Wiener Symphoniker: J. S. Bachs Johannespassion
Die Wiener Symphoniker setzten ein verfrüht österliches Zeichen und spielten unter der Leitung von Philip Jordan die frühere der beiden vollständig erhaltenen Passionen von Johann Sebastian Bach, die Johannespassion. Dabei wurden sie von der Wiener Singakademie und einem hochkarätigen Solistenensemble unterstützt. Um sich dem Originalklang anzunähern, wurde zudem eine kleine Gruppe von Musikern mit Barockinstrumenten eingesetzt, was noch vor zwanzig Jahren für ein klassisches Sinfonieorchester undenkbar gewesen wäre. Bei aller „Political Correctness“ in Sachen historisch informierter Aufführungspraxis bleibt die Sinnhaftigkeit dieses Experiments doch zweifelhaft.
Vom Beginn an waren die Wiener Symphoniker mit Begeisterung unter der präzisen und engagierten Leitung von Philippe Jordan am Werke, ebenso wie die kongenial agierende Singakademie. So gelang der Anfangsschor „Herr, unser Herrscher“ gleich einmal zu einem eindrucksvollen und emotionalen Einstieg in die Leidensgeschichte Christi.
Obwohl die Johannespassion vielfach als das „einfachere“ Werk im Vergleich zur später entstandenen Matthäuspassion gesehen wird, ist das Werk bis ins letzte Detail von Bach durchdacht und war für die Leipziger Verhältnisse des frühen 18.Jahrhunderts revolutionär. Das rund zweistündige Werk ging damals vom Umfang weit über das übliche Maß hinaus und war, trotz seiner noch immer recht engen Anlehnung an den ursprünglichen Johannes-Text, mit seinem emotionalen und lautmalerischen Zugang ein echter Stilbruch. Gleichzeitig weist die Johannespassion aber alle für Bach typischen Elemente auf – die tiefe Gläubigkeit, das präzise Zusammenspiel von Musik und Wort, aber auch, wie John Elliott Gardener in seinem jüngst erschienenen Bach-Buch formuliert, die Zuversicht ausstrahlende und lebensbejahende Haltung des Komponisten.
Jordan bemühte sich, in den von Symphonikern und Singakademie gemeinsam bestrittenen Chorsätzen, deutliche Akzente zu setzen und die vielschichtigen Kompositionsebenen, herauszuarbeiten, besonders im zweiten Teil des Konzertes. Allerdings decken die Streicher des großen Orchesters den Chor gelegentlich richtiggehend zu, sodass ein pastoses und nicht der heutigen Aufführungspraxis barocker Werke entsprechendes Klangbild entsteht.
Als stilsicherer und ausdruckstarker Evangelist führte Werner Güra durch die Handlung und auch Florian Bösch überzeugte als Pilatus mit einer sehr differenzierten Darbietung. Adrian Eröd vermochte zwar die dem Johannes-Text innewohnende Charakterisierung von Christus als ein nicht von dieser Welt Seiender ausdrucksvoll und glaubhaft darzustellen, aber es fehlte ihm bei manchen lyrischen Stellen an Beweglichkeit. Genia Kühmeier und Elisabeth Kulman hatten im ersten Teil des Abends Anlaufschwierigkeiten, steigerten sich aber zum Ende hin zu einer fulminanten Leistung, die in zwei herzbewegenden Arien gipfelte. Derart ließ sich die „göttliche Teilnahme an der Musik“, wie Bach sagte, durchaus erahnen.
Das Originalklang-Ensemble, bestehend aus Violen, Laute, Orgel und Cembalo, begleitete hauptsächlich die Solisten und wirkte nicht immer souverän. Allerdings kam dadurch eine ganz andere, eben barocke Klangfärbung dazu, rauer und unmittelbarer. Das wurde dann besonders deutlich, wenn – selten – beide Musikerensembles zusammen spielten, wodurch ein ungewohntes und nicht wirklich harmonisches Klangerlebnis entstand.
Insgesamt war die Aufführung zwar gelungen, aber es erhebt sich schon die Frage, ob man die Wiener Symphoniker nicht lieber mit Werken des frühen 20. Jahrhunderts hören wollte, wo es bestimmt auch Einiges zum Wiederentdecken gäbe. Und wünschenswert wäre es, wenn die Kulturverantwortlichen in Bund und Land endlich die Gründung eines hochqualitativen Originalklang-Ensembles außer dem Concentus Musicus initiieren würden. Das würde die Musikstadt Wien um eine weitere Dimension jenseits der Klassik bereichern. Rolemodels könnten dabei das Concerto Kopenhagen oder das Amsterdam Baroque Orchestra sein.
Johann Sebastian Bach: „Johannespassion“, Wiener Symphoniker unter Philippe Jordan, Wiener Konzerthaus, 4. 3. 2017.