich gern noch mehr gesehen hätte, um die Gedanken zu ordnen und Tanz und Widerstand, Auflehnung und Anpassung so richtig zu erfassen.

Elizabeth Ward: „Dancing’s Demons“, Konzept, Choreografie: Elizabeth Ward. Performance: Elizabeth Ward, Ana Threat, Julia Zastava. Sound: Ana Threat; Visuals: Julia Zastava; Licht: Victor Duran; Dokumentation, Unterstützung: Özgür Sevinç. 31.1., 1.2.2020, Tanzquartier.
Nur noch bis 10.2. 2020 ist die informative Ausstellung „Alles tanzt. Kosmos Wiener Tanzmoderne“, kuratiert von Andrea Amort, im Theatermuseum zu studieren.
Am 5. und 6.2. zeigen KünstlerInnen in Kooperation mit Tanz-Studierenden am MuK „Bits and Pieces“, Tanz-Kurzstücke zur Ausstellung, im Theatermuseum. 16 Uhr, im Rahmen der Ausstellung mit gültiger Entrittskarte.