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Andrea Camilleri: „Berühre mich nicht“ Roman

Vielseitger Autor Andrea Camilleri. Quelle_picture-alliance_dpalapresse

Andrea Camilleri ist im deutschsprachigen Raum vor allem durch den von ihm erdachten und längst auch zu TV-Ehren gelangten Commissario Montalbano aus dem sizilianischen Nest Vigata bekannt geworden. In seiner Heimat Italien wird der Sizilianer für seinen Sprachwitz und auch als Autor von Drehbüchern und feinsinnigen Romanen geschätzt. Obwohl es im jüngsten um die verschwundene Ehefrau eines renommierten Dichters geht, ist „Berühr mich nicht“ kein Krimi, eher das Porträt einer Frau auf dem Weg zu sich selbst.

Im Original heißt der Roman schlicht und treffend: „Noli me tangere“, eine stehende Redewendung aus der Bibel. Angeblich hat Jesus den Satz nach der Auferstehung zu Maria Magdalena gesagt, behauptet die lateinische Übersetzung. Auf Deutsch würde ich aber, wenn es denn sein muss, eher meinen, Jesus hat „Rühr mich nicht an“ gesagt, denn schließlich ist er bald danach gen Himmel gefahren, weil er kein Mensch mehr war. Da wird nicht mehr umarmt und betatscht. Diese Szene hat viele Maler von der Renaissance bis heute inspiriert, den berührungsscheuen Jesus und die körperfreundliche Maria Magdalena auf die Leinwand zu bannen, oder als Fresko an die Wand zu malen. Florenzbesucherinnen ist vor allem das Fresko des malenden Mönchs Guido di Pietro, genannt Frau Angelico, † 1455, vor Augen. „Noli me tangere“ ist in einer Zelle des Klosters von San Marco zu finden. Nebenbei gesagt, dort ist es wesentlich ruhiger als auf dem Domplatz. Cam Angelico: " Noli me tangere", 15. Jh. © Wikimedia, lizenzfrei

Dieses Bild spielt auch eine wesentliche Rolle in Camilleris Roman, hat doch die verschwundene Laura in Padua über dieses Bild ihre Dissertation geschrieben und die Professoren mit ganz neuen Ansichten über das, was da zwischen den aus dem Grab erstandenen und der treuen Dienerin gerade passiert oder eben passiert ist, überrascht. Danach hat aber Laura das Interesse an der gesamten Kunstgeschichte verloren und sich ihren zahlreichen schnell wechselnden Liebhabern gewidmet.

Mutterwitz und Sprachkunst: Andrea Camillleri © Nagel & Kimche. Ihrem wesentlich älteren dichtenden Ehemann hat sie allerdings weisgemacht, das Lotterleben sei nun vorbei, sie habe sich von sämtlichen Ehemaligen und Aktuellen verabschiedet. Deshalb glaubt der Verlassene auch mehr an eine Entführung denn an die Flucht der über alles Geliebten in ein fremdes Bett.

Ein Glück für ihn, dass in Rom ausgerechnet Commissario Maurizi mit den Nachforschungen betraut wird. Maurizi ist nicht nur ein fähiger Ermittler, sondern auch ein sensibler, gefühlvoller Mensch und je mehr er über Laura herausfindet, desto näher kommt ihm die rätselhafte Frau. Es scheint, als wäre er, wie so viele andere Geschlechtsgenossen tatsächlich in Laura verliebt, obwohl er sie noch nie gesehen hat. Kein Entführer meldet sich, aber auch Laura ist verschwunden. Doch, so argumentiert der Questore, sie ist erwachsen und kann machen was sie will. Der Fall wird zu den Akten gelegt, Maurizi aber gibt nicht auf, hat den richtigen Riecher und findet Laura tatsächllch. Das bleibt sein Geheimnis, nur Lauras beste Freundin darf erfahren, was Marizi weiß.  Die muss schwören, zu schweigen wie das leere Grab auf dem Hügel Golgatha in Jerusalem.

Die Leserinnen dürfen natürlich wissen, wo Laura gelandet ist und warum sie nicht gefunden werden will. Das ist ein hochmoralischer ziemlich unbefriedigender Schluss, doch gebe ich zu bedenken, dass Andrea Camilleri die 90 bereits überschritten hat und da ist halt alles Jenseitige näher als die irdischen Freuden. Zum Drüberstreuen und besseren Verständnis von Lauras Innenleben muss der Dramatiker T. S. Elliot herhalten, aus dessen Theaterstück „Die Cocktailparty“ zitiert wird. Der hielt es ziemlich innig mit der Religion und gefiel sich als Moralprediger und die Hauptfigur Celia könnte auch Laura heißen. Ausschnit aus dem Buchcover der italienischen Ausgabe: Noli me tangere", © Mondadori

Ein Roman in Dialogen. Das Pfiffige an diesem kurzen Roman über eine, die sich nicht berühren lassen will, ist die Form. Camilleri erzählt nicht, lässt nur Bekannte, Freunde, Liebhaber, den Commissario und den verlassenen Ehemann sprechen, als hätte er sie heimlich belauscht.Buchumschlag der deutschen Ausgabe © Nagel & Kimche Er legt keinen Wert darauf, dass wir die kurz aufscheinenden Personen wirklich kennen lernen, er stellt sie kaum vor, lässt sie lediglich bei einem Espresso miteinander plauschen oder telefonieren. Die unsichtbare Laura ist in diesen Gesprächen und den Nachfragen des Commissarios stets präsent, sodass ich am Ende meine, sie wirklich getroffen zu haben. In einem Museum oder einer Galerie, in Padua oder Mailand, Florenz oder Pisa. Mit dem Ende ihrer Reise bin ich nicht einverstanden, doch wird es durch das erklärende Nachwort des Autors etwas glaubwürdiger.

Andrea Camilleri: „Berühre mich nicht / Noli me tangere“, aus dem Italienischen von Annette Kopetzki, Nagel & Kimche, 2017. 160 S. € 18,50.