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J. P. Henderson: „Der Vater, der vom Himmel fiel“

J.Paul Henderson © Daniel Jaems

Nicht abschrecken lassen von diesem dem Absatzerfolg nachjagenden Titel. Lyle Bowman, der genannte Vater, ist zwar ein alter Mann, 83 genau, doch er steigt nicht aus dem Fenster, sondern fällt vor den Bus. Und ist mausetot. Wie das passieren konnte, erklärt sich gleich im ersten Kapitel der Geschichte über die letzten Bowmans. „The Last of the Bowmans“ ist der Originaltitel des Romans von J. Paul Henderson, der schon in seinem ersten Roman, „Letzter Bus nach Coffeeville“, durch seinen skurrilen Humor begeistert hat.

Lyle, der Vater, ist also plötzlich verstorben, weil er nämlich durch einen großen Schluck Terpentin völlig benebelt war und sich von einem Bus überrollen ließ. Jetzt müssen seine beiden Söhne, Billy und Greg, nach sieben Jahren wieder miteinander reden und sich um das alte Haus kümmern.

Greg lebt schon lange in Amerika, als Single mit deutlicher Bindungsangst. Kaum beginnt eine Liebe sich häuslich bei ihm einzurichten, nimmt er Reißaus. Gar so ungern reist er daher nach England in heimatliche Viertel. Er muss sich mit Billy, einem etwas verklemmten Neurotiker, mit Frau und Tochter, wieder vertragen. Das Begräbnis steht an und das Haus des Vaters muss auf Hochglanz poliert werden, damit es beim Verkauf einen guten Preis erzielt. Lyle wird in einem Bambussarg verabsciedet, das ist Bio und billig. ©www.degroeneuitvaartkist.nl

Zur Familie gehört auch Onkel Frank, Lyles Bruder, der nach eigenen Angaben aussieht „wie ein Troll“, zeit seines Lebens sich keiner Frau genähert hat und nun ganz heimlich plant, eine Bank zu berauben, weil er nach Montana auswandern will, um Cowboy zu werden. Er ist unter all den liebevoll geschilderten komischen Figuren des Stadtviertels im Norden Englands die skurrilste und auch charmanteste.

Cover des englischen Originals ©  No Exit PressGreg wird vom Vater als Oberhaupt der Restfamilie erkoren, und das erfährt er von ihm selbst. Ein komischer Gott hat dem verstorbenen Lew nämlich eine Frist gesetzt, um auf Erden alle Geheimnisse aufzuklären und den Familienfrieden wiederherzustellen. Er darf aber nur einem Menschen sichtbar werden, und das ist Greg, der der Einfachheit halber im Vaterhaus schläft. Splitterfasernackt besucht Lyle nach der Beerdigung seinen Sohn, und dem fällt nichts Anderes ein, als „Vater, du hast nichts an!“ zu rufen.

Henderson erzählt mit Bedacht, britischem Understatement und warmherzigem Humor vom auf und ab in der Familie, die durch seinen Blick so extravagant wirkt. Doch dass die Einsamkeit närrische Ideen gebiert und mangelnde Selbstachtung psychische Störungen hervorrufen kann, ist im Grunde nicht zum Lachen. Lächeln darf man schon. Wie Onkel Frank seinen Banküberfall vorbereitet und Billy sich mit seinen Ängsten herumschlägt, ist schon eher außergewöhnlich und auch überaus drollig, trollig, was Frank betriff. Cover der deutschen Ausgabe © Diogenes

Mein Schmunzeln wird mitunter zu lautem Gelächter und dann stiehlt sich auch noch eine Träne der Rührung ins Auge. Zu seltsam ist diese kleine Geschichte über die Geheimnisse in einer (jeder?) Familie und das Blut, das bei allen Wunden und Narben immer noch dicker ist als Wasser.

Die richtige Lektüre für einen lauen Sommerabend. Bevor der Rosé im Glas warm geworden ist, sind Unklarheiten beseitigt und die Rätsel gelöst. Leyle darf endlich die ewige Ruhe finden und irgendwie kommt auch Onkel Frank nach Montana.

J. Paul Henderson: „Der Vater, der vom Himmel fiel“, englisches Original: „The Last of the Bowmans“, übersetzt von Jenny Merling, Diogenes 2017. 352 S. € 20,60. Auch als eBook erhältlich.