The Winter’s Tale: Eine Enttäuschung
Der britische Choreograf Christopher Wheeldon nimmt es mit William Shakespeare auf und setzt das Drama The Winter’s Tale in Tanz um. Das funktioniert nicht, denn die Sprache des Körpers ist nicht die Sprache des Mundes. Dialoge, Monologe, Erklärungen und gesprochene Weisheiten lassen sich nicht tanzen. Das 2014 für das Royal Ballet London geschaffene dreiaktige Ballett hat am 19. November an der Wiener Staatsoper Premiere gehabt. Der Applaus des Premierenpublikums für das Wiener Staatsballett ist immer freundlich.
Eine Geschichte mit düsterem Beginn und glücklichem Ausgang, ein Märchen eben. Die karge Handlung – Shakespeare liebt die sogenannte Mauerschau, Handlungen werden erzählt, auf der Bühne wird dialogisiert, monologisiert und formuliert –wird durch die überladene Bühne wettgemacht. Bob Crowley hat Bühne und Kostüme gestaltet und spart nicht an quietschender Farbenpracht und glitzerndem Tand, auch schillerndes Silk Design setzt er ein und lässt ein Schaukelpferd auftragen und bald wieder abtragen. Wolkenvideos und sich türmende Wellen ziehen den Blick auf sich, Gipsfiguren, Treppen, Leitern und eine als Weihnachtsbaum verkleidete Eiche, die zum Maientanz einlädt, heischen Aufmerksamkeit. „Ein Griff in die Mottenkiste“ ist ein mildes Urteil gegen das verächtliche „So ein Ramsch“ eines Griesgrams.
Die Lichtblicke: Ketevan Papava als Paulina, Hofdame und Kindermädchen am sizilianischen Hof und das Liebespaar Florizel, Prinz von Böhmen, und Perdita, ein Am Strand von Böhmen abgelegtes Findelkind. Papava hat ihre Rolle verstanden, lässt ihren Körper sprechen und die Zuschauerin ihre Gefühle mit erleben. Paulina ist eine selbstbewusste Frau, mutig stellt sie sich gegen Leontes, der, sich seiner Macht bewusst, nicht davor zurückschreckt, seine Frau zu schlagen und zu treten. Paulina versucht ihn aufzuhalten, ergreift sie Partei der Schwachen, beschützt die Mutter und rettet das Neugeborene. Papava leidet und kämpft, trauert und, ihr Körper spricht deutlich ohne krampfhafte Verrenkungen.
Ioanna Avraam und Davide Dato sind ein bezauberndes junges Liebespaar, die einander immer wieder in die Arme fallen müssen, schnäbeln und turteln, weil in diesem 2. Akt Frühling und sonst nichts los ist. Das Corps de ballet hat seinen großen Auftritt. Vor dem knorrigen, mit Spiegeln und Kugeln behängten Baum tanzen Damen und Herren einen unendlichen Reigen, dazu gibt ist orientalische Bühnenmusik, ein paar Hirten tragen auch entsprechende Kleidung. Die Mädchen jedoch tanzen in eleganten Seidenkleidern, tragen Blumen im Haar. Die Schafe zu hüten, scheint nicht ihre Pflicht zu sein.
Während ich dem fröhlichen Frühlingsgetänzel zusehe, fällt mir die Badende Venus ein, sogenanntes Wassermusical mit der Schwimmmeisterin und Schauspielerin Esther William, das um 1950 das Kinopublikum begeisterte. Wenn man dem Applaus auf den Rängen glauben darf, ist auch dieses parfümierte Spektakel des Teams Wheeldon, Talbot und Crowley, in dem der Tanz eine untergeordnete Rolle und die Bühnendekoration eine Hauptrolle spielt, dem Publikum Lust und Freude. Die Gefühle werden wie in Film und Fernsehen von der Musik vermitteln. Man weiß immer schon bevor sich Leontes (Brendan Saye) krümmt und windet, dass es in ihm brodelt. Auch die Frühlingsgefühle weiß der Komponist zu vermitteln.
Im ersten Akt ist die Hauptperson, Leontes, ein unbeherrschter König, von Eifersucht gebeutelt, weil seine schwangere Ehefrau mit dem als Gast auf der Insel weilenden Kindergartenfreund Polyxenes flirtet. Bei Shakespeare liest man es anders, da wird nicht poussiert, eher diskutiert. Deshalb wäre auch kein Grund zur Eifersucht vorhanden und Leontes‘ Anfall von Raserei umso erschreckender. Der König gerät in Wut, tritt seine Frau mit Füßen. Polyxenes verlässt den Kampfplatz, verschwindet dem Schiff nach Hause. Doch auch er kennt Wut und Gewalttätigkeit. Die mörderischen Gefühle brechen sich Bahn, als er erfährt, dass sein Sohn ein Hirtenmädchen heiraten will. Gleich will er die gesamte Hirtenfamilie ausrotten. Doch The Winters Tale (alte neuenglische Schreibweise ohne Apostroph) ist keine Tragödie, weil das Märchen, wie später auch „The Tempest“, gut ausgeht. Ruckzuck verraucht die Männerwut im dritten Akt, die beiden Könige fallen einander in die Arme, die Kinder – längst ist klar, dass das Hirtenmädchen eine Prinzessin ist, die als Säugling von Vater Leontes verstoßene Tochter – dürfen heiraten und die scheinbar ermordete Ehefrau ist gar nicht tot. Sie steigt vom Grabstein herunter und sinkt die Arme ihres wieder friedlichen Mannes. Der vor Schrecken wegen des Vaters Gewalttätigkeit tatsächlich verstorbene Kronprinz muss als Statue verharren. Hofdame Paulina bleibt als einige Trauernde zurück. Noch einmal braust die Filmmusik auf, dann fällt der Vorhangvorhang: Ende gut, alles gut. Das nennt man eine Romanze.
Im Herbst 2015 hat Wheeldon für das Wiener Staatsballett ein einaktiges Ballett kreiert, auch von Talbot musikalisch begleitet und von Shakespeare inspiriert. Damals hat der Choreograf nicht den Ehrgeiz gehabt, den Text zu tanzen, die Tänzerinnen erzählen in Fool’s Paradise von den Gefühlswirren einer Sommernacht. Da war Handlung genug inkludiert. Das Wintermärchen ist für ein Da oder Englisch sprechendes Publikum konzipiert. Da liegt der ganz Unterschied.
Ceterum censeo: Im Übrigen bin ich der Meinung, dass es unsinnig ist, die Vorstellungen des Staatsballetts auf zwei Websites zu verteilen. Das Wiener Staatsballett verdient eine eigene Website.
The Winte‘*s Tale, Ballett in einem Prolog und drei Akten.
Musik: Joby Talbot; Choreografie: Christopher Wheeldon; Szenario: Christopher Wheeldon und Joby Talbot; musikalische Leitung: Christoph Koncz; Bühne & Kostüme: Bob Crowley; Licht: Natasha Katz.
Wiener Staatsballett in der Staatsoper; Orchester & Bühnenorchester der Wiener Staatsoper.
Premiere 19. November 2024; weitere Termine 21., 23., 26., 29. November, 1., 6., 17., 20. Dezember 2024.
Fotos: © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor
Eine Koproduktion und dem American Ballet Theatre New York.