Thomas Sautner: „Großmutters Haus“, Roman
Thomas Sautner versteht zu erzählen und verwandelt im neuen Roman, „Großmutters Haus“, das Banale ins Märchenhafte, Steine in Dichtung. Die Handlung ist einfach: Die Studentin Malina erhält von ihrer Großmutter unerwartet ein Paket mit erstaunlichem Inhalt. Sofort beschließt sie, die von der Familie totgeschwiegene Großmutter in ihrem Haus im Waldviertel aufzusuchen. Diese Großmutter stammt nicht aus dem Bilderbuch, sie ist eine wahrhaft unwürdige Greisin.
Die Nachricht die Krystina, die Großmutter, dem Packerl beigelegt hat, erklärt nur, was Malina ohnehin zu sehen bekommt: „Anbei ein paar Zettel mit Nullen drauf“. „Ein paar Scheine“ ist ziemlich bis sehr untertrieben, es ist „wahnsinnig viel Geld“, stellt Malina fest. Lange grübelt sie nicht über das unerwartete Geschenk, mietet kurzerhand ein Bankfach, erbittet sich in der Buchhandlung, wo sie als Teilzeitkraft hilft, zwei Wochen Urlaub, holt den Zweitschlüssel für den Mercedes des verheirateten Freundes und fährt los, die Oma zu besuchen. Lange hat Malina sie nicht gesehen, für Malinas Familie existiert sie nicht mehr und worüber nicht gesprochen wird, das schwindet aus dem Gedächtnis.
Aber die junge Frau erinnert sich, dass diese Krystina Oma sich nicht um die Meinung anderer schert, ihr eigenes Leben lebt, als altes Mütterchen in ihrem Gärtchen gräbt und ebenso überzeugend als Diva, geschminkt und geschmückt, Gäste oder einen Gast, immer einen anderen, empfängt.
Dass das heimliche „Ausborgen“ des noblen Gefährts ihres Freundes ein erster Schritt in ein neues Leben, weg vom Stress, weg vom „man muss“, „man muss haben“, ist, wird bald klar. Zwei Wochen bei der Großmutter, wo sie Jakob kennenlernt, der nicht spricht, einen Drogenboss sympathisch findet und von seinem kleinwüchsigen Diener Lebensregeln und was Walter Benjamin über Paul Floras Zeichnung „Angelus Novus“ zu sagen hat, vorgebetet bekommt, verändern Malinas Blick auf die Welt und das eigene Leben.
Einmal betritt sie das Zentrum von Großmutters Universum – es ist ein winziger, nach Kloake stinkender Innenhof, inmitten des Hauses. Malina fällt in Ohnmacht und träumt rätselhafte, bunte Bilder. Das kommt vom Rauchen.
Nicht gewöhnliche Zigaretten sind es, die die Großmutter raucht, sondern aus von ihr angebauten Pflanzen hergestellte Rauschmittel, die die Sinne schärfen und Herz und Hirn erweitern. Bald weiß Malina, woher Krystina des viele Geld hat, ist anfangs schockiert, findet es bald aber ganz normal und versucht nicht nur die kleine Able, die größere, stärkere Sputnik, sondern auch die teure Godfather. Jeder der von der Großmutter hergestellten Rauchstängel hat eine andere Wirkung und sie verkauft sie nur an den Stammkunden, den mit dem kleinwüchsigen Diener Fred. Dealerin will sie nicht genannt werden.
Thomas Sautner erzählt in seinen Romanen im Grunde immer wieder das Gleiche, zeigt den Leserinnen eine andere Welt, in der es sich lohnt zu leben. Doch niemand muss fürchten, einem neuen Paul Coelho, der vom Kritiker Denis Schneck „Schwachsinnsschwurbler“ genannt wird, zu begegnen. Thomas Sautner gleicht dem brasilianischen Guru in keiner Weise, er ist kein „Schwachsinnsschwurbler“ – er ist ein Poet. Seine seine Sprache, direkt und sensibel, lässt mich immer weiterlesen. Die Lebensweisheiten sind zwischen den Zeilen versteckt, und werden sie sichtbar, weiß man nie genau, ob es nicht die blanke Ironie ist, die die Lücke auftut.
Was ich uneingeschränkt mag, ist Sautners Liebe zur Natur und sein Vermögen, sie mit wenigen Worten, ohne abgegriffene Bilder sichtbar und auch spürbar zu machen. Das Waldviertel, wo er geboren und aufgewachsen ist, der Blumengarten Krystinas, die Wiese, der Wald, die Granitsteine, ein Teich und die Ameisen, die Malina so gern beobachtet, bringt er mir so nahe, dass ich, ein Kinder der Stadt, gleich in den Zug steigen möchte. Allerdings, ob es oberhalb des Manhartsberges auch dann so heiter und anregend ist, wenn keine Blumen blühen, keine Vögel singen und die Ameisen in den Kellern ihre Burgen den kältestarrenden Winterschlaf halten?
Sautner charakterisiert die Personen, die da im Wald wohnen oder dort vorbeikommen, durch ihr Handeln und Sprechen, beschreiben muss er sie nicht unbedingt. Das macht sie glaubhaft und menschlich. Auch hütet er sich, Thesen aufzustellen und sich als Heilsbringer zu gebärden. Die Großmutter gibt zwar Antworten auf Malinas Fragen, doch die sind bedeutungslos und rätselhaft. Um von jedem Verdacht, die Leserinnen missionieren zu wollen, frei zu sein, lässt der Autor Malina selbst erzählen. Und das wissen wir doch: Das Gedächtnis eines Menschen ist ein Betrüger und Schwindler, was erzählt wird, ist nur die Wahrheit der Erzählerin, die absolute gibt es ohnehin nicht. So können wir uns wunderbar mit Thomas Sautner oder eher mit Malina vergnügen und dürfen unsere Großmütter getrost in Ruhe lassen.
Ohne nennenswerte Handlung und bar jeglicher Überraschung strömt der Roman dahin und lässt mich doch nicht mehr los, zieht mich an unsichtbaren Fäden mit sich. Die ohne Anlass hervorgezauberten Klischees überlese ich mit Fleiß, möchte aber wissen, was Malina mit dem vielen Geld machen wird. Doch an das denkt sie gar nicht mehr. Der Urlaub ist zu Ende, geläutert fährt sie in die Stadt und wird das Auto ihres, nun bereits Ex- Liebhabers nicht zurückgeben. Märchen haben eben eine andere Logik, und der perfekte Spagat zwischen dem profanen Leben (der Leserinnen) und dem Geist, der ums Haus der Großmutter weht, gelingt wohl nur einem Waldviertler Autor.
Thomas Sautner: „Großmutters Haus“, Picus, 2019. 252 S. 22,00.