Olga Esina: Strahlkraft und Intensität
Die Sommerzeit naht sich dem Ende und damit auch die Serie der Aufführungen des Balletts Schwanensee, in der für Wien geschaffenen Choreografie von Rudolf Nurejew. Gekrönt werden die letzten Vorstellungen für heuer von Olga Esina als Odette / Odile. Timoor Afshar ist Prinz Siegfried. Ein Paar, das alle Erwartungen erfüllt.
Konzentriert und intensiv war die 260. Aufführung am 10. Oktober. Olga Esina ist für das ballettaffine Publikum die Schwanenkönigin schlechthin. Ihre Odette weiß auch bei der ersten Begegnung mit dem entflammten Jüngling Siegfried, dass der Schwur nicht halten wird. Esina tanzt mit der Freude über eine mögliche Rettung auch die Trauer über das geahnte Scheitern mit. Sehr traurig und doch beglückend.
Mit kühler Erotik, schillernder Präsenz und ihrer Wirkung sicher, tanzt Esina Odile, Rotbarts Geschöpf. Eine Erste Solotänzerin muss sich nicht mehr um die Technik kümmern, und Port de bras oder Arabesques zu loben, ist nahezu beleidigend, weil vorausgesetzt, normal und im Tanzkörper eingeschrieben. Perfekt, mitreißend und ausdrucksstark ist auch Olga Esinas Rollengestaltung. Irgendwelcher Zirkusnummern bedarf es da nicht. Esina hat sich während der Vorstellung den linken Fuß verletzt, was für sie noch nie ein Grund war, abzubrechen. Olga Esina hat weitergetanzt, ließ sie sich nichts anmerken, hat jedoch im 3. Akt auf das Kunststück der 32 Fouettés verzichtet. Dementsprechend hat auch Timoor Afshar (Prinz Siegfried) die Manege abgekürzt. Weder der eindrucksvollen Präsenz des Paares noch dem kräftigen Applaus für Odiles Auftritt hat die Verknappung geschadet. Der Schwerpunkt lag in dieser Vorstellung nicht auf der Akrobatik, sondern auf der Tragödie und der Rollengestaltung. Schon im 2. Akt, mit der wunderbaren vom Komponisten, Peter Tschaikowski, geschaffenen Verdopplung des Pas de deux auf der Bühne im Orchestergraben durch Violine und Cello, war pure Harmonie zu genießen. Auch Solotänzer Eno Peçi, Rotbart aller Rotbarte, hat zum Erfolg des Abends Wesentliches beigetragen. Bedrohlich wirkt jeder seiner kurzen Auftritte. Wer so die Flügel schwingt, mit dem flammenden Mantel das Gesicht bedeckt, der kann nur Böses im Sinn haben. Zugegeben, die Rollen der Bösen, wes Geschlechts auch immer, haben ihre Attraktion, auch für das Publikum.
Doch kann auch ein eleganter Prinz entzücken. Timoor Afshar, der in der vergangenen Saison vom Stuttgarter Ballett nach Wien gewechselt hat, hätte eigentlich an diesem 10. Oktober mit Olga Esina sein Debüt als Prinz feiern sollen. Doch es kommt auch im Ballett oft anders als gedacht. Als Jakob Feyferlik im Juni seinen vom Wiener Publikum sehnsüchtig erwarteten Gastauftritt absagen musste, hat Afshar Mut bewiesen und sein Prinzendebüt in Wien drei Monate vor dem geplanten Termin getanzt. Erfolgreich. Schon im März hat er sich als Armand Duval in der Premiere von John Neumeiers Ballett Die Kameliendame vorgestellt. Wenn Viren, Bakterien und Verletzungsteufel sich zurückhalten, wird Afshar am 14. und 24. Oktober auch die beiden letzten Schwanensee-Vorstellungen dieser Saison tanzen.
Im Dauereinsatz war an diesem Abend die Solotänzerin Alice Firenze: Als Gefährtin des Prinzen erschien sie ebenso lieblich wie als kleiner Schwan. Im 3. Akt erfüllte sie meine Wünsche und zeigte im ungarischen Tanz gemeinsam mit Géraud Wielick ihr italienisches Temperament. Ein wesentlicher Beitrag zum Gelingen der gesamten Aufführungsserie kommt auch vom Dirigenten. Paul Connelly war Chefdirigent am American Ballet Theatre und hat Aufführungen des New York City Ballet dirigiert. Seit 1991 ist er mit dem Orchester der Wiener Staatsoper und dem Staatsballett verbunden und von Wien bis Paris, von München bis London auch in Europa ein viel beschäftigter Ballettdirigent. Am Applaus ist zu hören, dass Connelly auch vom Publikum geschätzt wird.
Ceterum censeo: Im Übrigen bin ich der Meinung, dass es unsinnig ist, die Vorstellungen des Staatsballetts auf zwei Websites zu verteilen. Das Wiener Staatsballett verdient eine eigene Website.
Schwanensee, 260. Aufführung, 10. Oktober 2024
Choreografie und Inszenierung: Rudolf Nurejew nach Marius Petipa und Lew Iwanow. Musikalische Leitung: Paul Connelly
Bühne und Kostüme: Luisa Spinatelli; Licht. Marion Hewlett.
Prinz Siegfried: Timoor Afshar; Odette / Odile: Olga Esina
Ballettakademie und Jugendkompanie der Wiener Staatsoper, Komparserie. Orchester der Wiener Staatsoper. Wiener Staatsballett in der Staatsoper.
Fotos: © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor, Michael Pöhn