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Virgil Widrich: „Nacht der 1000 Stunden“, online
Der mit dem österreichischen Filmpreis 2017 ausgezeichnete Kinofilm „Die Nacht der 1000 Stunden“ von Virgil Widrich ist jetzt mit einem Polster im Rücken und hochgelagerten Beinen zu genießen. Von youtube ist dieser cineastische Leckerbissen in voller Länge herunter zu laden. Das bisserl Werbung zwischendrin ist nötig, um neues Popcorn zu holen.
Widrichs Film ist ein spannender und zugleich absurder Spielfilm, in dem der Regisseur eine Beobachtung, deren Wahrheitsgehalt täglich in den Nachrichten zu überprüfen ist, sichtbar macht: Der Alltag der Menschen ändert sich im Lauf der Jahrhunderte, doch bestimmte Ideen und Sehnsüchte bleiben ziemlich gleich. Widrich zeigt das an einer Familie, in der er mehrere Generationen gleichzeitig auftreten lässt, die Toten und Lebenden. So passiert es, dass sich der Enkel in seine jung verstorbene Großmutter verliebt, und ein Polizist aus der Monarchie einen Mörder im 21. Jahrhundert sucht. Es heißt höllisch aufzupassen, damit diese aufgehobene Zeit nicht völlig verwirrt und die Generationen auseinandergehalten werden. So ist auch die Zuschauerin gefordert, als aufmerksame Detektivin die Augen offen zu halten.
Was mich jedoch besonders an diesem Film fasziniert, ist die aufwändige Herstellung, mit der Widrich wieder einmal beweist, wie experimentierfreudig und perfektionistisch er als Filmemacher ist. Der gesamte Film ist mit Rückprojektion gedreht, das heißt: Die Darsteller*innen agieren an einem einzigen Ort vor der Kamera, alles andere, Räume, Dekoration, Blicke aus dem Fenster, Schatten, Licht, sind auf weiße Wände projiziert. Eine Leistung der Schauspieler*innen, die im leeren Raum agieren mussten und des Filmteams, das dem Film sieben Jahre Vorbereitungszeit gegeben hat, bis der Film 2016 im Kino gezeigt worden ist. Doch genau durch diese Innovation ist der Film so dicht, als lagerten sich die Zeitachsen in Schichten übereinander.
Ganz neu ist die Technik der Rückprojektion natürlich nicht, aber seit den 1950ern durch Digitalisierung und Weiterentwicklung wesentlich verbessert, sodass man die Technik nicht sieht. In alten Filmen kann man die Anfänge noch beobachten, etwa bei einer Autofahrt. Die Dame dreht hektisch am lederbezogenen Lenkrad, beugt sich nach links und nach rechts, während die Straße samt ihren Kurven am sehenden Gefährt vorbeigezogen wird. Die Unzulänglichkeit ist heute bemerkbar, vor 60 Jahren ließ man sich (wie heute) von der Handlung einfangen und der Effekt zeigte seine Wirkung, jede(r) sah das Auto fahren.
Wie auch immer, von hinten projiziert oder von vorn aufgenommen, Auto oder Droschke, Handy oder Kurbeltelefon an der Wand, die Zeit ist eine Dimension des Raums und – auch das hat mich der Film gelehrt – die Menschen lernen, was Ethik, Moral und Freiheit betrifft, nichts dazu.
Der Film ist auf allen Ebenen ein wahrer Genuss, überraschend, verrätselt, gruselig und auch ein bissel komisch.
„Die Nacht der 1000 Stunden“, Drehbuch, Regie: Virgil Widrich. Kamera: Christian Berger. Mit Laurence Rupp, Amira Casar, Linde Prelog, Udo Samel und vielen anderen. Online. © 2016 Picture Tree International.