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Schwanensee: Debüt eines tapferen Prinzen

Applaus für den Debütanten Timoor Afshar

Timoor Afshar, seit dieser Saison Solotänzer im Wiener Staatsballett, hat Mut bewiesen und sein Debüt als Prinz Siegfried in Rudolf Nurejews Choreografie des Balletts Schwanensee gut überstanden. Olga Esina, sowohl als Odette wie als Odile unnachahmlich, war ihm eine perfekte Partnerin. So konnte Afshar den tosenden Applaus am Ende der Vorstellung vom 20. Juni, der vor allem der ersten Solotänzerin Esina gegolten hat, auch für sich buchen.

Olga Esina, die Schwanenkönigin schlechthin, lässt die Zuschauerinnen staunen. Afshar, der das Stuttgarter Ballett als Halbsolist verlassen hat und in Wien als Solotänzer engagiert worden ist, sollte sein Rollendebüt mit Esina in der kommenden Saison, am 10. Oktober, feiern. Für die beiden letzten Vorstellungen von Schwanensee war Jakob Feyferlik als Gast vorgesehen.
Nahezu geschlossen war die Fangemeinde angetreten, um den Wiener hochleben zu lassen. Olga Esina, Timoor Afshar im 3. Akt: Die von Rotbart geschaffene Odile verführt Prinz Siegfried. Zu früh gefreut! Feyferlik, der in der Direktionszeit von Manuel Legris zum Ersten Solotänzer avanciert ist, doch wie so viele hervorragende Tänzerinnen 2020 bei Antritt der neuen Direktion das Wiener Staatsballett verlassen hat und zurzeit Erster Solist im Bayerischen Staatsballett ist, hat sich zu viel zugemutet.„Leider musste Jakob Feyferlik aufgrund einer Verletzung seinen Gastauftritt als Prinz Siegfried […] zu unserem großen Bedauern kurzfristig absagen“, meldet die Direktion am 6. Juni. Nur durch Zufall ist die gut versteckte Nachricht zu finden.  Timoor Afshar ist eingesprungen, obwohl eine viel längere Probenzeit vorgesehen war. Dafür gebührt ihm Dank. Andrey Teterin ist der Zauberer Rotbart. In Nurejews Choreografie hat er nicht viel zu tun, Rotbart darf den Prinzen, den Nurejew selbst gegben hat, nicht überstrahlen. Der große, schlanke Tänzer aus Indianapolis in den USA hat seine Feuerprobe bestanden und von Akt zu Akt an Sicherheit gewonnen. Wohl ihm zu Ehren hat diesmal der See richtige Wellen geschlagen und der traurige Prinz ist, wie es sich gehört, darin versunken.
Olga Esina ist dem jungen Prinzen, stolz in seinem neuen silbernen Wams, eine hilfreiche Partnerin, ohne auf ihre hinreißende Rollengestaltung zu vergessen. Als Schwanenkönigin Odette schwebt sie am Ufer des Sees, ohne den Boden zu berühren, erschrickt über den unüberlegt ausgesprochenen Schwur. Odette glaubt nicht an eine Erlösung. Nach  dem Grand pas de deux im 3. Akt war ein riesiger Applaus für Olga Esina und Timoor Afshar fällig.Ganz anders Odile, das vom Zauberer Rotbart geschaffene schwarze Spiegelbild der Odette. Ein schräger Blick aus den funkelnden Augen genügt und Jung Siegfried ist bereit, als Marmelade aufs Frühstücksbrot geschmiert zu werden. Esina rast nicht, als wäre sie von der Tarantel gestochen, durch den Festsaal, sie verführt nicht mit Gewalt und Granaten, sondern streichelt mit eingezogenen Krallen. Olga Esina rettet nicht nur den tapferen Debütanten, sondern die gesamte Aufführung, die einfach und eher lustlos vor sich hin plätschert. Die Erste Solistin Olga Esina ist eine erfahrene Schwanenkönigin und macht ihrem Kollegen Timoor Afshar sein Debüt als Prinz Siegfried leicht. Schon bei seinem Einstand als Ballettdirektor hat Martin Schläpfer, nun in statu abeundi, also schon mit einem Fuß raus aus Wien, sein mangelndes Interesse am klassischen Ballett kundgetan. Daran hat sich auch in vier Jahren nichts geändert. Das klassische Ballett wird angesetzt, weil es vorgeschrieben ist. Während alle großen Ballettcompagnien den Spitzentanz hochhalten, laufen die Publikumsmagneten in Wien so nebenher. Der Prinz (Timoor Afshar) hat versagt, die Prinzessin muss auf immer eine Schwanin sein. Das Corps und viele Halbsolistinnen lassen Präzision und Körperspannung vermissen, Bewegungen scheinen verwischt, viele kleine Schlampereien lassen auch Trainingsmängel vermuten.
Manche der Mitwirkenden motivieren sich selbst, versuchen die erwarteten Leistungen zu zeigen. So fällt mir der Italiener Duccio Tariello und die verlässliche Halbsolistin Anita Manolova als Gefährtinnen des Prinzen auf. Timoor Afshar strahlt: Die Arabesque ist gelungen. Eine nicht zu verachtende Leistung wird auch von Corpstänzerin Katharina Miffek verlangt. Sie wird in die Geh- und Schreitrolle der Königin, Mutter des Prinzen, gepresst und bewegt sich in den weißen Akten als eine von vier „großen Schwänen“ auf der Spitze. In jeder der beiden Pausen muss sie ein neues Programm in den Körper speichern. Welche Überlegungen zu solcher Besetzung führen, mag ich nicht zu erklären.
Ceterum censeo: Im Übrigen bin ich der Meinung, dass es unsinnig ist, die Vorstellungen des Staatsballetts auf zwei Websites zu verteilen. Das Wiener Staatsballett verdient eine eigene Website.

Schwanensee, 252. Aufführung, 20. Juni 2024
Choreografie und Inszenierung: Rudolf Nurejew nach Marius Petipa und Lew Iwanow. Musikalische Leitung: Paul Connelly
Bühne und Kostüme: Luisa Spinatelli; Licht. Marion Hewlett.
Prinz Siegfried: Timoor Afshar, Rollendebüt
Odette / Odile: Olga Esina 4. Akt: Die Schwäne leiden mit ihrer Königin. © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor
Ballettakademie und Jugendkompanie der Wiener Staatsoper, Komparserie. Orchester der Wiener Staatsoper. Wiener Staatsballett in der Staatsoper.
Fotos: © Wiener Staatsballett / Michael Pöhn
Am Sonntag, 23.6.2024 findet die letzte Vorstellung der Saison des Balletts Schwanensee in der Staatsoper statt. Wer nicht genug bekommen kann, sieht sich den Livestream der Abschlussgala am 29. Juni an, der es auch nicht an Ausschnitten aus dem unsterblichen Klassiker mangelt. Ausverkauft wird auch die Eröffnung der Saison 2024/25 sein. Eine weitere Serie von Nurejews Choreografie ist angekündigt. Liudmila Konovalova und Masayu Kimoto sind die Protagonistinnen der ersten beiden Vorstellungen.