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Caravaggio & Bernini im KHM noch bis 19. Jänner
Als düsterer Roman liest sich sein Leben, der jähzornige Sohn aus gutem Haus ist nach einem wechselvollen Dasein und einer steilen Karriere mit 39 Jahren elend zugrunde gegangen, von der Malaria ins Grab gezogen. Doch Raufhändel, Totschlag, Flucht und Gefängnis stehen nicht im Mittelpunkt der Geschichte: Michelangelo Merisi (1571–1610), genannt nach dem Herkunftsort seiner Eltern, Caravaggio, war ein berühmter Maler und gilt heute (wieder) als einer der bedeutendsten bildenden Künstler des Frühbarock. Noch bis 19. Jänner 2020 ist im KHM die eindrucksvolle Schau seiner Bilder zu sehen. Zeitgenossen und die Skulpturen seines etwas jüngeren Kollegen Gian Lorenzo Bernini ergänzen die Schau.
Der schöne Knabe David scheint nicht glücklich, dass er dem Goliath den Kopf abgeschlagen hat, er hält das Schwert in seinem Nacken, als wollte er sich demnächst selbst köpfen. Ein anderer junger Fant mit prächtigem Lockenkopf blickt mir direkt in die Augen und zeigt, welch großartiger Schauspieler er ist. Ein kleines Eidechsel hat sich in seinem Finger verbissen, nur ein Muttersöhnchen macht so ein Geschrei wegen eines Eidechsenzahns. Oder Ikarus, der sich bereits in seinem Höhenflug sonnt und den Vater ins Leere reden lässt. Welcher Heranwachsende sperrt schon die Ohren auf für eine väterliche Mahnung. Für den Tollkühnen, doch zugleich recht dummen Ikarus, war die nicht gehörte Mahnung leider die letzte. Jedes Bild von Caravaggio erzählt einen ganzen Roman, eine Tragödie oder eine Liebesgeschichte, oder auch eine Heiligengeschichte, die gar nichts Heiliges an sich hat. Johannes der Täufer spielt pudelnackt mit einem Widder „Bocki stoss“.
Wie flach und leblos erscheinen dagegen die meisten zum Vergleich animierenden Begleitbilder von Zeitgenossen. Wie eine Puppe steht Judith mit dem grauslich ausgemalten Kopf des Holofernes (Caravaggios Goliath ist auch im Tod noch ein fescher Mann) da, so wie sie scheinbar nichts fühlt, lässt auch mich das Bild von Carlo Saraceni (1579–1620) kalt. Fast scheint es ein Trick der Kuratorin, Gudrun Swoboda, und des Kurators, Stefan Weppelmann, zu sein, Caravaggios von seinne Konkurrenten (befreundet waren die Künstler damals kaum, im Gegenteil, jeder wollte die lukrativen Aufträge vom reichen Klerus erhalten, sie schmähten einander, stritten und zerrten einander vor Gericht) zu lassen, damit der Star umso heller leuchtet, seine Figuren noch lebendiger und attraktiver wirken, seine Blumengebinde noch intensiver duften.
Bernini (1598–1680), der nicht nur als Bildhauer sondern auch als Architekt Ruhm erlangt hat, hat da trotz seiner Kunst der Marmorbearbeitung wenig Chance. Skulpturen gehören ins Freie, oder allein in einem großen Raum gezeigt, man muss sie umkreisen können und sich der Versuchung hingeben dürfen, die marmornen Wangen oder ein straffes Hinterteil zu berühren, weil man nicht glauben kann, dass der kalten Marmor so weich und warm ist. Das geht natürlich im Museum nicht. Allerdings, Berninis reizende Medusa – das ist kein Irrtum, ich finde sie reizend, mit ihrem Kussmund und ihrer zarten Nase und dem kritischen Blick – geht mir nicht aus dem Kopf. Bernini hat schon gewusst, dass auch das Böse schön sein kann und man ihm verfällt.
Damit auch die Heerscharen, die sich durch die fünf Säle wuzeln, um sagen zu können, „ich war dort“, wissen worauf sie ihren Sinn lenken sollen, was Caravaggio und alle seine Epigonen, die Caravaggisten, so besonders macht, hat das Kuratorenteam die Bilder und Skulpturen nach Themen zusammengestellt. Wem leicht graust, wer kein Blut sehen kann und auch keine Schlangen im Haar – „ Wie schön ist Medusa heute und immerdar.“ – , lässt eben das Kapitel „Orrore & Terribilità“ einfach aus, weidet sich an den ebenfalls im 1. Raum gezeigten Wundern und gibt sich dem Staunen hin. Die einzelnen Kapitel sind italienisch überschrieben und das klingt so melodisch, dass ich es jetzt unkommentiert wiederhole: Meraviglia & Stupore; Orrore & Terribilità. (Wunder & Staunen; Horror & Entsetzen“). „Amore“ (muss wohl nicht übersetzt werden). Moto & Azione; Vivacita (Bewegung und Action; Lebhaftigkeit). In diesem Raum ist auch ein Selbstporträt Berninis zu finden. Ich würde es unter „Stupore“ hängen, denn der 40jährige sieht in meiner Vorstellung ganz anders aus und hat keinerlei Ähnlichkeit mit seinen Figuren. Wieder mal ein Beispiel, dass der Künstler nicht mit seinem Werk verwechselt werden darf, er ist in jedem Fall zugleich ein gewöhnlicher Mensch. Der Elefant allerdings, der als Modell zu sehen ist, schaut aus, wie ich mir einen Elefanten vorstelle. Bernini hat auch einen echten Elefanten in Rom gesehen, was damals auch wieder ein Wunder zum Staunen war. Der lebhaft mit dem Rüssel schlagende Dickhäuter steht aber nicht per se auf der Piazza della Minerva, er dient „nur“ als Sockel für einen Obelisken. Im italienischen Barock sollen auch Objekte und Dinge lebendig sein.
Jetzt ist der Pilgerstrom schon etwas müde, aber im Saal 4 geht es an die Innereien, und das macht sicher munter: Passione & Compassione; Visione (Leid & Mitleid; Vision) wühlen die Betrachter*innen auf. Christusfiguren und Heillige,zu lebhaft, zu menschlich für den Altar. Caravaggio wendet sich immer an die Betrachter*innen seiner Bilder, kein Kinofilm spricht so intensiv und direkt mit dem Publikum.
Und dennoch ist Caravaggio ein Skeptiker, ein Zweifler, der nicht glaubt, solange er den Finger nicht in die Wunde gelegt hat. Christus steht da, zeigt das klaffende rote Loch, das vom Schwert des Soldaten geschlagen worden ist, um zu prüfen, ob der Gekreuzigte wirklich tot ist. Einen Thomas sehen wir nicht, der steht vor dem Bild, Tomas sind wir. Genial!
Keine Sentimentalitäten, die lagen auch Michelangelo Merisi fern. Deshalb darf jetzt zum Abschluss bei „Scherzo“ geschmunzelt und gekichert werden. Als Schmuck seiner Kutsche hat Bernini vier groteske Männerköpfe gebastelt, wer sie ansieht, weicht ganz schnell aus, damit der Meister freie Fahrt hat. Satyrn und Silene, die torkelnd, voll des süßen Weines, allerlei Schabernack treiben; Kinder, die mit Masken Passanten erschrecken, und auch das von innen beleuchtete Kürbisgesicht war im römischen Herbst des 17. Jhdt. schon en vogue.
Abschied mit Musik: Hendrick ter Brugghen (1588–1629), der in Rom die neue Malerei studiert hat und zum Caravaggisten geworden ist, zeigt eine recht lose bekleidete, junge Frau, die ihre Laute stimmt. An wen sie denkt, wenn sie zärtlich an den Wirbeln dreht, verrät sie nicht, und auch der Künstler schweigt.
„Caravaggio & Bernini“, Entdeckung der Gefühle. Letzte Gelegenheit für einen Besuch der Ausstellung im Kunsthistorischen Musum, bis 19. Jänner 2020, täglich von 9–18 Uhr. Do, Sa, So bis 21 Uhr.